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Delphi orakelte durch Nervengifte  
  Das Orakel von Delphi war in der Antike ein bekannter Ort für die Rat Suchenden unter den Großen und Mächtigen. Vom Ursprung der schon damals beschriebenen Dämpfe, die die Seherin zwecks Erleuchtung einatmete, konnte jedoch bisher keinerlei Spur gefunden werden. Neue geologische Untersuchungen der Gegend haben allerdings ergeben, dass die Tempelruinen tatsächlich über einer geologischen Verwerfung liegen, aus der berauschende Gase aufsteigen.  
Zu diesem Schluss kommt eine Studie von US-Wissenschaftlern, die im Fachmagazin "Geology" veröffentlicht wurde. Eine Gruppe von Geologen um Jelle de Boer von der Wesleyan University in Connecticut (USA) hat eine bisher unbekannte geologische Verwerfung - eine Art Bruchlinie im Gestein - entdeckt, die genau durch das antike Orakel, ein Heiligtum des Gottes Apollo, führt.
Berauschendes Gas nachgewiesen
Aus dieser Bruchlinie, so die Forscher, treten leichte Kohlenwasserstoffgase aus, die im darunter liegenden Gestein entstehen. Sie wiesen Spuren von Ethylen nach, einem Gas, das eine gewisse berauschende Wirkung hat. Laut Beschreibungen des Orakels hat die Seherin für ihre Weissagungen Dämpfe eingeatmet.
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Die Ruinen des Apollontempels.
Das Orakel von Delphi
Die antike Stadt Delphoi war seit dem achten Jahrhundert v. Chr. der wichtigste Kultort des Gottes Apoll. Die Sage erzählt, dass Apoll dort einen Drachen tötete. Mittelpunkt des Ortes war der Apollontempel: In ihm verkündete die Seherin Pythia die Orakel Apollons.

Allerdings waren ihre Sprüche bekannt für ihre Zweideutigkeit: "Prominentestes" Beispiel ist Krösus oder Kroisos, der König der Lyder. Er fragte beim Orakel an, was geschehe, wenn er den Fluss Halys überschreite, um gegen den Perserkönig Kyros II. zu kämpfen. Die Antwort lautete, dann werde ein großes Reich zerstört, was Krösus zu seinen Gunsten interpretierte. Er wurde jedoch von Kyros besiegt und sein Reich wurde zerschlagen.
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Augenzeugenbericht von Plutarch
Das genaue Wissen darüber, wie die Weissagungen konkret vor sich gingen, hat man übrigens aus den Schriften des griechischen Philosophen und Historikers Plutarch. Dieser war nämlich zeitweise als Hoher Priester des Orakels tätig. Er beschreibt, wie die Seherin Pythia im Allerheiligsten des Tempels Dämpfe aus einem Riss oder einer Quelle einatmete.

Die Dämpfe, so Plutarch, seien süß duftend gewesen wie Parfum. Doch als der Tempel im 19. Jahrhundert freigelegt wurde, fanden die Archäologen keinerlei Erdrisse oder gar austretende Dampfwolken.
Des Rätsels Lösung gefunden?
Die neu entdeckte Verwerfung könnte des Rätsels Lösung sein: Sie wird entlang ihrer Linie von aktiven und ausgetrocknete Quellen begleitet. Tatsächlich liegt ein altes Quellenhaus innerhalb des Tempels genau auf der Bruchkante.

Eine weitere geologische Bruchkante, die seit längerem bekannt ist, kreuzt sich mit der Neuentdeckung direkt unterhalb der Tempelruinen, wie die Wissenschaftler schreiben. Dadurch wird das dort vorhandene bitumenreiche Kalkgestein durchlässiger für Gase und Grundwasser, so die Studie.
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Bitumen
Bitumen, auch Erdharz genannt, wird bei der schonenden Aufbereitung von Erdöl gewonnenen. Es kommt jedoch auch als natürlicher Asphalt oder Asphaltgestein vor und war schon 3.000 vor Christus in Mesopotamien bekannt. Es handelt sich um dunkle, halbfeste bis harte, schmelzbare, hochmolekulare Kohlenwasserstoffgemische.

In Europa wurde Bitumen in der mittelalterlichen Heilkunde verwendet. Der Stoff gilt als Krebs erregend. Verwendung findet er u.a. als Anstrichstoff, im Straßenbau und zur Dachpappenfertigung.
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Spuren von Ethylen festgestellt
Seismische Aktivität könnte die Vorkommen erhitzt und dadurch Kohlenwasserstoffgase freigesetzt haben, so die Vermutung der Wissenschaftler. Tatsächlich enthält das Wasser einer Quelle nordwestlich des Tempels Methan, wie sie in der Studie berichten. Und - weitaus spannender - auch Spuren von Ethylen konnten festgestellt werden.
Ethylen: Süß duftend, wie Plutarch es beschrieb
Ethylen ist ein süßlich duftendes Gas, das auf das Zentralnervensystem wirkt. Einstmals wurde es in der Medizin für die Anästhesie verwendet. In großen Mengen wirkt das Gas tödlich, doch kleinere Dosen rufen eine schwebende Empfindung und euphorische Zustände hervor.

Möglicherweise ist man hier also endlich auf den Ursprung der antiken Orakel gestoßen. Die Seherin hat Ethylen eingeatmet - und war schlicht und ergreifend berauscht, wenn sie ihre vieldeutigen Sprüche verkündete.
->   Wesleyan University Department of Earth and Environmental Sciences
->   "Geology"
 
 
 
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01.01.2010