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Stadt der Gegensätze: Raumplanung in Moskau  
  Moskau ist für Städteplaner ein ungewöhnliches Studienbeispiel: Wachstum in die Breite, keine Wolkenkratzer, riesige Satellitenvorstädte in der Peripherie. Der Verkehr explodiert und der Luxuswohnbau boomt. Moskau ist eine Stadt, die derzeit aufgrund ihrer Geschichte eine einzigartige Bauentwicklung erlebt.  
Alexei Klimenko ist Denkmalschützer, Architekturexperte und er ist vor allem eines: ein Moskauer, der seine Stadt liebt. Wenn man mit dem Russen durch die Moskauer Innenstadt fährt, gehen bei ihm die Emotionen hoch.
Kitsch und Imitation regieren
Kitsch und Imitation, so der Experte, regierten derzeit in Moskau. Individualität beim Bauen gilt nichts mehr, beklagt Klimenko. Auch die orthodoxe Kirche verfolge diese Ideologie der Imitation - beliebt sei vor allem der Byzanzstil.
Schnelles Geld am Bau
Gegenwärtig fließen gewaltige Geldmengen in die Baubranche. Doch die Investoren heute denken nur daran, schnellen Profit zu machen, meint Klimenko.

Der Druck der Baulobby ist enorm. 750.000 Bauarbeiter brauchen Großprojekte, an denen sie mitarbeiten können.
Umgestaltung Moskaus in Umsetzung
Beim Moskauer Stadtplanungsamt arbeiten 500 Beamte daran, Moskau völlig umzugestalten. Das ist bereits der dritte Plan, der Moskau von Grund auf ändern soll.

Der erste wurde 1935 von Stalin unterschrieben, der zweite 1971 von Breschniew und der dritte offizielle Plan der Stadt wird seit 1999 verwirklicht.
Moskau-Planung im neuen Jahrtausend
Oleg Baevsky, der Leiter der Moskauer Stadtplanung beschreibt das neue Sanierungssystem: erstmals wurde eine Stadt in Zonen geteilt. Jede Zone ist charakterisiert durch die Höhe der Bauten, die funktionale Nutzung und den Anteil der Grünflächen.
Vorgaben statt Schmiergeldern
Die Beamten können diese Vorgaben nicht verändern. Damit ist einem alten Moskauer Problem ein Riegel vorgeschoben: der Korruption.

"Jeder Beamte erhält Schmiergeld", schildert Klimenko das alte System. "So werden Genehmigungen für Bauten mit unzähligen Stockwerken erteilt, die eigentlich gar nicht in der Höhe errichtet werden dürften."
Ziel: Bequeme Stadt zum Leben
Genplan 3 - der Generalplan 3 - hat das Ziel, eine Stadt zu schaffen, die für das Leben bequem ist. Grundlage ist die möglichst angenehme Entwicklung der schon vorhandenen Bauten.
Hauseigentümer, aber "Boden-Mieter"
Russland hat dafür ein völlig einzigartiges System entwickelt, das auf der Basis der Eigentumslosigkeit funktioniert: Häuserbau wird auf Kosten der Investoren durchgeführt, aber die Stadt bekommt trotzdem Geld. Denn die Regierung der Stadt verkauft lediglich das Recht der Bodenmiete - maximal auf 49 Jahre.

Die Gebäude sind also Privateigentum, der Boden ist gemietet. Eine Ausnahme ist der Moskau City Komplex - für den der Boden an einen Privaten verkauft wurde.
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Moskau City Komplex : "Luxusinsel" mitten in Moskau
Moskau City Projekt- ein für Russland einzigartiges Zentrum, sagt Marina Manitscheva vom Investment Department des Moscow City Projects. Architekt ist Boris Tchor - er leitet die Architektengruppe Mosprojekt, die seit Jahren größten Einfluss auf die Gestaltung Moskaus ausübt. 30 Gebäude mit einer Nutzfläche von 2,5 Millionen Quadratmetern sollen entstehen. Den Schwerpunkt des Projektes bilden drei Hochhäuser, die bis zu 115 Meter hoch sind. Doch die Krönung der Anlage ist der Turm Rossija: der 640 Meter hohe Turm soll als höchstes Gebäude der Welt zum Symbol für die Wiedergeburt Russlands werden. Ausfinanziert ist das alles aber noch nicht. Eine neue Schnellbahnverbindung zum Flughafen und eine eigene Metrostation sollen das Projekt anbinden.
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Sprießende Luxuswohnungen
In Moskau gibt es bis dato kein ähnlich luxuriöses Projekt. Wenngleich die Luxuswohnungen zahlreich aus dem Boden sprießen. Igor Schurov von einer der größten Immobilienfirmen in Moskau führt durch ein derartiges Projekt.

Sicherheitszone beim Eingang und Videoüberwachung für die Tiefgarage. Nagelstudio und Friseur im Haus, Fitnessraum, Swimmingpool, Cafe oder einen Billardraum. Bewohner der Anlagen sind vor allem neureiche Russen.
Bizarre Details
Für österreichische Architekten mutet die Umsetzung der Details oft bizarr an: da gibt es Stuck aus Plastik, Säulen aus Styropor und Metallattrappen aus Gummi. Den Russen gefällt es offenbar.
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Garagenplatz: Der Luxus fürs Auto
Die Garagenplätze sind der begehrteste Luxus. Ein Parkplatz in einem Hochhaus kostet so viel wie eine Einzimmerwohnung. Jetzt sollen mehrstöckige Parkhäuser gebaut werden, kündigt Stadtplanungsleiter Baevsky an. Denn die Zahl der Autos nimmt in Moskau rapide zu. Allein die Anzahl der westlichen Autos verdoppelt sich alle zwei Jahre - und das seit sechs Jahren. Gefragt ist absoluter Luxus - Mercedes S-Klasse und Geländewagen sind beliebt. 40 Prozent der Autos in Moskau sind Luxuskarossen. Der Fahrzeugmarkt in Russland ist genauso ein Markt der Extreme wie alle übrigen Märkte auch - Lada oder Mercedes, das Mittelständische fehlt völlig.
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Eine Stadt für die Reichen
Moskaus Bürgermeister Luschkow bewegt derzeit einiges: Auf zahlreichen Baustellen in der Innenstadt wird Tag und Nacht gearbeitet. Von sozialem Wohnbau ist allerdings nichts zu sehen, obwohl der für die große Menge verarmter Russen bitter nötig wäre.
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Verarmte Wohnungsbesitzer
Nach der Perestrojka konnten die Moskauer ihre Wohnungen sehr billig kaufen. Das haben fast alle Bewohner gemacht. Das Problem heute sind die Betriebskosten der Eigentumswohnungen. Die ziehen mittlerweile an, wenn Heizkessel veraltet sind, Dächer repariert und Fassaden saniert werden müssen. Viele Pensionisten kommen da nicht mehr mit. Die Regierung hat mittlerweile ein Reformprogramm gestartet, um die Renovierung der Altbauten zu unterstützen. Viele Pensionisten - die oft nur 400 Rubel Rente bekommen - wobei ein Brot rund 12 Rubel kostet - müssen deshalb sehr beengt bei ihren Kindern wohnen. Für die Mehrheit der Russen ist die Wohnsituation katastrophal. Die zahlreichen Neubauten bieten für sie keine Alternative - sie sind zu teuer.
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Neuer Plan - Veraltete "Schlafstadtstruktur"
Christoph Langhof, vom Institut für Städtebau und Raumplanung an der Technischen Universität Innsbruck geht nicht davon aus, dass Moskau zum Modell für moderne Stadtentwicklung wird.

Der neue Verkehrsring in die Stadt und die Aussiedelung der Bewohner erinnert an die Stadtplanungsmodelle der 60er und 70er Jahre. Die Folge: es entstehen Schlafstädte, zwangsweise muss gependelt werden.
Idealstädte der Zukunft
Derzeit werden von den Städteplanern die flexiblen Stadtsysteme, die sich wie ein Puzzle aus lauter Insellösungen zusammensetzen, als die ideale Lösung angesehen. Tokio zum Beispiel hat zahlreiche selbstständige Einheiten mit Arbeits-, Wohn- und Erholungsmöglichkeiten auf einer "Insel".

Moskau dagegen ist eine Stadt mit einer historischen Mitte und Randzonen. Moskau müsse sich erst langsam vom zentralistischen Denken ablösen, meint Langhof.
Moskau zwischen Alt und Neu
"In Moskau hat man das Gefühl, dass es derzeit nur darum geht, irgendetwas Neues hinzustellen. Die Geschichte des Städtebaus zeigt aber, dass die Balance zwischen dem Erhalt des wertvollen Alten und dem wirklich Neuen das Entscheidende ist."

Ulrike Schmitzer berichtet für Ö1-Dimensionen über Moskaus Städteplanung im neuen Jahrtausend
 
 
 
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01.01.2010