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Von Gen-Reisen und Sprüngen  
  Auf die Frage nach dem Ursprung des menschlichen Genoms war oft von der 'Eingemeindung' bakterieller Gene in das menschliche Genom die Rede. Neue Untersuchungen deuten aber daraufhin, dass Gene nicht einfach von Bakterien auf Menschen 'übergesprungen' sind. Sie sind vielmehr von gemeinsamen Vorfahren weitergegeben worden.  
Die Sequenz des menschlichen Genoms enthält einige Überraschungen. Die jüngste öffentliche Ankündigung des "International Human Genom Sequencing Consortium", wonach angeblich 113 Gene im Laufe der Evolution durch einen so genannten 'horizontalen Gentransfer' von Bakterien auf den Menschen übergesprungen waren, erregte Aufsehen.

Doch diese Behauptung stieß bei vielen Evolutionsbiologen auf Skepsis. Jetzt konnten zwei Forscherteams in den USA die Aussagen des Gen-Konsortiums widerlegen, wie die aktuelle Ausgabe von "Nature" (Nature, 411, S. 940-944) berichtet.
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Horizontaler Gentransfer
Der horizontale Gentransfer ist die Weitergabe bzw. Aufnahme genetischen Materials außerhalb der sexuellen Fortpflanzungswege und unabhängig von bestehenden Artgrenzen. Abhängig von bestimmten Voraussetzungen, ist ein horizontaler Gentransfer - etwa von einer Pflanze auf ein Bodenbakterium - grundsätzlich möglich, aber ein unter natürlichen Bedingungen seltenes Ereignis. Bei der Sicherheitsbewertung gentechnisch veränderter Pflanzen sollte die Möglichkeit der Weitergabe eines Fremd-Gens über einen horizontalen Gentransfers berücksichtigt werden, unabhängig von der Wahrscheinlichkeit des Eintretens. So könnten etwa als Marker-Gene verwendete Antibiotika-Resistenz-Gene von einer transgenen Pflanze an Boden- oder Darmbakterien weitergegeben werden.
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Nur bei Bakterien und Mensch
Die ursprüngliche Analyse ging davon aus, dass Gene existieren, die sich nur der Mensch und bestimmte Bakterienarten teilen. Sie sind weder in Pflanzen oder anderen Tieren zu finden. Deshalb seien diese Gene 'geeignete' Kandidaten für horizontalen Gentransfer, so das Gen-Konsortium.

Die anderen Organismen könnten, so eine Theorie, jene nur bei Bakterien und Mensch vorhandenen Gene im Laufe der Evolution verloren haben. "Das ist ein in der Evolution durchaus übliches Ereignis", erklärt Jonathan Eisen vom "Institute of Genomic Research" in Rochville, Maryland (USA).
Überraschende Funde widerlegen Theorie
Um dieser These nachzugehen, re-analysierten Eisen und seine Kollegen die vorhandenen Gensequenzdaten, aber diesmal verglichen sie die Daten von einer wesentlich größeren Anzahl verschiedener Organismen. In einigen Fällen fanden die Forscher sich ähnelnde Gene diesmal in diversen Parasiten, Schwämmen und Pilzen. Damit konnte ein direkter Gentransfer von bestimmten Bakterien auf den Menschen ausgeschlossen werden, wie "Science" (292, 1903 - 1906, 2001) letzte Woche berichtet.

In der neuen Publikation von "Nature", konnten Michale Stanhope und seine Kollegen von GlaxoSmithKline die Arbeiten von Eisen bestätigen. Sie zeigen, dass die meisten der Kandidaten für einen Gentransfer von Bakterien auf Menschen auch in anderen Organismen zu finden sind und deshalb für eine direkte Übertragung von Bakterium auf Mensch ausscheiden. Fast alle dieser Gene kommen auch bei weit entfernten Verwandten vor.
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Seltenes bis unwahrscheinliches Ereignis?
Ein erfolgreicher Gensprung von Bakterien auf den Menschen müsste vom Bakteriengenom schnell und direkt in menschliche Ei- oder Samenzellen erfolgt sein, um auch in den folgenden Generationen vertreten zu sein. "Es ist ein außergewöhnliches Ereignis, so dass es unwahrscheinlich ist, dass das Ganze 113 mal aufgetreten ist", folgert Stanhope.
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Umfassende Analyse
"Unsere Studie bietet eine umfassende Auswahl von Sequenzen", erklärt Stanhope, "vom Schleimpilz bis zur Mücke." Der horizontale Gentransfer scheint zumindest in diesen Fällen widerlegt. Die Gene stammen wahrscheinlich von einem gemeinsamen Vorfahren ab - bevor Prokaryoten und Eukaryoten eigene Wege gingen.
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Pro- und Eukaryoten
Prokaryoten haben im Gegensatz zu den Eukaryoten keinen echten Zellkern. Es fehlen die von einer Elementarmembran umgebenen Zellorganellen wie Mitochondrien und Chloroplasten. Sie besitzen kein endoplasmatisches Reticulum. Zu den Prokaryoten gehören die Bakterien und die Blaualgen. Eukaryoten dagegen besitzen einen echten Zellkern, deren Zellen im Gegensatz zu Prokaryoten eine Kernhülle besitzen und Kernteilungen durchlaufen. Ihre Zellstruktur ist die Basis aller höheren Tiere und Pflanzen.
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Ob damit ein horizontaler Gentransfer von Bakterien auf Eukaryoten grundsätzlich auszuschließen ist, bleibt offen. Der Streit geht damit weiter. Der Evolutionsbiologe Russell Doolittle von der University of California in San Diego hält das Ganze für einen "Sturm im Wasserglas", der aber zumindest zur "Klärung der Situation" diene.

(red)
->   Artikel im 'Nature Science Update' zum Gentransfer
Originalartikel in 'Nature' unter dem Titel "Stanhope, M.J. et al. Phylogenetic analyses do not support horizontal gene transfers from bacteria to vertebrates." Nature, 411, 940 - 944, (2001: kostenpflichtig).
->   Originalartikel in 'Nature'
Originalartikel in 'Science' unter dem Titel " Salzberg, S.L., White, O., Peterson, AJ. & Eisen, J.A.Micorobila genes in the human genome: lateral transfer or gene loss?". Science, 292, 1903 - 1906, (2001; kostenpflichtig).
->   Originalartikel in 'Science'
->   Nature Genome Gateway
->   The Institute for Genomic Research
 
 
 
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01.01.2010