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Schicksale Wiener Mathematiker im NS-Regime  
  Karl Menger, Robert Musil, Kurt Gödel: Sie alle zählen zu jenen "Mathematikern", die als Verfolgte des Nationalsozialismus Wien verlassen mussten. Für Andere, wie Alfred Tauber, kam jede Hilfe zu spät, sie fanden den Tod.  
Mit der Ausstellung "Kühler Abschied von Europa - Wien 1938 und der Exodus der Mathematik" gedenken die Österreichische Mathematische Gesellschaft und die Universität Wien nun ihrer Leistungen und Schicksale.
Säuberung des Lehrköpers und Studentenschaft

Flucht aus der Universität.
"Die Mathematiker waren nur eine kleine Gruppe innerhalb der Universität, aber sie reicht bereits aus, um etwas von der Lückenlosigkeit der bürokratischen Schikanen zu vermitteln, mit denen die so genannte Säuberung des Lehrkörpers und der Studentenschaft durchgeführt wurde", erklärt der Ausstellungs-Organisator Univ.-Prof. Karl Sigmund vom Institut für Mathematik der Uni Wien.
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Mathematik "Festwochen" in Wien
Die Ausstellung ist vom 17. September bis 20. Oktober im Arkadenhof des Hauptgebäudes der Uni Wien zu sehen und findet anlässlich des 15. Internationalen Kongresses der Österreichischen Mathematischen Gesellschaft (16.-22.9.) statt. Zum Kongress werden rund 600 Wissenschaftler aus aller Welt erwartet. Darunter sind auch die beiden Träger der Fields-Medaille, Jean-Christophe Yoccoz (Paris) und Vaughan Jones (Berkeley). Die Fields-Medaillen, die höchste wissenschaftliche Auszeichnung auf dem Gebiet der Mathematik, die als Ausgleich für das Fehlen eines Nobelpreises für Mathematik gestiftet wurde, werden seit 1936 alle vier Jahre an mindestens zwei junge Mathematiker verliehen.
->   Wissenschaftliches Programm des Kongresses
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Mathematische Blüteperiode in Wien
Nur Wenigen ist bewusst, dass im Wien der Zwischenkriegszeit mathematische Spitzenleistungen vollbracht wurden, die durchaus jenen der Medizin, Psychoanalyse oder Philosophie ebenbürtig waren. So kürte das "Time Magazine" den Mathematiker Kurt Gödel zu einer der hundert wichtigsten Personen des 20. Jahrhunderts.
Ins Exil oder in den Tod getrieben

Gödel mit Einstein
Gödel promovierte in Wien und war Schüler von Hans Hahn, dem Vater der modernen Analysis. Am 23. April 1938 wurde ihm die Lehrbefugnis "bis auf weiteres" entzogen. Nach einer zermürbenden Reise über Sibirien und den Pazifik gelang es Gödel schließlich, das Institute for Advanced Study in Princeton (US-Bundesstaat New Jersey) zu erreichen. Dort fand er neue Lösungen für Einsteins Feldgleichungen, geschlossene zeitartige Kurven, die im Prinzip eine Reise in die Vergangenheit erlauben.

Der ebenfalls weltweit anerkannte Mathematiker Alfred Tauber hatte nicht so viel Glück. Nachdem er der Universitätsdirektion mitteilen musste, dass ein Nachweis seiner arischen Abstammung "leider unmöglich" sei, fand sich der Name des längst emeritierten auf der Liste jener, die nicht den Diensteid auf Adolf Hitler geleistet hatten - und später auf einer anderen Liste, dem "Totenbuch Theresienstadt". Der Versuch des 75-jährigen Taubers, sich als Hilfslehrer nach Ecuador zu retten, war zu spät gekommen.
Von Opfern, aber auch Tätern
Bild: Österreichische Mathematische Gesellschaft
"Deutsche Mathematik" von Theodor Vahlen
Auf 42 Schautafeln dokumentiert die Schau nicht nur die Vertreibung von so prominenten Wissenschaftlern wie Karl Menger, der die Grundlagen für die Spieltheorie entwickelte, oder von Franz Alt, der im Exil 1943 den ersten Computer programmierte und nun 91-jährig zur Ausstellungseröffnung nach Wien kommt. Sie geht auch auf die Vertreibung jüdischer Studenten ein und auf die "Parteigenossen", also regimetreue Mathematiker.

Das Nazi-Regime fand unter den österreichischen Mathematikern nicht nur Opfer, sondern auch Sympathisanten und Helfer. Der Bogen reicht hier von Fanatikern wie Theodor Vahlen, der an vorderster Front an der "Säuberung" teilnahm, über Erfüllungshilfen wie Anton Huber, einem Apparatschik, bis hin zu Mitläufern wie Karl Mayrhofer, der Berichten zufolge einen mäßigenden Einfluss ausübte.
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Verfolgung auch außerhalb der Universitäten
Die Vertreibung und Ermordung von führenden Wissenschaftlern fand auch jenseits der Universitätsmauern statt. So wurde das Chajesgymnasium in Wien Leopoldstadt im Dritten Reich aufgelöst: Der Direktor Emil Nohel, ein ehemaliger Assistent Albert Einsteins und Philipp Franks, wurde verschleppt und später vergast, der Mathematik Lehrer Viktor Sabbath von den Nazis ermordet. Vier Kinder aus der sechsten Klasse wurden nach erfolgreicher Flucht Wissenschaftler bzw. Mathematiker in Italien, Schweden und den USA. Unter ihnen der spätere Nobelpreisträger Walter Kohn.
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Nähe zu Philosophie, Literatur und Wirtschaft
Bild: Österreichische Mathematische Gesellschaft
Robert Musil
Darüber hinaus zeigt die Ausstellung die ungewöhnlich intensiven Kontakte der Wiener Mathematiker zu anderen Fächern wie der Philosophie, der Literatur und der Wirtschaftswissenschaften, "womit sich ein eindringliches Bild der allumfassenden Vergiftung des geistigen Lebens vor und nach dem 'Anschluss' ergibt", so Karl Sigmund.

So trug Karl Menger entscheidend dazu bei, dass Wien eine bedeutende Rolle in Topologie, mathematischer Logik und Wirtschaftsmathematik spielte. Er scharte in den dreißiger Jahren eine brillante Gruppe junger Mathematikerinnen und Mathematiker um sich, zu denen Kurt Gödel, Franz Alt und Olga Taussky gehörte. Alle drei sollten später auswandern.

Schließlich war im Wien der Zwischenkriegszeit die Beziehung zwischen Mathematik und Literatur ungewöhnlich intensiv. Im Leben von Robert Musil, Leo Perutz und Hermann Broch spielte die Mathematik eine zentrale Rolle. Musil verließ das Land, weil er "die Luft nicht mehr atmen konnte", die Anderen mussten aus so genannten rassischen Gründen das Land verlassen.

(APA/red)
->   Österreichische Mathematische Gesellschaft
 
 
 
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01.01.2010