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Mit Clausewitz den Terror verstehen  
  Die häufig als überholt bezeichnete Clausewitz' These - Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln - ließe sich insbesondere auf die Terroranschläge in New York und Washington anwenden, argumentiert der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler in der Frankfurter Rundschau.  
Münkler spricht sich gegen die Verabschiedung von Clausewitz als Theoretiker des Krieges aus und betont dessen Aktualität. Clausewitz' Ansatz bewähre sich gerade darin, die jüngsten Terroraktionen als Kriegshandlungen zu entschlüsseln und zu verstehen, so der Politikwissenschaftler.
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Carl Philipp Gottfried von Clausewitz
Carl von Clausewitz, am 1. Juni 1780 in Burg bei Magdeburg geboren, seit 1792 Soldat und seit 1801 an der Kriegsakademie, verließ 1812 Preußen und trat in russische Dienste. Nach dem Sieg über Napoleon 1815 wieder zurückgekehrt, beschäftigte er sich als Generalmajor an der Allgemeinen Kriegsschule mit den strategischen, ethischen und politischen Lehren aus den Befreiungskriegen, niedergelegt in der Schrift "Vom Kriege", die man nach seinem Tod am 16. November 1831 in Breslau im Nachlass fand. Sie wurde Grundlage aller modernen Kriegslehren.
->   Sein Werk
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Krieg ¿ "ein wahres Chamäleon"
Wesentlich am Clausewitz' Ansatz sei die Charakterisierung des Krieges als einem Chamäleon, das seine Erscheinungsform ständig verändere. Diese Veränderung erwachse dem sich permanent verändernden Zusammenspiel von Gewaltsamkeit im Messen der Kräfte sowie der Kreativität und Rationalität bei der Verfolgung der mit dem Krieg angestrebten Zwecke.
Erweiterter Zweikampf
Trotz den unterschiedlichen Erscheinungsformen ist allen Kriegen gemeinsam, dass es dabei zu einem Aufeinanderprallen zweier Willen kommt, die - weil sie konträre Absichten verfolgen - in einen Zweikampf hineinführen. In diesem versuchen sich die Willen gegenseitig zu brechen.

"Es ist diese einfache Definition des Krieges als eines erweiterten Zweikampfs, die Clausewitz' Kriegsdefinition nach wie vor aktuell sein lässt, auch wenn manche seiner Konkretisierungen historisch überholt sein mögen", erklärt Münkler.
USA: gegnerischen Willen personifiziert
Dass die US-Regierung nach den Terroranschlägen vom 11. September von einem Krieg gegen die Vereinigten Staaten sprach, ist für Münkler eine Bestätigung der These vom erweiterten Zweikampf, dem Kampf zweier Willen. In diesem Fall wurde der gegnerische Wille durch Osama bin Laden personifiziert.
Unklarheit der Absichten eskaliert den Krieg
Auch wenn die Ziele des gegnerischen Willens nach wie vor im Unklaren liegen mögen, so ist die These vom Aufeinanderprallen zweier Willen dennoch zulässig.

"Gerade die Unklarheit über die gegnerischen Absichten ist von Clausewitz als einer der eskalierenden Faktoren des Krieges begriffen worden, weil er es unmöglich macht, Begrenzungen der Kriegsanstrengungen festzulegen, und weil er zugleich verhindert, dass nach Kompromissen Ausschau gehalten werden kann", so Münkler.
Bei Eskalation keine Verhandlungen möglich
Im Fehlen der Bekennererklärungen mit entsprechenden Forderungen, sieht Münkler einen Beleg dafür, dass die USA und möglicherweise die westliche Zivilisation in ihrer Gänze als absoluter Feind betrachtet werden. Mit diesem Feind dürfe es keinerlei Übereinkommen geben, ihn gälte es mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Terroranschläge als Kriegshandlung eindeutig?
Ob nun das Eskalationsprinzip, des mit regulären Kräften geführten Krieges auch für Konflikte gilt, in denen eine der beiden Seiten mit terroristischen Methoden agiert, scheint fraglich, wenn man die Übermacht der physischen Gewalt als entscheidendes Kriterium für die Willensdurchsetzung annimmt.

Auch hat Clausewitz die Entscheidungsschlacht konventioneller Kriege als ein Messen der moralischen und physischen Kräfte mit den Mitteln der letzteren definiert. Demnach wäre die Strategie des Terrors laut Münkler eine Verkehrung ins Gegenteil: "Sie zielt unmittelbar auf die moralischen Kräfte des Gegners und will die eigenen Kräfte durch den Aufweis von dessen Verletzbarkeit vergrößern."
Den Mut des Gegners vernichten
Münkler greift an dieser Stelle erneut das Aufeinanderprallen zweier Willen auf und verweist auf das von Clausewitz formulierte eigentliche Ziel konventioneller Schlachten. Demnach geht es weniger um ein Totschlagen des Gegners, sondern um die Vernichtung seines Mutes.

Damit wiederum wird der Wille des Gegners gebrochen und der eigene durchgesetzt. Daraus abgeleitet wäre der Terrorismus nicht etwas ganz anderes als herkömmlich Kriegsführung, sondern nur eine Verschiebung der Kampfzonen, so Münkler.
->   Überreaktion und langfristige Folgen
->   Derrida: USA und Europa müssen ihre Politik ändern
 
 
 
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01.01.2010