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Wo die Alkoholsucht im Gehirn sitzt  
  Nicht nur der direkte Genuss von Alkohol bei "trockenen" Alkoholikern kann eine körperliche Reaktion auslösen. Allein die Stimulation mit alkoholischen Duftreizen genügt, um die Sucht zu "aktivieren". Die Entdeckung der damit verbundenen Gehirnaktivitäten macht jetzt effektivere Therapien möglich.  
Dies erklären Frank Schneider und Ute Habel von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Düsseldorfer Universität. Ihnen und ihren Kollegen ist es gelungen, die regionalen Gehirnaktivitäten bei Alkoholkranken während des sogenannten "Suchtdruckes" sichtbar zu machen, wie in der aktuellen Ausgabe von des "American Journal of Psychiatry" zu lesen ist.
Andere Gehirnaktivität
Mit Hilfe der funktionellen Kernspintomographie wiesen sie nach, dass alkoholkranke Patienten im Vergleich zu gesunden Probanden eine ganz andere Hirnaktivierung zeigen, wenn sie alkoholische Düfte wahrnehmen. Dies geht bei den Patienten zudem mit einem erhöhten Ausmaß an Suchtverlangen ("Craving") einher.
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Alkoholismus - die Ursachen
durch regelmäßiges und übermäßiges Trinken von Alkohol hervorgerufene Krankheit, die zu körperlichen, psychischen und sozialen Schäden führt. Zwischen dem gewohnheitsmäßigen, Alkoholkonsumenten und dem Alkoholkranken, der nicht mehr zum Verzicht der Droge fähig ist, muss unterschieden werden. Als Ursache für die Alkoholkrankheit wird ein Bündel psychischer, sozialer und genetischer Bedingungen diskutiert, wie die kulturell akzeptierten Muster des Alkoholkonsums in Gesellschaft und Familie, bestimmte Persönlichkeitstypen, stressbetonte und sozial isolierende Lebensbedingungen, Hilflosigkeit oder vermeintliche Ausweglosigkeit in Krisensituationen sowie ein genetischer Defekt des Alkohol abbauenden Enzyms Alkoholdehydrogenase.
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Wirksame Therapie
Zugleich konnte mit dieser Methode die Wirksamkeit einer kombinierten psychotherapeutischen und psycho-pharmakologischen Therapie nachgewiesen werden, so behaupten die Düsseldorfer Forscher. Macht ein alkoholkranker Patient eine Therapie, so beinhaltet dies üblicherweise gewisse Schritte.

Nach dem etwa eine Woche dauernden körperlichen Entzug folgt meist eine mehrwöchige Entwöhnungsbehandlung in einer Klinik, danach eine ambulante Langzeitbehandlung. Dabei lernen die Patienten, ihr Leben ohne Alkohol zu führen.
Hoher Suchtdruck bleibt
Das Problem in der Therapie ist oft, dass die Patienten auch langfristig unter einem hohen Alkoholverlangen leiden, dem Suchtdruck.

Das bedeutet, dass die Patienten neben dem psychologischen Verlangen bereits bei der Erinnerung oder Vorstellung von Alkohol oder dem Konsum alkoholtypische körperliche Reaktionen zeigen, wie beispielsweise eine Erhöhung der Herzfrequenz, des Blutdrucks oder vermehrtes Schwitzen.

Dieses Verlangen nach Alkohol kann sich in physischen und psychischen Reaktionen äußern und führt oft zu Rückfällen in die Krankheit. Mit Hilfe von Verhaltenstherapie und Medikamenten versuchen die Mediziner, das Suchtverlangen zu reduzieren und zu kontrollieren.
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Alkoholismus - die Auswirkungen
Die körperlichen Schäden der Alkoholkrankheit werden überwiegend durch ein hochgiftiges Stoffwechselprodukt des Alkoholabbaus in der Leber hervorgerufen. Es kann zu schweren Leberschäden, chronischer Bauchspeicheldrüsen- und Magenschleimhautentzündung, Magen- und Darmgeschwüren, Herzmuskelerkrankungen und neurologischen Schädigungen wie Nervenentzündungen, Hirnschrumpfung und epileptischen Anfällen kommen. Zu den häufigsten psychiatrischen Symptomen gehören die Alkoholhalluzinose mit schwerwiegenden Sinnestäuschungen, das Alkoholdelirium mit Angstzuständenund massivem Wirklichkeitsverlust und das Korsakow-Syndrom mit Verlust der Orientierung, Körperkontrolle und Gedächtnisleistung.
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Welche Gehirnregionen sind aktiv?
Frank Schneider und Ute Habel konnten in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Instituts für Medizin des Forschungszentrums Jülich und der Bonner Psychiatrischen Universitätsklinik nachweisen, welche Gehirnregionen bei dem durch alkoholische Duftreize ausgelösten Suchtverlangen bei Patienten aktiviert und damit beteiligt sind.

Dazu wurden zehn alkoholkranke Patienten einer Untersuchung mit der funktionellen Kernspintomographie unterzogen, während der wiederholt alkoholische und neutrale Geruchsreize an die Nase geleitet wurden.
Emotionen maßgeblich beteiligt
Bei der ersten Untersuchung fanden sich während der Stimulation mit Alkoholdüften spezifische Aktivierung in den Hirnregionen, die für die Emotionen wesentlich sind, in den sogenannten Mandelkernen (limbisches System).

Diese Auffälligkeiten waren nach einer dreiwöchigen Therapie bei einer erneuten Untersuchung nicht mehr nachweisbar. Gleichzeitig berichteten die Patienten, die nach jeder Stimulation zusätzlich befragt wurden, anfangs auch von mehr Suchtverlangen, welches nach der Therapie abgenommen hatte.

Somit lässt sich vermuten, dass sich emotionale Aspekte des Suchtverlangens in Aktivierungen der Mandelkerne widerspiegeln.
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Limbisches System
funktionelle Bezeichnung für im Innern des Gehirns liegende Strukturen, die untereinander und mit anderen Hirnregionen durch Faserbündel verbunden sind (Mandelkern). Das limbische System spielt eine übergeordnete Rolle bei der Steuerung vegetativ-nervöser und hormoneller sowie emotionaler Vorgänge.
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Neue Therapien in Sicht?
Damit konnte das Düsseldorfer laut eigenen Angaben den Therapieverlauf abbilden. Die Wissenschaftler glauben nun aus dieser Studie neue Ansätze für die Therapieforschung entwickeln zu können.

Denn nach den Experimenten ist nun überprüfbar, welche spezifische Therapie bei alkoholkranken Patienten am besten auf das Suchtverlangen wirkt. Zugleich haben die Wissenschaftler einen weiteren Nachweis dafür erbracht, dass das Suchtverlangen alkoholkranker Patienten auch biologische Grundlagen hat.

(red)
->   American Journal of Psychiatry
->   Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Düsseldorf
->   Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Bonn
->   Forschungszentrum Jülich
 
 
 
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01.01.2010