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Forum Alpbach: Das moderne Menschenbild  
  Was macht das Menschenbild im heutigen Europa aus? Dieser Frage ging der deutsche Philosoph Rüdiger Safranski in seinem Vortrag beim Forum Alpbach nach.  
Aufgabe des Menschen: Person werden
Es sei eine wichtige Errungenschaft des europäischen Denkens, aus dem Faktum, dass die Menschen voneinander verschieden sind, die Norm abzuleiten, dass sie auch verschieden sein sollen, sagte Safranski bei seinem Vortrag am Dienstag.

Daraus leiteten sich die meisten normativen Ideen der aufgeklärten europäischen Moderne ab: Meinungs- und Gewissensfreiheit, Toleranz, Gerechtigkeit, körperliche Unversehrtheit.
Freiheit mit Vernunft gebrauchen
Eine unverwechselbare Person zu werden, das bedeute, die eigene Freiheit zu entdecken und Gebrauch davon zu machen. Und zwar mit Vernunft, erklärte der Philosoph.
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"Starker" und "negativer" Vernunftbegriff
Safranski unterscheidet einen "starken" und einen "negativen" Vernunftbegriff:

Im ersten Fall gilt, was und wer der Mensch ist und wozu er sich bilden soll. Es gilt ein Vernunftbegriff, der sich zutraut, alle Lebensbereiche zu beherrschen. Die Grenzen der Freiheit werden vorgegeben, von Mächtigen durchgesetzt.

Im zweiten Fall werden alle Bestimmungen über den Menschen zurückgewiesen, die Frage nach der Identität eines Menschen beantwortet er allein. In dieser Tradition wurzelt der Liberalismus, sagt Safranski.
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Zusammenleben erfordert Grenzen
Um gesellschaftliches Zusammenleben zu ermöglichen, müsse diese Freiheit begrenzt werden, so Safranski.

Im liberalen Weltbild wird Aggression durch Konkurrenz ersetzt, geregelte Machtkonkurrenz mündet in Gewaltenteilung. Wechselseitiges Misstrauen wird so produktiv genutzt.
Personales Menschenbild gefährdet
Zwei Entwicklungen gefährden laut Safranski dieses personale Menschenbild, die Unverwechselbarkeit des Einzelnen.

Die Macht der Masse als "heisse" Masse in Form von Aufmärschen, Demonstrationen, Versammlungen, Großveranstaltungen - oder in Form der Massenmedien.
Gentechnik und Biomedizin als Gefahr
Eine ebenso große Gefahr sieht Safranski in den Möglichkeiten der Gentechnik und der Biomedizin: Die technische Machbarkeit des Menschen durch den Menschen:

"Wer in Zukunft seine Identität erfahren will, wird die Kataloge studieren müssen, mit deren Hilfe seine Eigenschaften zusammengekauft wurden."
Neue Freiheit braucht neue Moral
Die Möglichkeiten der Gentechnik schaffen eine neue Art von Freiheit, die Selbstbestimmung erfasse jetzt die biologische Substanz, schloss der Philosoph zum Ende seines Vortrages.

Dafür müsse ein moralischer Codex ausgehandelt werden. Es werde aber kein Moses mit Gesetzestafeln vom Berg herabsteigen: "Wir haben keine andere Wahl als selbst zu entscheiden, was wir mit uns machen und mit uns geschehen lassen."

Franz Simbürger, Ö1-Wissenschaft
->   Europäisches Forum Alpbach 2001
Mehr zum Forum Alpbach in science.orf.at:
->   Gibt es noch soziale Gerechtigkeit?
->   Zwei Jahre Zeit für Bioethikgesetz
->   Peter Sloterdijk beim Forum Alpbach
->   Wie glaubwürdig sind Naturwissenschaften?
 
 
 
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01.01.2010