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Kamikaze: Menschen als Waffen  
  Bei den Terroranschlägen in New York und Washington stürzten ein paar Selbstmordattentäter sich und einige tausend Menschen in den Tod. Wie wird ein Mensch zum Kamikaze? Der aus dem Japanischen stammende Begriff bedeutet eigentlich ''göttlicher Wind''. Wenn der Mensch zum Werkzeug wird.  
Der Begriff "Kamikaze" wird oft in der Bedeutung von "Selbstmordattentäter" verwendet. Damit hat er aber laut Univ.-Prof. Gernot Sonneck, Vorstand des Instituts für medizinische Psychologie der Universität Wien, eigentlich nichts zu tun.

''Mit Selbstmord, mit dem Suizid, haben solche Taten aber überhaupt nichts zu tun'', erklärte Sonneck, gegenüber der APA. ''Da steht die Waffe im Vordergrund. Und zu ihrer Bedienung benötigen eben manche Gruppen noch Menschen'', so Sonneck weiter.

''Der hoch technisierte Westen hat 'Cruise Missiles', eine Terrororganisation verfügt darüber nicht. Sie will möglichst großen Schaden anrichten - und benötigt zur Steuerung eben Menschen", so Sonneck.'
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Kamikaze
Das Wort ''Kamikaze'' wurde in Japan zuerst verwendet, um die zwei Taifune zu bezeichnen, durch deren Aufkommen die angreifenden Truppen aus dem China der Yüan-Dynastie bzw. Mongolei 1274 und 1281 zurückgeschlagen werden konnten. Aus diesem Ereignis wurde der Mythos, dass Japan ein Land der Götter sei. Und wenn es in Gefahr stehe, von irgendeiner überlegenen feindlichen Macht erobert zu werden, fege ein Sturm der Götter, nämlich ein großer Taifun, der ''Kamikaze'', diesen Feind hinweg. Im zweiten Weltkrieg wurden japanische Militärpiloten, die sich freiwillig mit bombenbestückten Flugzeugen oder Gleitbomben auf feindliche Schiffe stürzten; so bezeichnet.
->   Kamikaze ein Missverständnis
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Motivation Hass
Gäbe es die Möglichkeit, ohne Aufsehen ein mit Sprengstoff beladenes Auto fernzusteuern, würde man ein solches System verwenden, meint Sonneck. Der ''Kamikaze''-Lenker aber sei nur das Werkzeug, das Mittel zum Zweck. Grundbedingung für solche Aktionen ist jedenfalls abgrundtiefer Hass.

''Der Attentäter will einem gehassten Gegner, einem 'Teufel', so viel Schaden wie nur irgendwie möglich zufügen. Da ist Hass und Fanatismus im Hintergrund'', sagt Sonneck.

Keinesfalls könne man jedoch sagen, dass manche Kulturen, Weltanschauungen oder Religionen dafür anfälliger als andere seien.
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Die Geschichte des Selbstmordes
Im alten Europa, besonders im Römischen Reich, wurde der Suizid gebilligt und galt manchmal sogar als ehrenvoll. Unter dem Einfluss des Stoizismus akzeptierten die Römer viele legitime Gründe für eine Selbsttötung.

Für den christlichen Theologen Augustinus war der Suizid jedoch seinem Wesen nach eine Sünde. Mehrere Konzilien der frühen Christenheit beschlossen, dass Menschen, die Suizid begangen hatten, nicht kirchlich beerdigt werden durften. Im Mittelalter verurteilte die katholische Kirche jede Selbsttötung. Nach christlichem, jüdischem und islamischem Glauben ist die Selbsttötung nach wie vor verboten. Heute betrachtet man den Suizid jedoch eher unter psychosozialen als unter moralischen Aspekten.
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Religiöser Fanatismus auch katholischen Ländern nicht fremd
Mit ''Feuer und Schwert'' sind die katholischen Missionare ausgezogen. ''Das ist zwar ein paar hundert Jahre her, aber Fanatismus hat es immer wieder und überall gegeben. Man denke nur an den Überfall Deutschlands auf Polen'', erinnert Sonneck.

''Da ist polnische Kavallerie mit eingelegten Lanzen gegen Panzer vorgegangen. Keiner der jungen Soldaten konnte annehmen, mit dem Leben davonzukommen. In jeder Religion gibt es radikale Elemente, die Fundis'', so der Psychologe Sonneck. Aber es müsse schon ein enormes Maß an Elend, Benachteiligung, Hass und Wut vorliegen, um Menschen in solche Taten zu treiben.
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Gesellschaft und Selbstmord
In vielen Ländern verstößt ein Suizid gegen Gesetze. In anderen, besonders in römisch-katholisch geprägten Ländern, ist er gesellschaftlich geächtet, ohne dass es dazu besonderer Gesetze bedarf. In römisch-katholisch geprägten Gesellschaften sind die Suizidraten im allgemeinen niedriger als in protestantischen. Jedoch spiegelt das vermutlich lediglich die Tatsache wider, dass Katholiken sich weit stärker als Protestanten genötigt sehen, einen Suizid zu verschleiern.

Den extremen Gegenpol bilden Gesellschaften, in denen bestimmte Formen der Selbsttötung besonders hoch geachtet werden. Früher galt es beispielsweise bei den Japanern als ehrenhaft, Harakiri zu begehen: Eine Person, die wegen eines Fehlers oder einer Pflichtverletzung ihre Ehre verloren hatte, konnte das wieder gutmachen, indem sie sich in ritueller Weise mit einem Dolch durchbohrte.

In Indien wurde bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts von einer Witwe erwartet, dass sie Sati beging, das heißt sich auf den Scheiterhaufen warf, auf dem der Leichnam ihres Mannes verbrannt wurde. Das nicht zu tun wäre unehrenhaft gewesen.
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Attentäter als Märtyrer
Für den Kamikaze-Attentäter ist aber sein tödliches und Tod bringendes Handeln auch für die eigene Psyche wichtig.

Sonneck: ''Da werde 'ich' dann zum großen Freiheitskämpfer.'' Eine grauenhafte Form der Verstärkung des eigenen Selbstwertgefühls ...

(red)
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Mehr über Kamikaze erfahren sie am Freitag, dem 14.9. um 22.35 Uhr in "Modern Times"
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->   Institut für medizinische Psychologie der Universität Wien
 
 
 
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01.01.2010