News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Russische Kunstförderung unter der Hand  
  Die Situation der russischen Kunstsammler seit den zwanziger Jahren mutet wie ein spannender Krimi über Korruption, Mafia, halb-legalem Privatbesitz und Mäzenatentum an: Unterstützt vom Wissenschaftsfonds (FWF) begibt sich nun die Grazer Historikerin Waltraud Bayer auf die Spuren des inoffiziellen Kunstmarkts der UdSSR zwischen 1917 und 1991.  
Sammler verbotener Kunstwerke

"Raum-Kraft-Konstruktion" von Ljubow Popowa
Sie erörtert die Situation von Kunstsammlern, die offiziell nicht anerkannte und verbotene Kunstwerke von berühmten russischen Künstlern wie Wassilij Kandinskij, Ljubow Popowa oder Alexander Rotschenko sammelten.

Ziel ihres Forschungsprojekts ist es, den Entstehungs- und Entwicklungsprozess der privaten Kunstförderung in der Sowjetunion des 20. Jahrhunderts zu erforschen. Anfang Oktober erhält Waltraud Bayer zur Förderung ihrer Arbeit eine vom Wissenschaftsfonds (FWF) auf drei Jahre unterstützte und mit jährlich 662.000 Schilling dotierte Hertha-Firnberg-Nachwuchsstelle.
...
Dekadente Strömungen ab 1917
Der Beginn des inoffziellen Kunstmarktes in der UdSSR: Mit der Oktoberrevolution von 1917 wurde jegliche Kunstrichtung, die dem sozialistischen Realismus widersprach beziehungsweise das alte System verherrlichte, als "formalistische, dekadente Strömung" verboten. Dazu zählten unter anderem die Ikonenmalerei, die Avantgarde, die Moderne und die inoffizielle Kunst seit den sechziger Jahren. Von Anfang an entwickelte sich ein reger inoffizieller Markt, der von ambitionierten Kunstsammlern betrieben worden war und sich permanent an die innenpolitischen Veränderungen anzupassen hatte.
...
Verbotenes Sammeln führte zu Reichtum
"Im Mittelpunkt meiner Forschungsarbeit steht die Situation der sowjetischen Kunstsammler, die im Einklang mit der innenpolitischen Lage wiederholt einschneidenden Veränderungen am russischen Kunstmarkt ausgesetzt waren", erläutert die Wissenschaftlerin vom Institut für Geschichte der Uni Graz ihr Forschungsprojekt.

"Von besonderer Relevanz ist, inwiefern es einigen Sammler gelungen ist, im Gegensatz zu den hinderlichen offiziellen Rahmenbedingungen die Basis für teils milliardenschweren Reichtum zu schaffen - ein Reichtum, der letztlich durch Museumsgründungen und Schenkungen, auch an westliche Museen, sichtbar wurde."

Gemeinsam mit russischen Wissenschaftlern arbeitet die Historikerin an einer systematischen, kollektivbiografischen Erfassung von bis zu 80 repräsentativen SammlerInnen wie unter anderem dem russischen Kunstkenner Nikolaj Chardschijew (1903-1996), dem griechisch-abstämmigen Georgij Costakis (1912-1990) oder dem russischen Sammler und Initiator des Moskauer "Museums für Privatkollektionen" Ilja Silberstein (1905- 1998).
...
Kriminalisierung
Der Kriminalisierung des russischen Kunstmarkts nach 1970: Seit Beginn der siebziger Jahre war privater sowjetischer Kunstbesitz, mangels eindeutiger rechtlicher Bestimmungen in den Graubereich abgedrängt, in seiner Existenz zunehmend bedroht. Ausschlaggebend dafür war neben gesetzlichen Einschränkungen vor allem die steigende Nachfrage nach russischer Kunst am westlichen Markt, die ihrerseits zu einem regen Interesse innerhalb der Sowjetunion führte. Die Folge war ein lukrativer Handel mit gestohlenen Objekten aus namhaften Privatkollektionen und aus Museumsbesitz, an dem sich auch hohe Parteifunktionäre, Miliz- und KGB-Beamte bereicherten.
...
Recherche in Russland
Basierend auf intensiven Recherchen in russischen Archiven und Museen wie der Eremitage in St. Petersburg oder dem Museum der Privatkollektionen in Moskau erörtert und analysiert Waltraud Bayer die Sozial- und Kulturgeschichte des inoffiziellen Kunstmarkts.

"Zudem führe ich Interviews mit noch lebenden Sammlern beziehungsweise deren Erben, um einen direkten Einblick in die besonderen Umstände dieser Menschen zu bekommen", resümiert die Historikerin.

Die Ergebnisse ihrer künftigen Forschungsarbeit sollen in einem Buch zusammengefasst und veröffentlicht werden. Ein Buch zu diesem Thema von Waltraud Bayer ist bereits erschienen: Die Moskauer Medici: Der russiche Bürger als Mäzen, 1850-1917 von Waltraud Bayer, Böhlau Verlag, öS 423.
...
Im Herbst 2001 erscheint von Waltraud Bayer ein neues Buch zu diesem Themenbereich: "Verkaufte Kultur. Die sowjetischen Kunst- und Antiquitätenexporte, 1919-1938" von Waltraud Bayer (Hg.). Peter Lang Verlag.
...
Kunstsammler retteten Avantgarde

"Suprematistische
Malewitsch-Konstruktion" von Kasimir Malewitsch
Es ist vor allem dem russischen Kunstsammler Nikolaj Chardschijew (1903-1996) zu verdanken, dass ein Großteil des Gesamtwerks des berühmten russischen Avantgarde-Künstlers Kasimir Malewitsch erhalten ist: Als Freund und Weggefährte des russischen Malers, sammelte Chardschijew jahrzehntelang im Geheimen die Kunstwerke von Malewitsch.

Im Alter von 93 Jahren flüchtete der Kunstsammler vor den permanenten Übergriffen von Kunsträubern nach Holland und ließ dabei seine Sammlung auf bislang ungeklärte Weise weitgehend unentdeckt von der Sowjetunion in den Westen ausführen.

Heute befindet sich ein Großteil seines ehemaligen Kunstsortiment im Amsterdamer Stedelijk Museum. Ein Teil des Malewitsch-Opus ist ab Herbst in Wien zu bewundern: Von 5. September bis 2. Dezember 2001 präsentiert das Bank Austria Kunstforum eine Ausstellung mit rund 180 Werken des berühmten russischen Avantgarde-Künstlers Kasimir Malewitsch.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
->   Bank Austria Kunstforum
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010