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Gedächtnis und Restitution  
  Mörderisches Unrecht, Erinnerung und Wiedergutmachung sind Fragen, die Wissenschaft und Politik seit der Nachkriegszeit beschäftigen und aktuell wieder heftig debattiert werden. Das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften veranstaltet dazu eine Tagung.  
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Erinnerung, Geld, Politik und europäische Identität
Internationale Tagung zum Thema "Gedächtnis und Restitution"
21.-23. Juni
Ort: Kaiserliches Hofmobiliendepot, Andreasgasse 7, 1070 Wien

In Kooperation mit dem IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften bringt science.orf.at einen Beitrag der Historikerin Heidemarie Uhl, die seit Jänner 2001 im Rahmen des Forschungsprogrammes "Orte des Gedächtnisses" an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien tätig ist.
->   IFK - Tagungsprogramm und Informationen
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Nachholende 'Wiedergutmachung'
Ein Originalbeitrag von Heidemarie Uhl über die geschichtspolitischen Kontexte der Restitution

¿Österreich wurde durch den Einmarsch schwerbewaffneter deutscher Truppen am 12. März 1938 das erste Opfer der Hitler-Aggression und seiner völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit beraubt.¿

Dieses Statement bildet den Auftakt zu einer ¿Dokumentation¿ des Bundespressedienstes über die Wiedergutmachungsleistungen der Zweiten Republik, in der noch im Gedenkjahr 1938/88 die geläufigen Argumentationsmuster der Opferthese hinsichtlich der Forderungen von Verfolgten des NS-Regimes vertreten werden.
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Die geplante Volksabstimmung hätte ¿ein klares Votum¿ für die österreichische Unabhängigkeit gebracht, die Moskauer Deklaration sei ¿in klarer Anerkennung der historischen Fakten¿ erfolgt , schließlich hätte ein Entscheid des Nürnberger Militärgerichtshofs und schlussendlich die Streichung der sogenannten Mitschuldklausel bei den Staatsvertragsverhandlungen ¿die gewaltsame Natur des Anschlusses auf der Grundlage historischer Fakten neuerlich außer Zweifel gestellt¿.
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Daher könne Österreich ¿grundsätzlich zu einer Wiedergutmachung von Unrechtshandlungen gegenüber politisch, religiös oder abstammungsmäßig Verfolgten nicht verpflichtet sein¿, in ¿Berücksichtigung des schweren Unrechts und Leides¿ habe ¿Österreich¿ es aber dennoch ¿als eine moralische Verpflichtung angesehen, ... gesetzliche Maßnahmen zu treffen, um das Schicksal der ehemals Verfolgten zu mildern¿.
Prinzip der Verantwortlichkeit
Als die Jewish Claims Conference nach Abschluß des Abkommens mit der BRD, wo 1953 das Bundesentschädigungsgesetz beschlossen worden war, Forderungen nach materiellen Wiedergutmachungsleistungen an Österreich richtete, zog sich die Regierung auf den Standpunkt zurück, Österreich sei als ein von den Deutschen besetztes Land staatsrechtlich nicht zu Leistungen verpflichtet und trage auch keine moralische Verantwortung, da die Verbrechen an den Juden von den Deutschen begangen worden wären.

Erst auf Druck der Weltöffentlichkeit und des Alliierten Rates fand sich die Regierung schließlich zu Leistungen bereit, ohne jedoch das Prinzip der Verantwortlichkeit anzuerkennen.
Die Lebenslüge
Die Entlegitimierung des österreichischen Nachkriegsmythos und seine Entlarvung als ¿Geschichtslüge¿ erfolgte allerdings nicht ¿ wie in anderen Ländern ¿ durch wissenschaftliche Publikationen, künstlerische Interventionen oder intellektuelle Debatten:

Vielmehr war es Kurt Waldheims Bemerkung über die Pflichterfüllung - ¿Ich habe im Krieg nichts anderes getan als Hunderttausende andere Österreicher, nämlich meine Pflicht als Soldat erfüllt¿ -, die schlagartig die Widersprüche der österreichischen Geschichtspolitik bewusst machte.

Die offenkundig weitverbreitete Identifikation mit dem Kriegsdienst in der Deutschen Wehrmacht widersprach dem Kernargument staatlicher Geschichtspolitik, wonach Österreich mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun gehabt habe.
Die Mitverantwortungsthese
Anläßlich des ¿Anschluß¿-Gedenkens im März 1988 erfolgte erstmals eine Entschuldigung ¿der Republik Österreich für von Österreichern begangene Verbrechen des Nationalsozialismus¿ (so Bundespräsident Waldheim bei seiner Fernsehansprache am Vorabend des ¿Anschluß¿-Gedenkens 1988).

Seither ist diese symbolische Geste der Entschuldigung bei den Opfern in zahlreichen politischen Erklärungen, aber auch in Manifestationen einer öffentlichen Gedenkkultur (Errichtung von Denkmälern, Mauthausen-Gedenktag, Neubau von Synagogen etc.) zum Ausdruck gebracht worden.
Erosion der Opferthese
Die stärkste Resonanz dieser geschichtspolitischen Neupositionierung zeitigte das Bekenntnis zur "Mitverantwortung für das Leid, das zwar nicht Österreich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über andere Menschen und Völker gebracht haben" in der Erklärung von Bundeskanzler Vranitzky vor dem Nationalrat am 8. Juli 1991.

Die Erosion der Opferthese und das damit verbundene Bekenntnis zur Mitverantwortung bzw. das zunehmende Unrechts-Bewusstsein im Hinblick auf die Versäumnissen in den bisherigen Restitutions-Maßnahmen bildeten die Voraussetzung für konkrete Maßnahmen materieller Wiedergutmachung seitens der Republik Österreich.
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1995 erfolgte die Einrichtung eines ¿Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus¿, im Herbst 1998 wurde eine Historikerkommission eingesetzt, mit dem Auftrag, den Vermögensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS-Zeit sowie Rückstellungen bzw. Entschädigungen seit 1945 zu untersuchen.
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Neue geschichtspolitische Konstellationen nach der 'Wende'
Die während der SPÖ-ÖVP-Regierungskoalition eingeleitete Neuorientierung hinsichtlich der Restitutionspolitik fand im Frühjahr 2001 ihren Abschluß. Die offiziellen Argumentationsstrategien im Zusammenhang mit dem Abschluß der Verhandlungen um die Entschädigung für in der NS-Zeit geraubtes Eigentum sind gerade im Hinblick auf diffizile geschichtspolitische Strategien der FPÖ-ÖVP-Regierung hinsichtlich der ¿Aufarbeitung der Vergangenheit¿ aufschlussreich.

Als einer der wenigen Erfolge der neuen Koalitionsregierung, die auch international positive Resonanz fanden, wurde öffentlich stolz auf die Leistungen der Bundesregierung im Hinblick auf bislang unterbliebene Entschädigungsmaßnahmen verwiesen.
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In einem ¿Argumentarium in Restitutionsfragen¿ auf der Homepage der ÖVP (das mit dem Stichwort ¿Vergangenheitsbewältigung¿ versehen ist) wird diesbezügliche Kritik allerdings zurückgewiesen und die bekannten Argumentationsmuster reaktiviert: Österreich habe ¿viel¿, ja ¿mehr getan hat als manch anderes europäisches Land¿.

Zugleich wird die Frage der Entschädigung von NS-Opfern mit der Entschädigung von Kriegsgefangenen in den ehemals kommunistischen Staaten Osteuropas verknüpft ¿ ein subtiles Signal an jenes Wählerpotential, das einer kritischen Thematisierung der Vergangenheit ablehnend gegenübersteht und zugleich eine symbolische Gleichsetzung der Opfer des NS-Regimes mit den deutschen Wehrmachtssoldaten im Vernichtungskrieg im Osten.
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Spannungsfelder und Perspektiven
Die ambivalenten Konnotationen, die mit dem Diskurs um ¿Restitution¿ in Österreich seit der politischen ¿Wende¿ verknüpft sind, d.h. die Einbindung dieses Themas in unterschiedliche politische Kontexte ¿ staatliche Imagepolitik, parteipolitisches Kalkül und geschichtspolitisches Taktieren, aber auch Argumentationen moralisch-ethischer Verantwortung ¿ können dazu beitragen, die Frage der Polyvalenz des Gedächtnisses an den ¿Zivilisationsbruch Auschwitz¿ (Dan Diner) im Spannungsfeld von Politik, Kultur und Ethik aus neuer Perspektive zu diskutieren.
->   Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur, Leipzig
->   Museum of Tolerance": Online Multimedia Learning Center
->   Österreichische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte
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->   IFK - Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften
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01.01.2010