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Den evolutionären Zufall im Griff  
  Dass die Evolution nicht allein dem Prinzip von Mutation und Selektion folgt, sondern auch vom Zufall beeinflusst wird, ist seit langem bekannt. Ein neues Modell versucht, den Einfluss quantitativ zu erfassen.  
Das mathematische Verfahren des Physikers Oskar Hallatschek vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen lässt sich auch auf die Ausbreitung von Seuchen und von Verbrennungsfronten in einem reaktiven Gasgemisch und sogar in der Teilchenphysik anwenden.
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Die Studie "Fisher Waves in the Strong Noise Limit" von Oskar Hallatschek und K.S. Korolev ist in den "Physical Review Letters" (Bd. 103, DOI: 10.1103/PhysRevLett.103.108103) erschienen.
->   Zum Abstract der Studie
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Wie schnell verläuft die Evolution?
Bild: O. Hallatschek
Als Wellenfront breitet sich eine genetische Variante - symbolisiert durch die roten Punkte - aus.
Oskar Hallatschek versucht, das Tempo der Evolution mithilfe von Formeln und Computersimulationen zu beantworten. In seinen Computermodellen gibt es Individuen, die eine Veränderung ihres Erbgutes, eine so genannte Mutation, tragen, die ihnen einen Vorteil verschafft.

Deshalb haben sie bessere Überlebenschancen als ihre Artgenossen und die Mutation breitet sich von Generation zu Generation immer weiter unter den virtuellen Wesen aus.

Das Computermodell zeigt, dass die Mutation wie eine Welle über das von den Individuen bevölkerte Gebiet schwappt. Die Geschwindigkeit dieser Welle hängt von zwei Faktoren ab. Erstens vom Ausmaß des Vorteils, den die Mutanten haben. Je mehr die Mutation die Überlebenschance ihrer Träger erhöht, desto schneller läuft die Welle.
Zufällige Vermehrung
Der zweite Faktor ist der Zufall: "Die Ausbreitung der Mutation hängt davon ab, wer wann mit wem Nachkommen zeugt", erläutert Hallatschek. Das Kontaktknüpfen unterliege dem Zufall. Hallatschek vergleicht es mit Münzenwerfen. Es gibt nämlich zwei Möglichkeiten: Entweder ein Mutant ist an dem Kontakt beteiligt (Kopf) oder nicht (Zahl). Entsprechend wird die Mutation weitergegeben oder nicht.

Statistisch gesehen erwartet man beim Münzenwerfen ein Fifty-Fifty-Verhältnis von Kopf und Zahl. Doch je weniger Würfe man macht, desto mehr neigt das Ergebnis dazu, stark von dieser Erwartung abzuweichen. Bei nur zwei Würfen ist es nicht unwahrscheinlich, dass beide Zahl liefern.
Fluktuationen verändern Ausbreitung
Ähnlich ist es in der Gesellschaft der Computerwesen. Wenn die Bevölkerungsdichte und damit das Kontaktnetzwerk dünn sind, entspricht das dem Fall weniger Münzwürfe. "Dann schwankt die Anzahl der Mutanten von einer Gruppe benachbarter Individuen zur nächsten und von einer Generation zur nächsten deutlich stärker als bei einem dichten sozialen Netzwerk", sagt Hallatschek. Diese zufälligen Fluktuationen bremsen die Ausbreitung der Mutation, wie die Simulationen zeigten.

Darüber hinaus verändern sie die Form der Wellenfront. Zum einen führen sie dazu, dass ein Gebiet nicht gleichmäßig von einem mutantenfreien Zustand in einen gemischten übergeht, wenn ihn die Welle überrollt. Vielmehr treten dabei starke Schwankungen auf. Diese können soweit gehen, dass die Mutanten für kurze Zeit wieder vollständig aus einem Teilgebiet verschwinden, bevor sie erneut auftauchen.

Die Wellenfront kann also gleichsam in Vorwellen und Hauptwelle aufspalten. Zum anderen zeigte sich, dass die Länge der Wellenfront, also die Strecke zwischen einem Gebiet, das die Welle gerade erfasst, bis zu einem, das gerade vollständig überrollt wurde, deutlich stärker variiert als bei einer vom Zufall ungestörten Wellenfront.
Quantitative Beschreibung
Hallatschek gelang es nicht nur, diese Phänomene im Computer zu simulieren, sondern auch, sie quantitativ zu beschreiben und damit besser zu verstehen. Bislang war es nur möglich, die Wellenausbreitung der Mutation für den Fall zu berechnen, dass das Zufallselement im Vergleich zum Selektionsvorteil der Mutanten eine geringe Rolle spielt, wenn also die Mutation gleichsam eine große Durchsetzungskraft hat.

Dafür lösten Wissenschaftler die so genannte zufallsabhängige Fisher-Kolmogorov-Petrovsky-Piscounov-Gleichung (SFKPP), die Wachstum, Ausbreitung und Zufallsfluktuationen von Lebewesen, aber auch von chemischen Reagenzien beschreibt. Dabei vernachlässigten sie allerdings deren zufallsabhängigen Term.

Doch dieser Term lasse sich nicht immer vernachlässigen, betont Hallatschek. "Denn die meisten in der Natur vorkommenden Mutationen bringen nur einen geringen Selektionsvorteil", sagt der Physiker. In diesen Fällen spiele der Zufall eine vergleichsweise große Rolle.
Modell für viele Bereiche nutzbar
Dank eines mathematischen Verfahrens namens Störungsrechnung hat Hallatschek die SFKPP-Gleichung für solche Fälle gelöst. Dabei fand er heraus, dass die Geschwindigkeit der Mutanten-Welle proportional zur Wurzel aus der Bevölkerungsdichte ansteigt. Darüber hinaus zeigte er, dass die Längen der Wellenfronten einer Häufigkeitsverteilung folgen, die sich mit einem Potenzgesetz beschreiben lässt. Des Weiteren entdeckte er, dass das Aufspalten der Wellenfront einem zufallsabhängigen Prozess namens random walk folgt.

"Dieses quantitative Verständnis macht es jetzt möglich, auch andere Phänomene zu beschreiben, die der SFKPP-Gleichung folgen", sagt Hallatschek. Daher zeigt sich der Physiker überzeugt, dass Wissenschaftler sein Verfahren nutzen werden. "Epidemiologen können nun genauer beschreiben, wie sich Krankheiten ausbreiten", sagt Hallatschek.

Außerdem könnten Chemiker den Ablauf von Reaktionen mithilfe des Verfahrens studieren. Das Analogon zum Vorteil einer Mutation sei hier die Reaktivität zweier Substanzen. Sogar ein Teilchenphysiker habe Interesse an seiner Arbeit gezeigt, berichtet der Forscher. Denn er benutze eine zur SFKPP ähnliche Gleichung zur Beschreibung von Streuexperimenten mit Elementarteilchen.

[science.ORF.at/MPG, 16.9.09]
->   Oskar Hallatschek
 
 
 
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01.01.2010