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Erster 'Atomchip' realisiert  
  Bei sehr tiefen Temperaturen kann unter bestimmten Bedingungen ein besonderer Zustand von Materie auftreten. In einem spektakulären Experiment haben Physiker nun einen solchen Zustand an der Oberfläche eines Mikrochips erzeugt und damit erstmals einen "Atomchip" realisiert.  
Dies berichten die Physiker Claus Zimmermann, Jozsef Fortagh und Herwig Ott vom Physikalischen Institut der Universität Tübingen.

Mit diesem Durchbruch werden die dabei erzeugten sogenannten Bose-Einstein-Kondensate auch technisch nutzbar. Zu den Effekten, die nur unter extremen Bedingungen zu erzeugen sind, gehört jenes von Albert Einstein schon in den Dreißiger Jahren prognostizierte Bose-Einstein-Kondensat.
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Bose-Einstein-Kondensat 1
Es ist ein winziges Gebilde mit spezifischen Eigenschaften. Man kühlt Rubidiumatome auf beinahe 0 Kelvin (-273,15°Celsius) ab und erreicht, dass sie kurzzeitig ihre Eigenständigkeit aufgeben und sich alle wie ein einziges Superatom verhalten: Alle haben dieselben physikalischen Eigenschaften. Ein solches Bose-Einstein-Kondensat ermöglicht eine neuartige Kontrolle über Atome. Im Bose-Einstein-Kondensat haben nun alle Atome die gleiche Energie. Die Voraussetzung ist allerdings, dass sie Bosonen sind, also Teilchen mit ganzzahligem Spin. Formal ausgedrückt besagt dies, dass die Wellenfunktionen von Bosonen bei extremer Kühlung zu einer einzigen, der des Superatoms, verschmelzen. Somit werden, da die Wellenfunktion sämtliche physikalische Eigenschaften wie Ort und Geschwindigkeit beschreibt, die einzelnen Atome ununterscheidbar.
->   Mehr zum Bose-Einstein-Kondensat
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Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt
Materie befindet sich, Millionstel Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt (-273,15°Celsius), in einem ungewöhnlichen Zustand, der mit den bekannten Begriffen fest, flüssig oder gasförmig nicht zu beschreiben ist. Claus Zimmermann und seine Kollegen haben bei ihren Experimenten eine Methode entwickelt, mit der sie dieses Bose-Einstein-Kondensat mit einem Mikrochip verbinden können.

Von der neuen Technologie versprechen sich die Physiker Fortschritte in der Grundlagenforschung, aber auch neue Möglichkeiten für die Herstellung von Kraftdetektoren und Ansatzpunkte für die Verwirklichung des Physiker-Traumes vom Quantencomputer.
->   Quantenoptik am Physikalischen Institut der Uni Tübingen
Problem der tiefen Temperaturen
Eins der schwierigsten Probleme, ein Bose-Einstein-Kondensat zu erzeugen, sind die sehr tiefen Temperaturen. "Natürlicherweise gibt es diese Bedingungen nirgends auf der Erde, das ist auch kälter als das Weltall", erklärt Zimmermann.

Die Materie muss sehr stark gekühlt werden und zieht sich dabei zusammen. Die Tübinger verwenden bei ihren Forschungen Rubidium, ein silberglänzendes, sehr weiches Alkalimetall, das bei Raumtemperatur zähflüssig ist, ähnlich wie Quecksilber.

Die tiefen Temperaturen erreichen die Tübinger über Kühlung des Rubidiums mit Laserlicht und in einem zweiten Schritt durch Verdampfungskühlung. Bei der Abkühlung auf Temperaturen dicht am absoluten Nullpunkt werden die Rubidiumatome zu kleinen Wolken mit bis zu 50 Millionen Atomen, einem winzigen Tröpfchen von der Größe eines Haardurchmessers.
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Bose-Eintein-Kondensat 2
Normalerweise lassen sich solche quantenmechanischen Effekte wie die Welleneigenschaften von Teilchen an Objekten alltäglicher Größe nicht unmittelbar wahrnehmen, da sie alle mit unterschiedlichen Phasen schwingen. Doch bei der Bose-Einstein-Kondesation beginnt jede einzelne Atomwelle exakt gleichphasig mit allen anderen zu schwingen. Die quantenmechanische Wellenfunktion erstreckt sich dann über das gesamte Kondensat und wird mit bloßem Auge sichtbar: Der Mikrokosmos stellt sich makroskopisch dar.
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Im Schwebezustand
"In diesem Zustand halten wir die Atome durch Magnetfelder schwebend und berührungslos fest und isolieren sie in einer Art Thermoskanne", beschreibt Zimmermann. Das Tröpfchen kann einige Sekunden in diesem Zustand, als Bose-Einstein-Kondensat, gehalten werden - lang genug für die Experimente der Physiker, die nur Bruchteile von Sekunden dauern.

"Die Besonderheit des Bose-Einstein-Kondensats ist, dass diese Tröpfchen eine ganz neue Materieform darstellen", sagt Jozsef Fortagh. Das Rubidium gewinnt Eigenschaften, die es im festen, flüssigen oder gasförmigen Zustand nicht hat.
Atome als Infoeinheiten auf dem Chip
Der technologische Durchbruch gelang den Tübingern, als sie das Bose-Einstein-Kondensat über der Oberfläche von einem Keramikchip herstellen und die Materie in Leiterbahnen auf dem Chip, lange feine Kanälchen, einfüllen konnten.

Die extrem dünnen Kanäle werden durch winzige, stromdurch-flossene Mikroleiter an der Oberfläche eines Keramikplättchens erzeugt. "Auf dem Chip kann man das Tröpfchen strukturieren, trennen und zusammenführen und dadurch für verschiedene Anwendungen beim Speichern oder Übertragen von Informationen nutzbar machen", erklärt Zimmermann.

In dem Chip bilden Atome die Informationseinheiten und nicht - wie bei herkömmlichen Computern - Bits mit der "Schalterstellung" Null oder Eins.
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Von Einstein vorhergesagt
Den besonderen Zustand der Materie im tiefgekühlten Kondensat hatte der Physiker Albert Einstein bereits 1923 auf der Basis von Arbeiten des indischen Physikers Satyendra Nath Bose in der Theorie vorhergesagt. Bose hatte solche Systeme bei Photonen, Lichtquanten, untersucht. Einstein hat die Ergebnisse auf Materieteilchen übertragen. Im Bose-Einstein-Kondensat seien Teilchen enthalten, so Zimmermann, die sich jeweils wie eine Welle verhalten, im Gleichtakt der Teilchen entstehe eine große Welle. "Einstein hat das nur als akademische Fingerübung gesehen", so der Physiker. Einstein hätte im Experiment wohl auch nicht die notwendigen tiefen Temperaturen für Bose-Einstein-Kondensate erzeugen können. Das gelang Wissenschaftlern zum ersten Mal erst 1995, als die Kühlung über Laserlicht entwickelt worden war.
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Auch mit Wasserstoff möglich
Bose-Einstein-Kondensate lassen sich nicht nur mit Rubidium, sondern auch mit chemisch verwandten Elementen wie Wasserstoff oder Lithium herstellen.

Rubidium ist jedoch am besten untersucht und lässt sich mit einfachen Lasern, wie sie etwa auch in CD-Spielern verwendet werden, gut kühlen.
Auf dem Weg zum Quantencomputer
Auch die Chips, über denen die Tübinger Physiker Bose-Einstein-Kondensate herstellen, lassen sich mit Standardtechnologien herstellen. Sie hoffen, dass mit Hilfe der tiefgekühlten Kondensate auch besonders leistungsfähige Quantencomputer entwickelt werden könnten.

Solche Computer sind bisher nur graue Theorie. Doch an dem Forschungsgebiet arbeiten zahlreiche Wissenschaftler. Noch wird nach einem System gesucht, mit dem sich ein Quantencomputer realisieren ließe. "Mit unserer Entwicklung sind Bose-Einstein-Kondensate ein heißer Kandidat", meint Zimmermann.
Wie Licht in der Glasfaser
In dem von den Tübingern entwickelten "Atomchip" bewegen sich die Materiewellen wie Licht in einer Glasfaser. Bisher war das Interesse an Bose-Einstein-Kondensaten "vor allem akademisch", so Zimmermann.

Die Forscher setzen nun auf die Entwicklung atomoptischer Bauelemente, mit denen Drehungen, Beschleunigungen und Kräfte mit bisher unerreichter Empfindlichkeit gemessen werden könnten, zum Beispiel auch zur Messung der Schwerkraft.
Ungewöhnliche Interferenz-Phänomene
Die Tübinger Physiker wollen zunächst die ungewöhnlichen Interferenzphänomene der Bose-Einstein-Kondensate genauer untersuchen, die auftreten, wenn das Kondensat stark in die Länge
gezogen und aufgeteilt wird.

"Die Kanälchen auf dem Chip sind zwar höchstens zwei Zentimeter lang, doch im Größenvergleich wird das Kondensat so lang gezogen wie eine vier Meter breite Autobahn, die tausend Kilometer lang ist", erklärt Zimmermann. Nach Einschätzung der Physiker behält das Kondensat jedoch in einem weiten Bereich die interessanten quantenmechanischen Eigenschaften.

(idw/red)
->   Physikalisches Institut der Universität Tübingen
 
 
 
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01.01.2010