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Objektivität oder persönliche Interessen?  
  Studien über Schokolade, die von Lebensmittel-Multis in Auftrag gegeben wurden? Untersuchungen über die Verträglichkeit von Medikamenten, gesponsert von einer Pharmafirma? Studienverfasser befinden sich in der Zwickmühle zwischen wissenschaftlicher Objektivität und den ökonomischen Interessen ihrer Auftraggeber. Das britische Wissenschaftsjournal "Nature" setzt deshalb ein Zeichen und verlangt von seinen Autoren die Offenlegung finanzieller Interessen.  
Transparenz bei "Nature"
Wie der Chefredakteur Philip Campbell im Editorial der aktuellen Ausgabe schreibt, müssen alle Autoren, die ab dem 1. Oktober 2001 bei den "Nature"-Fachzeitschriften eine Veröffentlichung einreichen, ein Formular über eventuelle finanzielle Förderung ihrer Arbeit durch Dritte ausfüllen.

Diese Information soll dann zusammen mit dem Artikel veröffentlicht werden. Sollten sich die Autoren weigern, nähere Informationen über ihre finanziellen Interessen anzugeben, wird diese Weigerung mit abgedruckt.

Damit soll den Lesern eine bessere Beurteilung über den wissenschaftlichen Wert der Arbeit ermöglicht werden.
->   Philip Campbell: Declaration of financial interests
Drei Arten von Abhängigkeit
Dabei geht es nicht alleine um direkt finanzielle Interessen. Campbell unterscheidet in seinem Leitartikel: 1) allgemeines Sponsoring der Studie, 2) gegenwärtige oder zukünftige Beschäftigung der Studienmacher bei den Organisationen, "die durch die Studie gewinnen könnte", und 3) deren direkte "persönliche Finanzinteressen".
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Persönliche Finanzinteressen: Wenn es peinlich wird
Wo genau "persönliche Finanzinteressen" beginnen oder aufhören, ist schwierig zu definieren. Neben dem Verweis auf Sitten an amerikanischen Universitäten, wonach mehr als fünf Prozent Kapitalbesitz an der an der Studie beteiligten Firma offen zu legen ist, gibt Nature-Chefredakteur Campbell ein Beispiel für angewandte Ethik: Eigene finanzielle Interessen beginnen demzufolge dort, "wo die Forscher in Verlegenheit gebracht werden, sobald sie öffentlich bekannt werden sollten".
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Ähnlicher Aufruf von medizinischen Journalen
Bereits Anfang August kündigten elf medizinische Fachzeitschriften, darunter das New England Journal of Medicine, The Lancet, Annals of Internal Medicine, das Journal of the American Medical Association, dazu Wissenschaftsjournale aus Kanada, den Niederlanden, Norwegen, Australien und Neuseeland ein gemeinsames Editorial für September an, in dem die wissenschaftliche Unabhängigkeit ihrer Autoren gefordert wird.

Damit reagieren die Zeitschriften auf bekannt gewordene Fälle, bei denen pharmazeutische Unternehmen Forschungsarbeiten erheblich beeinflusst und die Veröffentlichung von unliebsamen Ergebnissen verhindert hatten.
->   International Committee of Medical Journal Editors
Forscher müssen letztes Wort behalten
Die Medizinjournale wollen gemeinsam Regeln entwickeln, die es ermöglichen soll, das "letzte Wort" über die Untersuchungsergebnisse bei den Forschern und nicht bei den Pharmaunternehmen zu belassen.
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Hoher finanzieller Einsatz
Dabei geht es um einen hohen Einsatz: Arzneimittelstudien können bis zu hunderten Millionen Schilling kosten. Von den Ergebnissen hängt es oft ab, ob ein Medikament von den Behörden zugelassen wird, in welcher Dosierung es angeboten werden darf oder ob es zurückgezogen werden muss.
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Überreaktion ...
Ein Sprecher des amerikanischen Pharmazeutenverbandes hielt die Absichten der Medinzjournale für eine "Überreaktion". "In den allermeisten Fällen werden die Untersuchungen korrekt und mit der gebotenen wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit durchgeführt. Wer mit den Daten Schindluder treibt, verliert schnell das Vertrauen der Patienten, der Ärzte und der Behörden, " so Jeff Trewhitt von den "Pharmaceutical Research and Manufacturers of America".
... oder besorgniserregend?
Nichtsdestotrotz wurden Fälle dokumentiert, in denen unliebsame Studienergebnisse von den Auftraggebern unterdrückt und so nicht veröffentlicht wurden. Frank Davidoff, ehemaliger Herausgeber der "Annals of Internal Medicine", hält dies für besonders besorgniserregend. "Die Zahl der bewiesenen Fälle ist klein, aber es ist zu vermuten, dass das in Wirklichkeit viel häufiger vorkommt", so Davidoff.
Gesundheit wichtiger als Profit
Jeffrey Drazen, der Herausgeber des "New England Journal of Medicine", sieht als Problem der Macht von Sponsoren weniger die offene Missinterpretation der Ergebnisse, als die Frage der Gewichtung. "Ich glaube nicht, dass die Wissenschaftler offen lügen. Aber erzählen sie auch die gesamte Geschichte?"

Drazen und seine Mitstreiter würden jedenfalls "eine akademische Bewertung von jemanden bevorzugen, dessen einziges Interesse die menschliche Gesundheit ist und nicht die Aussicht auf Profit".

(AP/red)
->   New England Journal of Medicine
->   The Lancet
->   Annals of Internal Medicine
->   Journal of the American Medical Association
 
 
 
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01.01.2010