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Patent gefährdet Stammzellenforschung in USA  
  Während das Europäische Patentamt (EPA) wegen unklarer Richtlinien Entscheidungen über vorliegende Patentanträge auf Stammzellen hinausschiebt, gefährdet ein US-Patent die staatlich geförderte Stammzellenforschung in den USA. Eine Abwanderung führender Wissenschaftler könnte die Folge sein.  
Erstes Patent bewilligt
Die Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF) in Madison im US-Staat Wisconsin hat bereits im März das US-Patent Nummer 6,200,806, für seine fünf Zelllinien zugesprochen bekommen.

Nach einem Bericht der "New York Times" hat die WARF inzwischen die kommerziellen Rechte für die wichtigsten Zelltypen, die sich aus den embryonalen Stammzellen gewinnen lassen, an eine kalifornische Biotechnologiefirma verkauft.

Das Patent könnte nun die Forschung weitaus stärker einschränken, als dies US-Präsident George W. Bush bei seiner Entscheidung vermutlich beabsichtigt hat.
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Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF) und WiCell
Der in Madison im US-Staat Wisconsin angesiedelten Stiftung WARF ist das Forschungsinstitut WiCell angeschlossen. Es wurde von James Thomson gegründet, der als erster Forscher weltweit embryonale Stammzellen von Primaten (1995) und von Menschen (1998) isolierte. WiCell versorgt 30 Biotech- und Pharmafirmen sowie Universitätslabors in aller Welt mit Stammzellen aus seinen fünf Stammzelllinien.
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Kooperationsgespräche gesucht
Mitarbeiter der Staatlichen Gesundheitsforschungsinstitute der USA (NIH) in Bethesda bei Washington treffen sich in dieser Woche mit Vertretern von WARF, um nach Wegen zu suchen, wie die Stammzelllinien allen interessierten Forschern zugänglich gemacht werden können.

Außer mit den Gesundheitsforschungsinstituten in Bethesda verhandelt WARF mit der Biotechnologiefirma Geron Corp. in Menlo Park (Kalifornien) über deren kommerzielle Rechte an ihren Stammzellen.
Rechte zur Nutzung von sechs Zelltypen
Geron hatte Thomsons Stammzellenforschung mit einer Million Dollar (1,085 Mill. Euro/14,9 Mill.S.) finanziert und im Austausch dafür die Rechte zur Nutzung von sechs Zelltypen erhalten, die sich aus den Stammzellen entwickeln lassen: Blut-, Knochen-, Leber-, Muskel-, Nerven- und Bauchspeicheldrüsen-Zellen.
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Patent - exklusive Rechte
WARF hält das Patent auf die Methode der Isolierung und auf die Zellen selbst und kann damit andere vom Gebrauch und Handel mit der Erfindung ausschließen.
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Große Erwartungen an Forschung
Mit den sechs Zelltypen hofft man die schlimmsten Krankheiten der Gegenwart, von Herzleiden über Krebs bis zu neurologischen Störungen wie die Parkinsonsche und die Alzheimer-Krankheit lindern oder sogar heilen zu können.
Kooperation mit Tücken
Geron hatte zuvor großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit staatlich finanzierten Wissenschaftlern bekundet. Allerdings nur unter der Bedingung, dass sie die Stammzellen zwar zu einem der sechs hauseigenen Typen heranwachsen lassen dürfen, aber ihre Entwicklungen nicht vermarkten.

Führende Stammzellforscher wie Douglas Melton von der Harvard Universität kritisieren diese Vorgehensweise als unseriös. Denn selbst wenn sich die Wissenschaftler auf den zweifelhaften Deal einlassen würden, ließe keine Universität die Verwendung von "Forschungsmaterial" zu, dass solchen Beschränkungen unterliegt.
Der Abwerbung Tür und Tor geöffnet
Mit dem zweifelhaften Kompromiss über die staatliche Förderung der Stammzellenforschung und den ersten Konsequenzen dieser Regelung bestätigt sich auch die Befürchtung, dass viele Wissenschaftler ihrer Forschung nicht nachkommen können.

Angebote von der Pharmaindustrie beziehungsweise die Verlagerung des Forschungsstandorts ins Ausland werden somit interessanter.

So sieht Roger Pederson, einer der führenden amerikanischen Stammzellenexperten von der Universität in Kalifornien in San Francisco (USCF) keine berufliche Zukunft mehr im eigenen Land.

Ihn zieht es nach Großbritannien, wo die Studien mit embryonalen Stammzellen nicht auf wenige existierende Zellinien beschränkt sind, wie dies nun für die USA vorgesehen ist.
->   Der Stammzellenkompromiss
Europa bleibt abwartend
Mittlerweile überlegen außer Forschern auch bereits mehrere Biotech-Firmen, ihre Geschäfte aus den USA nach Europa zu verlagern.

In Europa indessen hält die Diskussion um ein Biopatentgesetz an. Da die EU-Richtlinien für Patentierung aus einer Zeit vor der Entschlüsselung des Humangenoms stammen sind sie entsprechend veraltet und unzureichend.

Erst eine für Ende des Jahres angekündigte Stellungnahme der Ethik-Kommission der EU soll zu Entscheidungen auf der europäischen Ebene führen.
->   Patent auf Stammzellen
WARF auf dem Weg nach Europa
Da die WARF das Patent auf Stammzellen nur für die Vereinigten Staaten besitzt, wurde inzwischen ein entsprechender Antrag beim Europäischen Patentamt beantragt.

Solange dieser nicht genehmigt sei, würden Europäer einen doppelten Vorteil genießen, betont die Biotechnologie- und Patentrecht-Expertin Rebecca Eisenberg von der Universität Wisconsin.

Das gelte vor allem für Großbritannien, wo die Stammzellenforscher größere Freiheiten hätten, als in den sonst bei Wissenschaftlern aus aller Welt besonders gefragten USA.

(dpa/APA/red)
->   Stammzellenforschung der Universität Wisconsin-Madison
Mehr zur Stammzellenforschung in science.orf.at:
->   Ulrich Körtner: Ein Sieg der Doppelmoral.
Zur Entscheidung des amerikanischen Präsidenten Bush
->   Erich Loewy: Stammzellen als Geschäft?
 
 
 
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01.01.2010