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Forum Alpbach: Gibt es noch soziale Gerechtigkeit?  
  Gibt es in der heutigen Wirtschaftsordnung noch so etwas wie soziale Gerechtigkeit? Mit dieser Frage setzte sich der in Wien lehrende Soziologe Jens Dangschat in einem Vortrag beim Forum Alpbach auseinander.  
Als größte Schwierigkeit erweist sich bei der Fragestellung die Klärung, was den Gerechtigkeit überhaupt ist.
Was ist Gerechtigkeit?
Dangschat nennt eine Reihe von Kriterien, deren Erfüllung als "gerecht" empfunden wird:
- Gleichbehandlung durch den Staat
- Materielle Teilhabe am wirtschaftlichen Fortschritt
- Übernahme der Risiken durch den Staat (Sozialleistungen)
- Chancengleichheit durch Öffnung und Ausbau der Bildungseinrichtungen
- Verbesserung der Lebensqualität.
"Fordismus" erfüllt diese Ansprüche
Effiziente Arbeitsteilung in der Industrie und Massenproduktion, hohe Löhne durch hohe Produktivität, Eingreifen des Staates durch Sozialsysteme und antizyklische Wirtschaftspolitik, Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit - das alles schuf soziale Gerechtigkeit nach den zuvor genannten Kriterien.

Allerdings auf Kosten anderer: Schulden für die staatlichen Marktinterventionen und das Sozialsystem, Ausbeutung der Natur, Externalisierung von Umweltkosten. "Fordismus" (nach dem Automobilproduzenten Henry Ford) nennt Dangschat dieses Wirtschaftssystem.
Erfolgsmodell Österreich
Österreich habe diesen Weg so erfolgreich wie kein anderes Land der Welt beschritten, sagt Dangschat. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die Institution der Sozialpartnerschaft.

Das Ergebnis war jedenfalls ein hohes Maß an sozialer Integration - die allerdings fast ausschließlich für Inländer galt.
Krisenhaftes Ende der alten Wirtschaftsordnung
Überproduktivität, die Aufgabe fester Wechselkurse der Währungen, zunehmende Belastung des Faktors Arbeit, Widersprüche zwischen betriebswirtschaftlicher Logik und volkswirtschaftlichen Zielen, die Auflösung des Wertekonsenses - das alles sind Zeichen für die Auflösung der alten Wirtschaftsordnung.
Die neue Ordnung: Postfordismus
Die Kennzeichen der neuen Ordnung sind laut Dangschat:
- Übergang von nationalen zu transnationalen Kapitalkreisläufen
- Just-in-time-Produktion
- Verschlanken des Sozialstaates
- Wertepluralität
- Zunahme des Hedonismus
- Absage an gesellschaftliche Solidarität

Die zentrale Maxime sei: Jeder ist sich selbst der Nächste, sagt Dangschat.
Subjektive Formen der Gerechtigkeit
Gerechtigkeit ist kein einheitlicher Wert mehr.

Sie ist Besitzstandsgerechtigkeit: Wir verteidigen das, was wir besitzen. Das gilt im Privaten ebenso wie im Nord-Süd-Konfikt. Es ist das Modell des Konservativismus.

Sie ist Leistungsgerechtigkeit - wer mehr leistet, besser gebildet, flexibler ist, soll mehr bekommen - das Modell des Liberalismus.

Sie ist Verteilungsgerechtigkeit - das ist das Modell des Sozialismus. Und nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten diskreditiert.
Hinweise auf Wege zu neuer sozialer Gerechtigkeit
Es sind nur Anregungen, die er auf den Weg zu neuer sozialer Gerechtigkeit geben könne, sagt Dangschat:
- Hinterfragen der neo-liberalen Zielsetzungen (des US-Wirtschaftsmodells)
- Regulation der Finanz- und Informationsmärkte
- Die Kritik an der Bürokratisierung ernst nehmen
- Die Macht des Staates zwar beibehalten, die Macht der Parteien außerhalb parlamentarischer Zusammenhänge aber eindämmen.
- Umbau des Sozialstaates statt Abbau
- Ausgebaute Verfahren für Bürgerbeteiligung an den Entscheidungen
- Nachhaltige Entwicklung, das heißt Internalisierung der ökologischen, sozialen und globalen Kosten.

Franz Simbürger, Ö1-Wissenschaft
Mehr über das Forum Alpbach 2001 in science.orf.at:
->   Zwei Jahre Zeit für Bioethikgesetz
->   Peter Sloterdijk beim Forum Alpbach
->   Wie glaubwürdig sind Naturwissenschaften?
 
 
 
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01.01.2010