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Erkenntnisse der Hirnforschung über Bewusstsein  
  "Es sollte ein Moratorium für Äußerungen von Wissenschaftlern über das Bewusstsein geben. Weder Philosophen noch Neurowissenschaftler können etwas Neues dazu sagen." So schrieb Stuart Sutherland vor fünf Jahren in dem renommierten Wissenschaftsmagazin "Nature".  
Manche Hirnforscher halten sich seither an diese Mahnung. Andere geben dem Drängen des Publikums nach, das sich immer mehr Antworten von den empirischen Wissenschaften auf alte philosophische Fragen erwartet. Ein Musterbeispiel dafür ist die Frage nach dem freien Willen.
Der freie Wille ist Illusion
Für Neurowissenschaftler wie Wolf Singer vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt ist der freie Wille nichts als eine Illusion. Unserer Gedanken, Entschlüsse, Emotionen und Handlungen sind eindeutig von neuronalen Prozessen abhängig, erklärt er.
Alte Begriffe sind unbrauchbar
Für Hirnforscher wie Ernst Pöppel vom humanwissenschaftlichen Zentrum der Universität München sind alte philosophische Begriffe wie der freie Wille überhaupt unbrauchbar oder gar sinnlos.
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Messbares und Beobachtbares
Er orientiert sich in seiner Arbeit an Messbarem und Beobachtbarem. Hier sieht er ganz klare Zusammenhänge zwischen Hirnschäden und biologischen bzw. geistigen Ausfällen.
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Konzentration auf Konkretes statt "sinnloser Fragen"
Auch der Mathematiker und Neurobiologe Nikos Logothetis vom Max-Planck-Institut für kybernetische Biologie in Tübingen hält die Frage nach dem freien Willen für sinnlos.

So große Worte wie den freien Willen sollten Neurowissenschafter am besten gar nicht in den Mund nehmen, meint der Wissenschaftler. Man solle sich vielmehr auf konkrete Daten und Fakten konzentrieren.
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Logothetis erforscht zusammen mit Christof Koch und dem Nobelpreisträger Francis Crick, was sich beim Sehen im Gehirn exakt abspielt.
->   Max-Planck-Institut für kybernetische Biologie
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Man müsse ganz bescheidene Fragen stellen und sich auf winzige Teilergebnisse beschränken. Denn es sei noch so vieles im Gehirn absolut ungeklärt. Und erst wenn es genug verlässliche Daten gäbe, könne man die nächsten Schritte machen.
Bewusst und unbewusst
Was man konkret über das Bewusstsein weiß, ist, dass es in großem Maße vom Unbewussten bestimmt ist. So gibt es etwa einen berühmten Versuch von Benjamin Liebet in den USA.

Liebet hat nachgewiesen, dass es im Gehirn schon Aktivitäten gibt, lange bevor wir das Gefühl haben, bewusst einen Entschluss zu fassen. Wir werden also von Hirnregionen gesteuert, die uns nicht bewusst sind, die aber unsere Handlungen lenken.
Die Neigung zum Rationalisieren
Wie sehr Menschen zu Rationalisierungen neigen, also gefühlsmäßige Entscheidungen im nachhinein "vernünftig " zu begründen versuchen, schildert auch Rita Carter in Ihrem Buch "Atlas Gehirn".
Das "Strumpf-Experiment"
Bei einem Experiment wurde beispielsweise eine Auswahl von Nylonstrümpfen präsentiert und eine Gruppe von Frauen wurde aufgefordert, sich ein Paar auszusuchen.

Als sie gefragt wurden, warum sie gerade diese Wahl getroffen hätten, konnten alle Frauen detaillierte und nachvollziehbare Gründe angeben. Sie bezogen sich auf leichte Unterscheide in der Farbe, Struktur oder Qualität.

In Wirklichkeit aber waren alle Strümpfe identisch und die "Gründe " der Frauen waren in Wahrheit Rationalisierungen, die sie konstruierten, um ein im Grunde unerklärliches Verhalten zu rechtfertigen.
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->   Rita Carter, Mapping the Mind
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Große Fortschritte in der Neurowissenschaft
Die Neurowissenschaft macht große Fortschritte. Man weiß inzwischen viel darüber, wie Zellen miteinander kommunizieren, welche Hirnbereiche bei welchen Tätigkeiten aktiv sind und wie sie untereinander vernetzt sind.
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Das Gehirn als Computer?
Unser Gehirn wird oft mit einem Computer verglichen. Dieser Vergleich ist aber nicht zutreffend, darin sind sich Hirnforscher einig. Im Gehirn gibt es nämlich keine Schaltzentrale. Es wird nicht seriell Schritt für Schritt prozessiert. Im Gehirn gibt es vielmehr eine hochkomplexe parallele Verarbeitung. Und dabei spielen rhythmische Muster wie Zeitstrukturen eine ganz wichtige Rolle. Nur präzis getaktet funktioniert das Gehirn, nur so entsteht Aufmerksamkeit und darauf basieren höhere Hirnleistungen.
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Noch immer ist vieles unklar
Noch ist aber vieles bei Hirnprozessen unklar und damit können Hirnforscher Fragen nach dem Bewusstsein nicht befriedigend beantworten.

Ob ein zukünftiges noch besseres Verständnis unseres Gehirns überhaupt jemals die erhofften Antworten auf Fragen nach unserem Bewusstsein bringen wird - da gehen die Meinungen der Wissenschafter auseinander.

Ein Beitrag von Maria Mayer für das Salzburger Nachtstudio
Mehr dazu hören Sie am 04. Juli, um 21.01 im Salzburger Nachtstudio auf Radio Österreich 1.
->   Radio Österreich 1
 
 
 
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01.01.2010