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Tobin-Steuer: Als Initiative der Europäischen Union?  
  Beim Treffen der europäischen Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin) am 22. und 23. September in Lüttich soll erstmals auch über die Tobin-Steuer beraten werden. Die Tobin-Steuer, eine Idee des US-Nobelpreisträgers James Tobin, sieht eine Abgabe auf Devisengeschäfte weltweit vor - und gehört zu den Forderungen zahlreicher "Globalisierungsgegner".  
Die Anregung einer EU-Initiative für die so genannte Tobinsteuer stammt vom französischen Premierminister Lionel Jospin.

In einem Interview des französischen Fernsehens sprach sich der sozialistische Regierungschef diese Woche dafür aus, dass die EU mit diesem Thema bei den internationalen Instanzen vorstellig wird.
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Tobin-Steuer
Tobin schlug vor, alle grenzüberschreitenden Transaktionen auf den Devisenmärkten mit einer geringfügigen Steuer zu belegen, um kurzfristige spekulative Geschäfte zu verteuern und dadurch zu verringern. Es wird geschätzt, dass schon eine Besteuerung in Höhe von 0,05% über 100 Milliarden Dollar jährlich einbringen würde. Damit die Steuer umgesetzt werden kann, müsste sie jedoch weltweit eingeführt werden.
->   James Tobin, Wirtschaftswissenschaftler
und Nobelpreisträger
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Drastischer Anstieg der Devisenumsätze seit 1971
Seit das feste Wechselkurssystem von Bretton Woods 1971 aufgegeben wurde, sind die täglichen Devisenumsätze auf den Weltkapitalmärkten drastisch in die Höhe gestiegen.

Längst dienen sie nicht mehr der Finanzierung von grenzüberschreitenden Waren- oder Dienstleistungsgeschäften, sondern vorwiegend der Suche nach höchsten Profitraten.
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Bretton Woods
Nach dem Zusammenbruch des internationalen Währungssystems wurden 1944 in Bretton Woods (New Hampshire, USA) die Verträge über die Errichtung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) geschlossen. Mit diesen Verträgen wurde ein Wechselkurssystem mit stabilen Wechselkursen auf freien Devisenmärkten etabliert. Der IWF mit Sitz in Washington nahm seine Tätigkeit im März 1947 auf, die Weltbank im Juni 1946. Der einseitige Beschluss der USA, die Goldkonvertibilität des Dollars aufzuheben, erschütterte das System im August 1971 in seinen Grundfesten.
->   Zur Entstehung des Bretton-Woods-Systems
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Experten: Ursache für instabiles Währungssystem
Im rasanten Anstieg eben dieser kurzfristigen internationalen Kapitalbewegungen sehen Experten die Ursache für das instabile Währungssystem und um sich greifende Wirtschaftskrisen, die jahrelange produktive Arbeit zerstören und der weltweiten Armut Vorschub leisten.

Eine Reform der Finanzmärkte ist spätestens seit dem Weltgipfel für soziale Entwicklung 1995 in Kopenhagen ein dringendes Anliegen von Nichtregierungsorganisationen.
Regierungsorganisationen unter Zugzwang
Die großen Finanzinstitute und internationalen Organisationen zielen ausschließlich auf die Stabilisierung der Finanzmärkte ab.

Dagegen drängen Attac und anderen Gruppen der Zivilgesellschaft darauf, die Finanzmärkte in ein Konzept einer sozial gerechten und ökologisch verträglichen wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt einzubinden und entsprechend durch ökonomische und administrative Maßnahmen demokratisch zu gestalten.

Für das Ecofin-Treffen in Lüttich hat Attac eine Großdemonstration angekündigt.
->   Attac international
Tobin-Steuer gegen negative Effekte der Globalisierung
Somit rückt die von James Tobin bereits 1972 vorgeschlagene Besteuerung von Devisentransaktionen in den Mittelpunkt der Debatten um eine mögliche Reform der Finanzmärkte.

Mit "Sand im Räderwerk der Spekulation" könnte laut Tobin Handel, Investitionen, Wachstum und Arbeitplatzschaffung erneut in den Vordergrund globaler Wirtschaftsinteressen treten.

Die Steuereinnahmen wiederum könnten der Weltgemeinschaft zur Verfügung gestellt werden, um negativen Effekten der Globalisierung auf lokaler aber auch globaler Ebene entgegen zu treten.
Westen gegen Besteuerung
Unterdessen haben die sieben wichtigsten Industriestaaten (G-7) die Tobin-Steuer als nicht tragfähig eingeschätzt.

So sind nach Auffassung der führenden Wirtschaftsnationen nicht alle kurzfristigen Devisentransaktionen mit spekulativen oder destabilisierenden Transaktionen gleichzusetzen.
Internationaler Währungsfond: Noch keine Position
Der Internationale Währungsfond (IWF) hingegen hat noch keine Position eingenommen. Laut Thomas Dawson, Direktor der Abteilung für Außenbeziehungen, sei aber die Tobin-Steuer ein Thema, das in nächster Zukunft neuerliche Beachtung und Bewertung finden werde.

Auch lehnen viele westliche Banken und Regierung die Tobin-Steuer als unpraktizierbar ab. Die Europäische Kommission ist ebenfalls dagegen, da sie die Einführung einer solchen Steuer als Verstoß gegen die Regeln für freien Kapitalfluss unter den 15-Mitgliedsstaaten der EU ansieht.

(APA/Reuters/red)
 
 
 
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01.01.2010