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Rechtliche Fragen des Embryonenschutzes  
  Im Rahmen des Internationalen Ö1 -Symposions "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?" werden Experten und Expertinnen unterschiedlicher Disziplinen Möglichkeiten und Folgen der embryonalen Stammzellenforschung diskutieren. Dabei geht es auch um juristische Fragen.  
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Ö1-Symposion zum Thema Embryonenschutz
"Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?"
Ort: ORF/Funkhaus/Studio 3. Argentinierstraße 30a, 1040 Wien
Zeit: Donnerstag, 11. und Freitag, 12. Oktober 2001, jeweils ab 16.00 Uhr, Eintritt frei

Veranstalter: Ö1, Hauptabteilung Wissenschaft, Bildung, Gesellschaft und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien in Kooperation mit der Österreichischen Ärztekammer und das Zentrum für Medizin.

Christian Kopetzki, Jurist und Mitglied der Bioethik-Kommission der österreichischen Bundesregierung, wird sich in seinem Beitrag mit den rechtlichen Rahmenbedingungen befassen. Science.orf.at stellt daraus einige Thesen vor:
->   Das Programm
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Embryonenschutz - juristische Aspekte vielfältig
Juristische Fragen des Embryonenschutzes können auf verschiedenen Ebenen diskutiert werden: Wie ist der Embryonenschutz nach der geltenden Gesetzeslage ausgestaltet? Welche verfassungsrechtlichen Schranken bestehen für eine mögliche künftige Neuregelung? Wie sind die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen?

Davon zu unterscheiden ist die rechtspolitische Frage, welche Intensität des Embryonenschutzes aus ethischen und/oder gesundheitspolitischen Überlegungen angestrebt werden sollte.
Alles erlaubt, was nicht verboten ist
Im demokratischen Rechtsstaat ist dem Einzelnen - rechtlich gesehen - alles erlaubt, was nicht verboten ist. Die Begründungs- und Argumentationslast liegt daher immer bei jenen, die Verbote fordern oder postulieren, und nicht bei den Befürwortern einer Erlaubnis.
Embryonenschutz im österreichischen Recht uneinheitlich
Der Embryonenschutz ist im geltenden österreichischen Recht uneinheitlich ausgeformt: Während der volle Rechtsschutz der Person erst mit der Geburt beginnt, besteht für das vorgeburtliche Leben ab der Nidation ein abgestufter Schutz nach Maßgabe der strafrechtlichen Bestimmungen über den Schwangerschaftsabbruch.
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Nidation
Das Sicheinbetten eines befruchteten Eis in der Gebärmutterschleimhaut.
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Danach liegt die Entscheidung über den Abbruch innerhalb der ersten drei Monate grundsätzlich bei der Schwangeren; bei bestimmten Indikationen tritt dieser Schutz aber sogar bis unmittelbar vor die Geburt zugunsten anderer Interessen in den Hintergrund.
Eingriffe an Embryonen verboten
Vor der Nidation - insbesondere im Hinblick auf den extrakorporalen Embryo in vitro - ist der Schutz befruchteter Eizellen aufgrund des Fortpflanzungsmedizingesetzes hingegen wesentlich strikter: Das Gesetz verbietet sämtliche (sei es therapeutische, diagnostische oder forschende) Eingriffe an (befruchteten) Embryonen, sofern sie nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich sind.
Forschung und Klonen nicht explizit geregelt
Biomedizinische Techniken wie das Klonen oder die Forschung mit embryonalen Stammzellen sind in Österreich nicht explizit geregelt. Tragfähige Aussagen lassen sich erst mit mehr oder weniger großem Interpretationsaufwand aus Gesetzen ableiten, die im Grunde ganz andere Bereiche zum Gegenstand haben.
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Reproduktives Klonen verboten, therapeutisches möglich
Gut begründbar ist etwa, dass das "reproduktive Klonen" aufgrund des Fortpflanzungsmedizingesetzes verboten ist. Differenzierter ist die Rechtslage auf dem Gebiet der Forschung mit embryonalen Stammzellen: An überzähligen Embryonen aus der Reproduktionsmedizin ist derzeit jede Forschung verboten. Anders fällt hingegen die Beurteilung des "therapeutischen Klonens", also der Herstellung von embryonalen Stammzellen durch den Transfer somatischer Zellkerne in entkernte Eizellen aus: Der Schutz des Fortpflanzungsmedizingesetzes bezieht sich nämlich nur auf ¿befruchtete¿ Eizellen, was auf die durch Kerntransfer erzeugten Zellen nicht zutrifft. Im Ergebnis spricht daher viel dafür, dass die Verwendung der durch Kerntransfer gewonnen embryonalen Stammzellen (sei es für die Forschung oder für therapeutische Zwecke) derzeit zulässig ist.
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Embryonenschutz - verfassungsrechtlich kaum Vorgaben
Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Embryonenschutz sind in Österreich - anders als in der BRD - gering ausgeprägt: Abgesehen vom (immer einschlägigen) Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes werden das Recht auf Leben, der Grundsatz der Menschenwürde, grundrechtliche Schutzpflichten zugunsten neuer Heilmethoden sowie die Forschungsfreiheit zu prüfen sein:

Aus dem Grundrecht auf Leben, das in Österreich durch Art. 2. der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt ist, lässt sich für die - im Mittelpunkt der Diskussion stehende - Zulässigkeit der Embryonenforschung, des "therapeutischen Klonens" und der Gewinnung embryonaler Stammzellen in der Frühphase der Embryonalentwicklung nichts gewinnen.
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"Ungeborenes" nicht im Grundrecht auf Leben berücksichtigt
Nach der von den österreichischen Höchstgerichten vertretenen Auffassung bezieht sich das Grundrecht auf Leben nicht auf das ungeborene Leben. Darüber kann man zwar geteilter Meinung sein, und es folgt daraus auch nicht die völlige verfassungsrechtliche Schutzlosigkeit des Embryos, weil aufgrund allgemeiner Sachlichkeitserwägungen ein abgestufter Übergang zum vollen Lebensschutz geboten ist.
Eine Ausdehnung des grundrechtlichen Lebensschutzes auf die früheste Embryonalentwicklung ab dem Zeitpunkt der Empfängnis - insbesonders auf Embryonen in vitro vor der Nidation - lässt sich aber verfassungsrechtlich nicht begründen. Das gilt nicht nur für Art 2 EMRK, sondern auch für die gleichgelagerten Rechte im Art 6 des UN-Weltpaktes über bürgerliche und politische Rechte sowie in Art 2 Abs 1 der Grundrechtscharta der Europäischen Union.
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Berufung auf Menschenwürde wenig hilfreich
Nicht minder unsicher ist der rechtliche Boden bei der Berufung auf die Menschenwürdegarantie. Anders als nach deutschem Grundgesetz enthält die österreichische Bundesverfassung keinen ausdrücklichen Grundsatz der Menschenwürde. Ein solcher kann nur mittelbar aus dem Verbot unmenschlicher und erniedrigender Strafe und Behandlung (Art 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention) abgeleitet werden. Doch bezieht sich auch dieses Grundrecht nur auf Grundrechtsträger, also auf Personen.

Doch selbst wenn man - was noch nicht ausdiskutiert ist - eine objektivrechtliche Ausstrahlungswirkung auf die Embryonalphase bejahen wollte, reicht diese nicht bis zum Frühstadium der Entwicklung. Auch ein Blick in die überaus vielfältige europäische Rechtslandschaft zeigt, dass von einem einheitlichen Mindeststandard des Embryonenschutzes (der bei der Interpretation des EMRK berücksichtigt werden müsste) nicht die Rede sein kann.
Als rechtliches Regulativ unbrauchbar
So wichtig das Prinzip der Menschenwürde als Leitbild sowohl bei der bisherigen Grundrechtsentwicklung als auch bei der künftigen Rechtsgestaltung war und ist, so unbrauchbar ist die "Menschenwürde" als rechtliches Regulativ bei Interessenkonflikten und kontroversiellen ethischen Auseinandersetzungen, weil darunter im Konfliktfall jeder etwas anderes versteht.
Schutz der Forschungsfreiheit versus Embryonenschutz
Nach Art 17 des Staatsgrundgesetzes steht auch die Wissenschaftsfreiheit unter verfassungsrechtlichem Schutz. Die Freiheit der Forschung ist zwar nicht unbegrenzt - sie kann zum Schutz anderer Rechtsgüter in angemessener Weise eingeschränkt werden.
Einschränkung der Forschungsfreiheit zulässig
Spezifisch intentionale Einschränkungen sind aber nach der Rechtsprechung des VfGH nur dann zulässig, wenn sie zum Schutz anderer verfassungsrechtlich geschützter Güter (zum Beispiel Grundrechte der in die biomedizinische Forschung einbezogenen Patienten) erforderlich sind. Innerhalb dieser Schranken ist die Forschung "frei", unabhängig von ihrem Inhalt und unabhängig davon, ob sie ein ethisch allseits akzeptiertes Ziel verfolgt.

Da zukünftige Erfolgschancen nie verlässlich vorhergesehen werden können, gehört zur Freiheit der Forschung gerade auch, dass die Tür ins Ungewisse und Unvorhersehbare offen bleibt.
Freiheit der Stammzellenforschung rechtlich geschützt
Für den Embryonenschutz in vitro bedeutet das: Auch die Forschung mit embryonalen Stammzellen steht grundsätzlich unter dem Schutz der Bundesverfassung. Gezielte Eingriffe in diese Freiheit müssen durch ein "gegenläufiges" Verfassungsrechtsgut begründet werden.

Das ist in der humanmedizinischen Forschung ohne weiteres möglich, weil die Wissenschaftsfreiheit durch die Rechte der Patienten limitiert wird. Da jedoch diese Begründung eines gleichartigen verfassungsrechtlichen Schutzes in der frühen Embryonalphase Schwierigkeiten bereitet, tendiert die verfassungsrechtliche Perspektive eher zu einer begrenzten Zulassung als zu einem völligen Verbot derartiger Techniken.
Spielraum für künftige Rechtspolitik groß
Die verfassungs- und völkerrechtlichen Determinanten, die den Spielraum bei der künftigen Rechtspolitik hinsichtlich der Verwendung embryonaler Stammzellen begrenzen, sind also recht dünn und, sofern überhaupt begründbar, eher "forschungs- und therapiefreundlich".

Die rechtspolitische und ethische Auseinandersetzung wird dadurch gewiss nicht leichter, weil sich der Rekurs auf vermeintlich feste verfassungsrechtliche Bastionen wie die "Menschenwürde" oder das "Recht auf Leben" als wenig tragfähig erweist und daher die unterschiedlichen moralischen, theologischen und gesundheitspolitischen Positionen weitgehend ohne "grundrechtliche Rückendeckung" vorgetragen und ausgeglichen werden müssen.
Chancen auf einen pragmatischeren Umgang?
Auf der anderen Seite liegt im Verzicht auf permanente Fundamentalbegründungen aus dem Wesen des Menschen auch eine Chance zu einem etwas unaufgeregteren und pragmatischeren Umgang mit "bioethischen" Themen, wie er in anderen Staaten üblich ist.
Konkrete rechtspolitische Überlegungen unvermeidbar
Aus rechtspolitischer Sicht lassen sich - ohne dieser inhaltlichen Diskussion hier vorzugreifen - einige Aspekte skizzieren, die dabei im Auge behalten werden sollten: Jede künftige Regelung sollte in sich konsistent sein und Wertungswidersprüche nach Möglichkeit vermeiden.
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Geltende Rechtslage widersprüchlich
Der geltenden Rechtslage kann dies nicht attestiert werden, wie ein Blick auf die völlig divergierenden Regelungen hinsichtlich der pränatalen Diagnose, der pränatalen Gendiagnose und der Präimplantationsdiagnose oder aber auch ein Vergleich zwischen dem Abtreibungsrecht und dem Embryonenschutz in vitro zeigt.
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Künftige Gesetze auf dem Gebiet der Biomedizin sollten sich klarer und expliziter Formulierungen bedienen, deren regulierende Kraft nicht von unbestimmten Prinzipien wie der "Menschenwürde" oder einer generellen "ethischen Kompatibilitätsprüfung" abhängt.
Bei sensiblen Themen Regelungen um so wichtiger
Je sensibler ein Thema ist und je unterschiedlicher die vertretenen moralischen und gesundheitspolitischen Standpunkte, desto wichtiger wird es sein, die divergierenden Interessen durch Regeln voneinander abzugrenzen, deren Bedeutung gerade auch jenen zugänglich ist, die die dahinter stehenden Wertentscheidungen nicht teilen wollen oder können.

Manche Grundsatzfragen lassen sich nicht in der Hoffnung auf einen gesamtgesellschaftlichen Konsens ausdiskutieren, weil diese Diskussion - mangels Verbindlichkeitsanspruch der konfligierenden Moralvorstellungen - nie zu einem Ende kommen wird.

Da zwar divergierende "Ethiken", nicht aber widersprüchliche rechtliche Regelungen nebeneinander Bestand haben können, müssen diese Fragen - soweit es um ihre rechtliche Dimension geht - daher irgendwann entschieden werden. Der im demokratischen Rechtsstaat dafür verfassungsrechtlich vorgesehene Ort ist das Parlament.
Recht und Politik, ein Regulativ widerstreitender Interessen
Alle Beteiligten des künftigen Diskurses werden mit Kompromissen umgehen müssen. In einem pluralistischen, säkularisierten und demokratischen Staat ist kaum zu erwarten und auch nicht wünschenswert, dass sich bestimmte Werte immer "unbeschädigt" verwirklichen lassen. Recht und Politik dienen dem Ausgleich widerstreitender Interessen, nicht der Durchsetzung der "wahren Lehre".

Bei den meisten Themen wird es auch weniger um ein striktes Entweder/Oder gehen, sondern eher um konkrete Grenzen, Bedingungen, Schranken und Kontrollen neuer Techniken, mithin also Abwägungen und Feinsteuerungen im Detail.
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Christian Kopetzki
Dr. jur., Dr. med., Univ.-Prof. am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Univ. Wien, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Medizinrecht (Wien), stv. Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Univ. Wien, u. Mitglied d. Bioethik-Kommission d. österr. Bundesregierung.
->   Univ.-Prof. DDr. Christian Kopetzki, Institut für Ethik und Recht in der Medizin
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Auskünfte über das Symposion
Ö1 Servicenummer: (01) 501 70 371
e-mail: symposien@orf.at
 
 
 
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01.01.2010