News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
MS: Krankheit der tausend Gesichter  
  Multiple Sklerose (MS), eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die Isolierschichten der Nerven angreift und zerstört, zeigt sich in unterschiedlichsten Verlaufsformen.  
Läsionen können überall im Gehirn auftreten
Was das eine Mal mit Seh- oder Empfindungsstörungen, das andere Mal mit Lähmungserscheinungen beginnt - das kann mitunter sehr rasch im Rollstuhl oder auch tödlich enden, wenngleich diese aggressiven Verlaufsformen nur einen geringen Prozentsatz ausmachen.

Der Neuroimmunologe Hans Lassmann: "Die Multiple Sklerose hat deswegen so viele Gesichter weil die Läsionen, also die Krankheitsherde überall im Gehirn auftreten können. Und es ist ganz klar, dass beispielsweise ein Krankheitsherd im optischen Nerven zum Beispiel zur Erblindung führt, während ein Krankheitsherd im Rückenmark zum Beispiel zu einer Lähmung des Beines führen kann."
10.000 Österreicher und -innen leiden an MS
In Österreich leiden an die 10.000 Menschen an Multipler Sklerose - 71% davon sind Frauen. Dafür nehmen Männer meist einen schwereren Verlauf als Frauen.

Von den 85% der MS-Patienten, die zu Beginn einen schubförmigen Verlauf haben, gehen 75% innerhalb von fünf bis 10 Jahren in einen sekundär progredienten Verlauf (in eine schleichende Verschlechterung) über.
Ursachen: Virale Infekte, Hormone ...
Bei entsprechender genetischer Disposition dürften u.a. virale Infekte krankheitsauslösend sein. MS dürfte aber auch eine hormonelle Komponente haben, weil in der Zeit nach einer Geburt das Erkrankungsrisiko erhöht, während der Schwangerschaft reduziert ist.
... plus genetische Disposition
Multiple Sklerose ist keine Erbkrankheit, hat aber eine genetische Komponente - das haben Zwillingsstudien eindeutig gezeigt. Zu einer Autoimmunerkrankung - wie der Multiplen Sklerose - kommt es nur, wenn zwei bestimmte Genvariationen (lokalisiert auf bis zu 25 verschiedenen Genen) zusammen kommen.
...
Prof. Georg Wick vom Institut für Pathologische Physiologie der Universität Innsbruck: "Auf der einen Seite sind Gene notwendig, die zu einer vermehrten Autoreaktivität führen - das Immunsystem ist einfach genetisch so programmiert, dass es vermehrt gegen den eigenen Körper reagiert. Wir haben aber gezeigt, dass das allein nicht genügt, sondern dass man auch Gene besitzen muss, die das Zielorgan ( das Myelin) empfänglich machen für die Autoimmunattacke. Nur wenn man diese beiden Gene oder Gengruppen besitzt, nur dann kommt es wirklich zur Autoimmunerkrankung."
...
Verschiedene Therapieansätze
Im akuten Schub ist nach wie vor die Behandlung mit Kortison die Therapie der Wahl. Dadurch wird die Schubdauer verkürzt, aber niemand habe bisher nachweisen können, dass die Kortisonbehandlung einen Einfluss auf die Langzeitprognose hat - sagt Karl Vass von der Wiener Universitätsklinik für Neurologie.

Um Schübe zu verhindern oder hinaus zu zögern, werden in Österreich seit 1995 MS-Patienten auch mit Beta-Interferon behandelt. Diese immunmodulierenden Substanzen kommen aber nur bei schubförmigem Verlauf bzw. in der frühen Phase des Überganges in den progredienten - sich schleichend verschlechternden - Verlauf in Frage.
Immuntoleranz noch im Versuchsstadium
Ein Therapieansatz im Versuchsstadium ist die Erzielung von Immuntoleranz. Dabei werden den Patienten Myelin-Strukturen verabreicht, damit sich das Immunsystem in diese gewöhnt und das körpereigene Myelin nicht mehr angreift. Die Erwartungen, die man in diesen Behandlungsform setzte, wurden bisher allerdings nur zum Teil erfüllt.
...
Der Neuroimmunologe Hans Lassmann: "Es gibt bereits eine etablierte Therapie, die auf der Basis der Toleranzinduktion funktioniert und das ist die Therapie mit Copolymer 1. Es wird hier versucht, dass man jene Teile des Myelin bzw. der Zentralnervensystem-Eiweißmoleküle, die möglicherweise eben von den Abwehrzellen erkannt werden, so modifiziert, dass die Abwehrzellen wieder umprogrammiert werden und sozusagen die Erkrankung unterdrücken."
...
Immunzellen durchbrechen Blut-Hirn-Schranke
Die der Multiplen Sklerose zugrundeliegenden Entzündungsherde werden durch T-Lymphozyten (weiße Blutkörperchen) und auch Antikörper initiiert, wobei die Abwehrzellen offensichtlich von Botenstoffen ins Gehirn gelockt werden. Die Blut-Hirn-Schranke machen sie sich durch körpereigene Proteine (Metalloproteinasen) durchlässig.

Durch die Hemmung dieser Metalloproteinasen ließe sich auch MS behandeln. Dieser Therapieansatz scheiterte bisher daran, dass eine sehr spezifische Hemmung gelingen müsste, weil viele der heute bekannten Metalloproteinasen auch wichtige Funktionen im Organismus haben - sie sind an allen Prozessen des Gewebumbaus beteiligt, an der Wundheilung, der Ovulation.
Einbremsen der Chemokine
Ein weitere möglicher Therapieansatz wäre, die Chemokine, die die Entzündungszellen ins Gehirn locken, einzubremsen. Dass dies theoretisch möglich ist - das hat man an der Universitätsklinik für Neurologie in Graz in Tiermodellen ganz eindeutig zeigen können. In den USA beginnt man dieses Behandlungskonzept demnächst im Rahmen einer Studie erstmals an Patienten um zu setzen.
Psychische Komponenten
So wie auf der einen Seite psychische Belastungen einen Schub auslösen können - kann eine positive Einstellung zur Krankheit auch den Verlauf positiv beeinflussen - betonen sowohl Patienten als auch Ärzte. Wobei die Krankheit bei vielen Patienten zu einer bewussteren Lebensgestaltung führt.
...
Ulf Baumhackl vom Krankenhaus St. Pölten: "Das soll man jetzt nicht falsch verstehen - ich hab eine ganze Reihe von Patienten, die mir gesagt haben, sie haben durch die Erkrankung und die Auseinandersetzung mit der Erkrankung sehr viel an Lebenserfahrung, an Verhaltensstrategien für sich selbst gelernt, leben anders und in vielen Bereichen positiver als zuvor."
...
Leben wird intensiver erfahren
Aus der Sicht einer betroffenen MS-Patientin, die schon über Monate fast bewegungsunfähig an Bett bzw. Rollstuhl gefesselt war, die sich davon aber wieder recht gut erholt hat - hört sich das so an:

"Was ich nicht ändern kann, hacke ich geistig ab - dazu gehört die Diagnose. Aber das Leben damit ist möglich und aus meiner Erfahrung jetzt sehr viel intensiver als wie ich noch gesund war."

Ein Beitrag von Evelyn Schütz für die Ö1-Dimensionen
->   Österreichische MS-Gesellschaft
->   MS-Gateway
->   MS-Standard
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010