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Forza Wissenschaft  
  Italien liegt an diesem Wochenende im Mittelpunkt des Weltgeschehens. In Genua findet der G-8-Gipfel statt, bei dem sich die Staatschefs der führenden Industrienationen treffen. Grund genug für science.orf.at, sich die Situation der Wissenschaft bei unserem südlichen Nachbarn anzusehen.  
Kluft zu vergleichbaren Nationen
Nature widmet der Wissenschaft in Italien in seiner aktuellen Ausgabe einen Schwerpunkt. Grundtenor der Analyse: Zwar wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe institutioneller Reformen begonnen. Dennoch müssen weitere Schritte zum Umbau der Wissenschaftslandschaft folgen, um die bestehende Kluft zu vergleichbaren Nationen zu überwinden.

Welche Pläne die neue Regierung um Medien-Tycoon, Forza Italia-Vorsitzenden und Premierminister Silvio Berlusconi diesbezüglich hat, ist indes unklar.
Alles ändern, damit alles gleich bleibt?
Der berühmte Satz aus Giovanni di Lampedusa's Sizilien-Erzählung "Der Leopard", wonach "alles geändert werden muss, damit alles gleich bleibt", könnte sich auch auf die gegenwärtige Wissenschaftspolitik des Landes beziehen. Denn obwohl es seit einigen Jahren Reformbestrebungen gibt, sind Fortschritte erst in Ansätzen zu erkennen.
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Italien muss sich bei statistischen Daten wie Ausgaben für Wissenschaft und Forschung (1 Prozent des Bruttoinlandprodukts) eher mit Portugal (0,8%) messen als mit Österreich (1,8%), Deutschland (2,5%) oder Japan (2,9%). Auch bei der Anzahl von Wissenschaftlern und Forschern pro Tausend Arbeitskräfte liegt Italien mit statistischen 3,3 nur knapp vor Portugal (3,2) und klar hinter dem Eu-Durchschnitt von 5,3. (Quelle: EU-Kommission)
->   EU-Kommission: Wissenschaftspolitik im Überblick (pdf-datei)
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Dabei ist der Stellenwert der italienischen Wissenschaft nicht zu unterschätzen. Wie Statistiken der Europäischen Kommission belegen, liegt die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen zwar unter dem europäischen Durchschnitt, im Ranking der vielzitierten Veröffentlichungen ist Italiens Forschergemeinde aber im oberen Drittel zu finden.
Budgetknappheit und Bürokratie
Zum Teil sind die Probleme der Wissenschaft Italiens auf chronische Knappheiten des Budgets zurückzuführen. Vor allem aber ist es nach Angaben von Nature die aufgeblähte Bürokratie, die der Forschung zu schaffen macht.

Bis vor kurzem etwa wurden neue akademische Positionen von mächtigen, zentralen Kommissionen bestellt - was zu einem unüberschaubaren Paternalismus und Klientilismus führte.
Mit "Saubere Händen" begannen Reformen
Nachdem die Anti-Korruptions-Richter von "Mani Pulite" (Saubere Hände) Anfang der 90er Jahre beinahe die ganze politische Elite des Landes aus ihren Ämtern gefegt hat, begann auch in der Wissenschaft eine Phase der Reformen.

1997 erließ Franco Bassanini, der Verwaltungsminister der damaligen Mitte-Links-Koalition, ein Gesetz, wonach Statuten öffentlicher Einrichtungen geändert werden können, ohne im Parlament behandelt werden zu müssen.

Darunter fielen auch die Forschungsinstitutionen des Landes wie der "Nationale Forschungsrat" CNR, der unter anderem für die Bereitstellung von Fördermitteln verantwortlich ist. In einer ersten Reformphase wurden die über 300 verschiedenen Forschungszentren und -institutionen zu knapp 100 zusammen gefasst.
Organisatorische Änderungen
Auch die Organisationsstrukturen des CNR wurden geändert. Zuerst wurden 15 Fachkommissionen aufgelöst, die vor allem aus Universitätsprofessoren bestanden und sowohl für die Berufung neuen Personals als auch für die Forschungsinhalte und die Verteilung der finanziellen Mittel zuständig waren.

Die CRN-Leitung liegt derzeit in den Händen eines interimistischen, neunköpfigen Exekutivrates (consiglio direttivo). Vier von ihnen werden von akademischen Forschern gewählt, vier stammen aus dem die Regierung beratenden Forschungs- und Wissenschaftsrat (AST), dazu kommt noch der Präsident.
Korruptionsanfällige Berufungs-Systeme
Ein weiteres strukturelles Problem für die italienische Wissenschaft betrifft nach Angaben von Nature die Modalitäten neuer Berufungen an den Universitäten. Das traditionelle System basierte auf nationalen Wettbewerben, den so genannten "concorsi", bei denen sich Anwärter auf akademische Posten bewerben konnten.

Sie waren berühmt und berüchtigt für Bestechungen und Günstlingswirtschaft - in den 90er Jahren landeten an die 50 Korruptionsfälle vor den Staatsanwälten, die bislang allerdings mit keiner Verurteilung endeten.

1998 wurden die nationalen "concorsi" abgeschafft und die Universitäten können seither ihre Berufungsmodalitäten selbst bestimmen. Das hat zwar die oft sehr langwierigen Bestellungsprozeduren beschleunigt, konnte den Klientilismus aber nicht wirklich beseitigen, wie Dario Braga von der Universität von Bologna gegenüber Nature erklärte.
Fragezeichen Berlusconi
Wie die Regierung Berlusconi mit der optimierungsfähigen Wissenschaft Italiens umgehen wird, ist bis jetzt unklar. Neue Wissenschaftsministerin ist Letizia Moratti, Investment-Bankerin und ehemalige Präsidentin des staatlichen Fernsehens RAI. Ihr Stellvertreter ist der Nukleartechniker Ruido Possa, ein Schulkamerad von Berlusconi.

Moratti wollte Nature kein Interview bezüglich ihrer Pläne geben, eine ihrer ersten Aufgaben könnte aber die Umsetzung des noch von der letzten Regierung stammenden Nationalen Forschungsplans sein. Mit Finanzmitteln, die aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen an verschiedene Funknetzbetreiber stammen, sollen dabei in den nächsten drei Jahren strategische Forschungsziele gefördert werden - darunter Gentechnik und Nanotechnologie.
Entscheidet das Geld?
Noch ist aber unklar, ob sich die neue Regierung tatsächlich an die Umsetzung dieses Plans machen wird oder verstärkt wirtschaftsorientiertere und noch anwendungsbezogenere Forschung im Auge hat.

Wie dem auch sei, trotz aller organisatorischen und institutionellen Änderungen, wird vor allem die Höhe des künftigen Budgets über die Zukunft der italienischen Wissenschaft entscheiden.

Arturo Falaschi, Mitglied des interimistischen CNR-Rates und Direktor des Zentrums für Gentechnik in Triest: "Es wird schwierig, das neue System effizient zu nutzen, wenn keine zusätzlichen Gelder zur Verfügung gestellt werden."

(red)
->   Forza Scienca!
Originalartikel in der aktuellen Ausgabe von Nature (kostenpflichtig):
->   Can the leopard change its spots?
->   Nature
 
 
 
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01.01.2010