News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Bevölkerungswachstum und Bildung
Gastbeitrag von Ulrike Plichta
 
  Knapp eine Milliarde Erwachsene sind Analphabeten, zwei Drittel davon sind Frauen. Bevölkerungsprogramme sehen heute eine bessere Bildung und damit eine Aufwertung der gesellschaftlichen Rolle von Frauen auch als Schlüssel zur Verlangsamung des Bevölkerungswachstums.  
Eine neue Bevölkerungspolitik
In den 1990er-Jahren vollzog sich ein deutlicher Wandel in der internationalen Bevölkerungspolitik: Nationale Bevölkerungsprogramme setzten nicht mehr auf rein demographische Ziele.

Die UN-Weltbevölkerungskonferenz von 1994 in Kairo hat das Individuum, seine Entwicklung und die freie Entscheidung für oder gegen (weitere) Kinder in den Mittelpunkt nationaler und internationaler Bevölkerungspolitiken gerückt.
...
Mehr Bildung = weniger Nachwuchs?
Anlässlich des Weltbildungstages am 8. September präsentiert die Österreichische Stiftung für Weltbevölkerung und Internationale Zusammenarbeit (SWI) bereits heute aktuelle Zahlen, Trends und Prognosen. Sie belegen die Zusammenhänge von Bildung und Weltbevölkerungswachstum. Und sie zeigen, dass Investitionen in die Bildung von Frauen auch ökonomisch effizient sind. Ulrike Plichta, die Geschäftsführerin der SWI hat dazu einen Gastbeitrag verfasst.
->   Österreichische Stiftung für Weltbevölkerung und Internationale Zusammenarbeit
...
Zu viele Analphabeten
Niedrige Kinderzahlen gelten oft bereits als Indikator für den gesellschaftlichen Status von Frauen; höhere Bildungschancen als Faktor, der Frauen dazu befähigt, die Zahl ihrer Kinder mit zu bestimmen und diese Entscheidung nicht mehr länger allein dem Mann, den eigenen Eltern oder der Schwiegermutter zu überlassen.

Afrika ist der Kontinent mit dem insgesamt niedrigsten Bildungsstand: 1996 besuchten nur 28% der männlichen und 22% der weiblichen Jugendliche eine höhere Schule.
...
Kinderanzahl nimmt mit Bildungsgrad ab
Ein 1997 im Senegal durchgeführter Demographic and Health Survey zeigt, dass Frauen, die niemals eine Schule besuchten, doppelt so viele Kinder haben wie Frauen mit einem höheren Bildungsabschluss, nämlich durchschnittlich 6,3 Kinder. Heute besuchen nur etwa 10% der jungen senegalesischen Frauen eine höhere Schule.In den vergangenen 20 Jahren stieg dieser Anteil nur um 3 Prozentpunkte.
Vergleichbare Erhebungen in Nigeria, Äthiopien und Kolumbien zeigen ebenfalls, dass die durchschnittliche Kinderzahl mit einem höherem Bildungsgrad der Frau abnimmt - allerdings nicht überall im selben Ausmaß.
...
Wer das Schulgeld nicht bezahlen kann....
Ein höherer Bildungsgrad verhilft Frauen und ihren Familien in der Regel zu einem höheren Einkommen und einem höheren gesellschaftlichen Status. Das wiederum ermöglicht den Kindern dieser Familien ein besseres Leben. Gerade in armen Ländern ist vielen Kindern der Schulbesuch schon deshalb nicht möglich, weil die Eltern das Schulgeld nicht bezahlen können.
Verbreitung der Bildung entscheidet
Für die Wirkung, den höhere Bildung auf den Rückgang der durchschnittlichen Kinderzahlen hat, ist auch der Verbreitungsgrad innerhalb einer Gesellschaft entscheidend. In Äthiopien etwa blieb der Prozentsatz der Frauen mit weiterführender Schulbildung über die letzten Jahrzehnte nahezu konstant niedrig und liegt noch heute unter 10%. Die Fertilität liegt dort immer noch bei 5,9 Kindern pro Frau.
Informelles Wissen ist wichtig
Der Effekt von Bildung sowohl auf die Lebenschancen von Frauen wie auf die Zahl ihrer Kinder, hängt von einer Vielzahl sozialer, kultureller und ökonomischer Faktoren ab. Einen wesentlichen Faktor stellt das informelle Wissen um reproduktive Gesundheit und Sexualität dar.
...
Aufklärungskampagnen
In vielen afrikanischen Ländern haben Aufklärungs- und Erziehungskampagnen bemerkenswerte Erfolge gezeigt. Botschaften wie "Choose family planning with your wife" und "Family planning is teamwork", wie sie z. B. in Ghana genutzt werden, motivieren die Partner, Entscheidungen über die Familiengröße gemeinsam zu treffen und sie zielen darauf ab, die Haltung von Männern und Frauen zu verändern, vor allem im Hinblick auf eine gleichberechtigte Rolle der Frau.
...
Die Rolle der Männer
Eine wesentliche Rolle spielt auch der Bildungsgrad der Männer. Studien belegen, dass in Ländern, in denen mehr Männer mit ihren Frauen über Familienplanung sprechen, auch mehr Paare Familienplanung praktizierten.

In Ägypten, wo fast 80% der Männer angaben, mit ihren Frauen über Familienplanung gesprochen zu haben, praktizieren 50% auch tatsächlich Familienplanung. In Niger gaben dagegen lediglich 25% der Männer an, mit ihrer Frau über Verhütung zu sprechen. Nur 7% der verheirateten Paare verhüten dort tatsächlich.
...
Schlüsselfaktor Kommunikation
Die Entscheidung eines Paares über die Anzahl der Kinder resultiert aus einem komplexen Prozess. Viele Experten sehen in der Kommunikation zwischen beiden Partnern einen Schlüsselfaktor. Diese Kommunikation zu motivieren, ist daher eine erfolgversprechende Strategie. Und sie lässt sich umso leichter verfolgen, je gebildeter die Paare sind.
...
Empowerment der Frauen
Der Abbau patriarchaler Strukturen und die Überwindung der vielfältigen Diskriminierungen, die mit der Ausgrenzung von Frauen einhergehen, sind eine prinzipielle Voraussetzung für den Erfolg jedes entwicklungspolitischen Handelns. Deshalb ist empowerment der Frauen in Hinblick auf Ausbildung,

Selbstbestimmung und wirtschaftliche sowie politische Teilnahme am gesellschaftlichen Leben von großer Bedeutung.
Ohne sie bleiben auch bevölkerungs- und entwicklungspolitische Zielen unerreicht. Wo sich Frauen gesellschaftlich und beruflich entfalten können und ihr sozialer Status steigt, sinkt ihre finanzielle Abhängigkeit von ihren Kindern und damit auch das Interesse an einer größeren Kinderzahl.

(Ulrike Plichta, Österreichische Stiftung für Weltbevölkerung und Internationale Zusammenarbeit)
Lesen Sie mehr zum Thema Weltbevölkerung in science.orf.at:
->   Rainer Münz: Weltweit mehr Bevölkerungswachstum als erwartet
->   Ende des Bevölkerungswachstums absehbar?
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010