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Denkende Affen? Primaten als Forschungsobjekte  
  Ein komma vier Prozent unserer Gene - mehr unterscheidet den Menschen nicht vom Schimpansen. Aber was heißt dieser kleine Unterschied wirklich - haben wir tatsächlich soviel mit Judy und Co, mit Gorillas und anderen Menschenaffen gemeinsam?  
Dieser Frage geht der Intelligenzforscher Josep Call vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie nach. Erst im April wurde im Leipziger Zoo PONGOLAND eröffnet, eine Menschenaffen-Anlage mit Schimpansen, Gorillas, Bonobos und Orang-Utans.
Wie intelligent sind Schimpansen?
Schimpansen sind, obgleich genetisch am menschenähnlichsten, nicht intelligenter als Orang-Utans oder Gorillas, besagen Josep Calls Tests. Für Aufregung hat aber jüngst eine Meldung gesorgt, wonach Schimpansen ganz gezielt Heilkräuter aus der Natur nutzen, etwa bei Magenkoliken, und in anderen Fällen zu Pflanzen greifen, die natürliche Antibiotika enthalten.

Im venezulanischen Regenwald sollen sich Affen Tausenfüßler ins Fell schmieren, um Moskitos abzuhalten. Zweifellos eine sehr intelligente Art von Werkzeugverwendung. Auch schmerzstillende Substanzen und sogar Halluzinogene sollen in die Hausapotheke der Primaten gehören.
Entwicklung von "Traditionen"
Kann man also schon von rudimentären medizinischen Kenntnissen zumindest bei Schimpansen sprechen? Oder geht man damit in die anthropozentrische Falle und vermenschlicht unsere biologischen Verwandten unzulässigerweise? Eine Frage, die kaum lösbar ist.

Sucht man nach Merkmalen, die wir als typisch für die menschliche Kultur empfinden, so stößt man zum Beispiel auch auf etwas, das man durchaus als "Tradition" bezeichnen könnte - bestimmte Methoden, köstliche Termiten aus ihrem Versteck zu holen. Westafrikanische Schimpansen haben ganz andere Techniken als ostafrikanische.
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"Oft wird gesagt, Menschenaffen haben die Fähigkeit zwei- oder dreijähriger Kinder. Das Problem ist: es hängt immer davon ab, was man testet. Es gibt Aufgaben, die Orang Utans sogar besser lösen als 5jährige Kinder. Und dann gibt es welche, wo sie schlechter sind als 2jährige. Es ist also sehr schwierig, so etwas zu sagen", so Josep Call.
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Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung
Zumindest Schimpansen sollen sich im Spiegel erkennen - viele deuten dies als eine Art Selbstwahrnehmung - für Josep Call ein unzulässiger Schluß. Vielmehr könnte es sich auch um eine einfache Körperwahrnehmung handeln.

Verbürgt ist, dass Schimpansen den Blicken ihrer Kollegen folgen und vor allem: deren Gesichtsausdrücke lesen können - dass sie also zwischen Gelächter und Lächeln unterscheiden und daraus das Verhalten ihrer Chimp-Kollegen vorausberechnen können. Ein unschätzbarer Lebensvorteil, denn damit kommt man dem anderen nicht zur falschen Zeit in die Quere.

Aber was Josep Call nicht weiß: ob ein beobachtender Schimpanse, wenn er einen anderen lächeln sieht, auch weiß, dass das Gegenüber genauso empfindet wie der Beobachter selber, wenn er lächelt.
->   Affen fühlen wie Menschen
"Sprechende" Affen
Der amerikanische Psychologe Roger Fouts hat einigen Schimpansen die Taubstummensprache beigebracht. Sein Star ist die Schimpansendame Washoe. Sie beherrscht mehr als 240 Zeichen, wobei ein Zeichen immer mehr als eine Bedeutung hat.

Man kann sie allein durch den Gesichtsausdruck oder die Geschwindigkeit variieren. Washoe und ihre Gefährten können mehr sagen als nur: BANANE WOLLEN. Als die Schimpansin zum Beispiel erfuhr, dass eine Praktikantin ihr Baby verloren hatte, soll sie "weinen" und "Umarmung" signalisiert haben.
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Intelligenz- und Menschenaffenforscher Josep Call wendet darauf wieder kritisch ein: "Manche Menschen behaupten, Schimpansen haben eine angeborene Fähigkeit zum Sprachenlernen. Ich bin mir da nicht so sicher. Was die Sprachexperimente zeigen, ist nur, dass sie flexible und intelligente Wesen sind, die sich einer neuen Herausforderung anpassen können. Und diese Herausforderung kann auch in Form eines Wissenschaftlers kommen, der ihnen eine Sprache beibringen möchte", so Call.
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Beliebte Forschungsobjekte
Im Deutschen Primatenzentrum in Göttingen werden rund 1.200 Tiere gehalten - allerdings keine Menschenaffen. Primaten sind dem Menschen physiologisch sehr ähnlich, und so nutzen die Göttinger Forscher ihre Tiere auch für medizinische Experimente - zum Beispiel, um die Entstehung menschlicher Krankheiten wie Aids zu studieren.

Für diese so genannte Pathogenese-Forschung werden Primaten künstlich mit dem HIV-Virus infiziert. Auch BSE-Tests wurden auf Basis von Affenversuchen erarbeitet.
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Primaten gehören zu den begehrtesten Forschungsobjekten. Denn während Versuchstierzahlen generell zurückgehen, steigen sie im Bereich der Primaten an. Europaweit braucht man derzeit jährlich 10.000 Primaten für die Forschung, in den USA an die 50 000. Nur für einen Bruchteil von ihnen enden die Experimente tödlich.
->   Deutschland: 1,5 Mio. tote Versuchstiere jährlich
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Menschenrechte für Menschenaffen?
Diskussionen über die Nähe von Mensch und Menschenaffen werden oft sehr emotional geführt. Manche Tierschützer fordern sogar Menschenrechte für Menschenaffen. Josep Call entgegnet dieser Forderung lapidar mit der Frage: "Sind damit auch Pflichten verbunden?"
Mensch kein Nachfahre
Die These, dass wir Nachfahren von Gorilla und Schimpanse seien, ist falsch. Unsere entwicklungsgeschichtlichen Wege haben sich bereits vor Millionen von Jahren getrennt. Der Gorilla zweigte vor sechseinhalb Millionen Jahren von unserem Stammbaum ab, der Schimpanse vor fünfeinhalb Millionen Jahren.
Affen Bücher schreiben lassen
Josep Call geht die Frage, wie nah Mensch und Menschenaffen einander sind, daher eher defensiv an: "Wir schreiben zwar Bücher über die Intelligenz von Schimpansen. Aber es wäre sehr hilfreich, ließe man einmal einen Schimpansen ein Buch über seine Wahrnehmung schreiben. Wir würden wahrscheinlich Themen entdecken, an die wir bisher überhaupt nicht gedacht haben. Wir sehen sie immer nur mit menschlichen Augen an. Und darin sind wir völlig gefangen. Auf jeden Fall gäb¿s einige Überraschungen."

Ein Beitrag von Franz Zeller für die Ö1-Dimensionen
->   Österreich 1
->   Pongoland
 
 
 
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01.01.2010