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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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Wie kommt das Neue in die Welt?  
  Wissen, Komplexität und Innovation - Begriffe, die gleichsam zu Fetischen der Gegenwart geworden sind. Der soeben erschienene Sammelband "Knowledge, Complexity and Innovation Systems" fragt, wie diese drei zusammenhängen.  
Diffusion der Begriffe
Entstanden aus unterschiedlichen Quellen - den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, der Informationstheorie sowie den Naturwissenschaften - sind die drei Begriffe inzwischen Teil des Alltagswissens geworden und aus der politischen Rhetorik nicht mehr wegzudenken.

Es gilt als ausgemacht, dass wir in einer wissensbasierten komplexen Gesellschaft leben und die "Innovation", insbesondere die technologische, am Anfang der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfungskette steht.
Wissen und Politik

Wie aber entsteht Wissen und damit Innovation? Wie können Prozesse der Wissensgenerierung und die Anwendung und Verbreitung neuen Wissens politisch gesteuert werden? Sind sie am Ende einer solchen Steuerung gar nicht zugänglich?

Der Wiener Wirtschaftswissenschaftler Manfred M. Fischer und der Systemforscher Josef Fröhlich (Austrian Research Centers Seibersdorf) haben unter dem Titel "Knowledge, Complexity and Innovation Systems" einen Sammelband herausgegeben, der sich diesen und ähnlichen Fragen aus multidisziplinärer Perspektive widmet.

In insgesamt achtzehn ausführlichen Beiträgen geben Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Ingenieure, Politologen und Systemforscher einen Überblick über den theoretisch-konzeptuellen Forschungsstand und vermitteln auf der Grundlage einer Fülle empirischen Materials Einblick in laufende Forschungen.
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Das von Manfred M. Fischer und Josef Fröhlich herausgegebene Buch "Knowledge, Complexity and Innovation Systems" ist im Springer Verlag erschienen, hat 473 Seiten und kostet 1.314,80 ATS bzw. 92,94 Euro.
->   Das Buch
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Wissen und Kommunikation
Dabei wird unter anderem deutlich, dass insbesondere die Wirtschaftswissenschaften vorsichtig beginnen, sich von liebgewonnenen Konzepten, wie jener des methodologischen Individualismus, Gleichgewicht und Linearität, zu verabschieden.

Ein notwendiger Abschied, denn Wissen und Innovation, so der Tenor der Beiträge, sind das Produkt von Interaktionen zwischen den Akteuren (Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Individuen usw.), denen sie üblicherweise zugerechnet werden.

Innovationssysteme werden folgerichtig als Netzwerke von Akteuren verstanden, die Wissen generieren. Wissen ist damit aufgehoben in Kommunikationen zwischen verschiedenen Akteuren und also davon abhängig, welche Strukturen und Netze für diese Kommunikationen existieren.
Wo Information war, soll Wissen werden
Eine Information bleibt solange lediglich ein Datum ohne (ökonomischen) Wert, wie sie nicht interpretiert, gelesen, gefiltert, organisiert wird, d. h. in irgendeine Form der Beziehung gesetzt wird zu bereits existierendem Wissen.

Erst menschliche, kommunikative Bearbeitung fügt der Information jenes Mehr zu, das sie zu Wissen werden lässt.
Wissen und Komplexität
Auf diese Weise geraten die Prozesse und Relationen zwischen den Einheiten, die an der Entstehung von Wissen beteiligt sind, in den Blick und die ökonomische Analyse öffnet sich damit auch für Ereignisse, die nicht vorhersagbar, linear und rational ablaufen.

Um diese nichtlinearen, asymmetrischen, oder kurz: konfusen Prozesse verstehen zu können, haben sich die Autoren und Autorinnen des Sammelbandes dem systemtheoretischen Begriff der Komplexität zugewandt. Zahlreiche Beiträge widmen sich der Brauchbarkeit dieses Konzeptes für ökonomische und technologische Analysen.
Wissen und Raum
Netzwerke, auch Innovationsnetzwerke, existieren nun nicht im luftleeren Raum, sondern immer an konkreten Orten. Diese Banalität führt aber, das zeigt der Sammelband, zu interessanten Forschungsfragen: Die These der Kontextabhängigkeit des Wissens lässt vermuten, dass Innovationsnetzwerke in lokale Handlungskontexte eingebettet sind und auf diese wieder zurückwirken.

Ein Teil des Bandes ist deshalb dem Verhältnis von Region und Innovationsnetzwerk gewidmet.
Rolemodel USA?
Von besonderem Interesse für die Ökonomen sind hier natürlich die USA, die in den letzten fünfzig Jahren einen radikalen Umstrukturierungsprozess erlebten. Die geographischen Zentren technologischen Wandels verschoben sich vollständig zum Sunbelt der USA.

Ein Prozess, den Luis Suarez-Villa als "regionale Inversion" bezeichnet und im wesentlichen auf drei Prozesse zurückführt: den Zuzug hochqualifizierter Individuen, der leichte Zugang zu Risikokapital und die wissenschaftliche Infrastruktur in diesen Regionen.
Politische Strategien
Was bedeutet dies nun für die Politik? Wenn Innovation und Wissen pfadabhängig, nichtlinear und nicht vorhersagbar entstehen, können innovative Prozesse dann überhaupt politisch gesteuert werden?

Viele Beiträge des Sammelbandes betonen die positiven Effekte politischer Steuerung, sofern sie nicht dirigistisch in Innovationsprozesse eingreift. Die Politik soll vielmehr eine ermöglichende Rolle spielen, dies zielt insbesondere auf die Bildungspolitik ab. Das politische System, so kann man schließen, soll in erster Linie für Infrastruktur und ungestörte Kommunikationsflüsse sorgen.

Politische Strategien, dies ergibt sich aus der kommunikativen Bestimmung von Innovationssystemen, müssen sich von den Instanzen der Innovation (Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Universitäten usw.) als Adressaten politischer Regulation ab- und den Prozessen, d. h. den Beziehungen zwischen diesen Einheiten zuwenden.
Expertenwissen
Nun haben diese Einheiten aber einen sehr spezialisierten Expertendiskurs entwickelt, der für Nichtexperten in der Regel schwer verständlich bleibt, wie man auch an dem vorliegenden Sammelband sehr schön sehen kann. Und sie haben eine eigene Ethik, eigene Maßstäbe des Handelns entwickelt, die sich aus den jeweiligen Systemstrukturen selbst ergeben.

Die Ziele, der Sinn des Forschens entsteht aus den angewandten Mitteln und Methoden und entkoppelt sich mehr und mehr vom gesellschaftlichen Kontext, in dem die Ergebnisse ja verwertet und angewandt werden sollen.

Hier sollte sich deshalb die Frage stellen, welche Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation durch die Politik geschaffen werden können, damit Entscheidungen über Zwecke und Ziele nicht allein den Expertensystemen überlassen bleiben bzw. durch die Ökonomie bereits vorformuliert werden.

Cathren Müller
->   Austrian Research Centers Seibersdorf
 
 
 
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01.01.2010