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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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Plädoyer für die Geisteswissenschaften  
  Im Zeitalter des Genoms und der Lebenswissenschaften sehen sich Geisteswissenschaftler in der Förderung und medialen Aufmerksamkeit für ihre Projekte deutlich benachteiligt. Nun wird versucht, die Stärken dieser Disziplin zu betonen und sie inhaltlich-methodisch neu auszurichten.  
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Hertha-Firnberg-Stellen 2001
Die Firnbergstellen ermöglichen es jungen Wissenschaftlerinnen, sich drei Jahre lang unter guten Konditionen ihren Forschungsprojekten zu widmen. Eine der neun Firnberg -Stipendiatinnen, denen in der vergangenen Woche Ihre Stellen durch Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer verliehen wurde, ist die Historikerin Dr. Ursula Prutsch von der Universität Wien. Ihr Forschungsprojekt, das science.orf.at demnächst ausführlicher vorstellen wird, behandelt ¿Die Kulturpolitik Brasiliens und den Einfluss Europas und der USA von 1930 bis in die fünfziger Jahre¿. In ihrer Dankesrede ließ Ursula Prutsch mit einigen kritischen Bemerkungen zum aktuellen Stellenwert der Geisteswissenschaften aufhorchen.
->   Mehr über die Hertha-Firnberg-Stellen
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Geisteswissenschaften in der Defensive?
Von Ursula Prutsch

Obwohl ich mich in meiner Arbeit auf außerösterreichischem Terrain befinde, scheint mir der Kontext der Verbindung von Wirtschaft mit Kultur- und Wissenschaftspolitik - gerade was die österreichische Forschungslandschaft betrifft - aktuell.
Förderanteil sinkt
Die Geisteswissenschaften sind aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der zurückgehenden Fördermittel in der Defensive. Seit 1998 sank der Förderanteil der Geisteswissenschaften des FWF auf 13,8% im Jahr 2000 ab, während die Naturwissenschaften einen Anteil von 54,8% einnehmen.
Abwesenheit der Geisteswissenschaftler
Dem neugeschaffenen ¿Rat für Forschung und Technologieentwicklung¿, der das erklärte Ziel der Bundesregierung umsetzen soll, die wissenschaftliche Forschung, technische Entwicklung und Grundlagenforschung im nationalen Rahmen besonders zu fördern, gehört kein einziger Geistes- oder Sozialwissenschaftler an.

Zu den von diesem Gremium formulierten Zielen zählt jedoch auch die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des "hohen sozio-kulturellen Niveaus Österreichs und seiner Gesellschaft". Der Rat liegt damit im Trend der von der Europäischen Union gesetzten Forschungsschwerpunkte.
Neoliberale Logik
Die Geistes- und Kulturwissenschaften verlieren gerade in der neoliberalen Logik an Bedeutung, weil sie keinen direkten und sofortigen ökonomischen Wert darstellen. Die ethische Gebundenheit, der andere Umgang mit zeitlichen Dimensionen steht den kurzfristig-dynamischen Strategien und dem Pragmatismus des ökonomischen Denkens gegenüber.
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Gestörter Dialog
Dass der Dialog zwischen Geistes- und Ingenieurswissenschaften gestört ist, schlug sich vor einigen Monaten auch medial nieder. Ersteren wird mangelnde Produktivität und Zukunftsorientiertheit sowie Rückwärtsgewandtheit vorgeworfen.
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Deutlicher Rückgang
Dieser deutliche Rückgang geistes- und kulturwissenschaftlicher Projekte lässt den Eindruck aufkommen, dass diese ökonomische und politische Interessen stören: denn sie erforschen Gründe, die hinter menschlichem Handeln stehen, und lassen Hintergründe unserer Kulturen erkennen.

Geschichtswissenschaften etwa dekonstruieren Geschichtsbilder, analysieren die politische Legitimation von Macht, erforschen die Rolle und Bedeutung, die historische Abschnitte für die gegenwärtige Welt besitzen, und arbeiten Geschehenes kritisch auf.
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Kulturerbe als Wirtschaftsfaktor
Es darf zudem nicht vergessen werden, dass Geisteswissenschaften Identitätsangebote liefern, Traditionen zu bewahren und somit Möglichkeiten kultureller Betätigung zu ventilieren helfen. Österreichs Kulturerbe ist ein nicht unbeträchtlicher Wirtschaftsfaktor.
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Konstruktive Kritik ...
Zu den zentralen Aufgaben in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft müsste es zählen, differenzierend zu wirken, Feindbilder abzubauen, ¿clashs of civilizations¿ und einem bipolaren Denken vom ¿Guten¿ und ¿Bösen¿, das oftmals von Medien verstärkt und von Machtstrategien benützt wird, entgegenzuarbeiten.

Konstruktive Kritikfähigkeit statt Förderung einer Kultur der Harmonisierung stellt für gesellschaftliches und kulturelles Zusammenleben und seine Weiterentwicklung eine wesentliche Bedingung dar. Um dies einlösen zu können, benötigen die Geisteswissenschaften eine gezielte Förderung der Forschung in einem international vernetzten Kontext.
... und autonome Räume
Wissenschaft und Forschung im allgemeinen brauchen für ihr nationales und internationales Renommee von Parteipolitik unabhängige, autonome universitäre und außeruniversitäre Räume, die Kritik auch ohne Sanktionen und Nachteile zulassen.
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Hertha-Firnberg-Stellen 2001
Ursula Prutsch studierte Geschichte an der Universität Graz und beschäftigte sich bereits in ihrer Diplomarbeit mit Südamerika. Seit ihrer Promotion 1993 hat sie in mehreren FWF-Projekten mitgearbeitet und ist u. a. Mitglied in der Gesellschaft für Exilforschung.

Dr. Ursula Prutsch: Kulturpolitik und Kulturtransfer am Beispiel Brasilien. Institut für Geschichte, Universität Wien
->   Mehr über das Forschungsprojekt
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Lesen Sie mehr über die Hertha-Firnberg-Stellen in science.orf.at:
->   Verborgene Lebewesen des Meerwassers
->   Computermodell zum situationsbezogenen Lernen
 
 
 
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01.01.2010