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Migräne - weit verbreitet, selten behandelt  
  Jeden Tag erleiden in der EU rund 500.000 Menschen eine schwere Migräneattacke. Doch nur die Hälfte der Betroffenen kontaktiert einen Arzt, um Hilfe zu suchen. Daher wird Migräne - obwohl weit verbreitet - selten diagnostiziert, häufig aber auch mangelhaft behandelt.  
Trotz ihrer typischen Charakteristika, ein einseitiger, pochender Schmerz, wird Migräne selten vom Arzt erkannt. "Das Problem ist die richtige Diagnose. Jeder Facharzt sieht oft nur seinen eigenen Bereich", meint Volker Limmroth von der für Migräne- und Kopfschmerzforschung bekannten neurologischen Universitätsklinik in Essen.

Dabei ist Migräne keine seltene Erkrankung. "Zehn bis 15 Prozent der Frauen leiden an Migräne, ebenso fünf bis sieben Prozent der Männer. Hinzu kommen noch fünf bis zehn Prozent der Kinder", sagte Limmroth anlässlich einer Fachtagung zum Thema "Kopfschmerz".

In Österreich leiden etwa zwölf Prozent der Bevölkerung an dieser Art des Kopfschmerzes. Über die Ursachen sind sich die Mediziner nicht einig.
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Migräne
Migräne ist ein Erkrankung des Gehirns bzw. der Gehirngefäße, die nicht heilbar, jedoch gut behandelbar ist. Sie kann prinzipiell in jedem Alter auftreten, meistens jedoch zwischen der Pubertät und dem 50. Lebensjahr. Frauen sind drei Mal häufiger betroffen als Männer.

Migräne tritt attackenweise, manchmal in regelmäßigen, manchmal in ganz unregelmäßigen Abständen auf. Meistens wird der Schmerz einseitig in den Regionen um Stirn, Schläfen und Augen wahrgenommen. Er wird als pochend bzw. hämmernd empfunden und durch körperliche Aktivität verstärkt. Die Häufigkeit der Attacken variiert individuell sehr stark. So sind manche Menschen nur ein bis zwei Mal pro Jahr von Migräneanfällen betroffen, während andere wiederum ein bis zwei Mal pro Woche darunter leiden. Die Migräneattacken können zwischen vier Stunden und drei Tagen andauern und werden häufig von Übelkeit, Brechreiz, Licht- und Lärmempfindlichkeit begleitet.
->   Ursachen, Formen und Behandlung der Migräne
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"Streit" um die Ursachen
"Der Internist erklärt, der Blutdruck des Betroffenen wäre zu niedrig. Der Gynäkologe sagt, dass die Hormone schuld sind. Der HNO-Arzt spricht von einer chronischen Nebenhöhlenentzündung, der Zahnarzt rät, die alten Plomben durch neue Gold-Inlays zu ersetzen", so Limmroth.

"Bei den Orthopäden ist an allem die Halswirbelsäule schuld. Der Psychiater spricht von Depressionen - und wenn da die Behandlung nicht hilft, sagt der Psychoanalytiker: Sie brauchen eine Psychotherapie", erzählt der Kopfwehspezialist weiter.
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Die vier Phasen der Migräne
Die erste, die so genannte Prodromalphase, kann dem eigentlichen Kopfschmerz Stunden bis Tage vorausgehen. Die verschiedenen Symptome dieser Phase wie Reizbarkeit, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Heißhunger oder Appetitlosigkeit, gehobene oder gedrückte Stimmung können sehr stark ausgeprägt oder für den Betroffenen kaum erkennbar verlaufen.

Die zweite Phase nennt man Aura. Sie entwickelt sich innerhalb von wenigen Minuten und dauert in der Regel 15 bis 20, maximal 60 Minuten. Typische Symptome sind Seh- und Empfindungsstörungen wie z. B. Blitze oder Flimmern vor den Augen. Mediziner erklären diesen Zustand durch die vorübergehende Mangeldurchblutung bestimmter Gehirnareale.

Als dritte Phase folgt der eigentliche Migräneanfall. Die Schmerzattacken können bis zu 72 Stunden dauern.

Danach kommt es zur vierten und letzten Phase, der so genannten Postdromalphase. Dabei handelt es sich um die "Abklingphase" der Migräneattacke. Sie ist verständlicherweise durch Müdigkeit, Abgeschlagenheit, depressive Stimmung, verminderte Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit gekennzeichnet.
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Monatsblutung - der Beginn eines Lebens mit Migräne
Laut Elizabeth Anne MacGregor von der "City of London Migraine Clinic" wachsen Frauen in die Migräne sozusagen hinein.

"15 Prozent von ihnen erleben den ersten Anfall mit dem Beginn der Menstruationen. Am ersten Tag der Monatsblutung gibt es eine deutliche Häufung der Anfälle", meint die Medizinerin. Mit zunehmendem Alter und dem Näherkommen der Menopause bessert sich die Situation allerdings oft.
Zusammenhang noch unerforscht
Welche hormonellen Veränderungen im Rahmen des Monatszyklus am ehesten für das Auftreten der Migräne verantwortlich sind, ist noch unklar.

Wahrscheinlich spielt der abfallende Östrogenspiegel nach dem Eisprung wie auch der Anstieg der Gestagene danach eine Rolle. Das ist, so nehmen die Mediziner an, von Fall zu Fall unterschiedlich.
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Wie entsteht Migräne? ¿ Teil I
Studien haben gezeigt, dass es auf Grund einer Nervenfunktionsstörung zu einer Erweiterung und Entzündung der großen Gehirngefäße kommt. Das heißt, die Gehirngefäße dehnen sich aus, und durch diese Ausdehnung der Gehirngefäße können wieder körpereigene, im Blut vorhandene, schmerzverstärkende Substanzen ins Gewebe austreten.
->   Was ist Migräne?
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Migräne bei Kindern oft verkannt
Kinder leiden nicht nur unter den Schmerzen der Migräne, denn: "Ihre Migräneattacken sind oft kürzer als die von Erwachsenen. Häufig tritt Magenweh dazu auf", sagt Limmroth.

"Die Eltern vermuten daher oft, ihre Kinder wollen nur die Hausaufgaben nicht machen", so Limmroth weiter. "Wegen der kürzeren Beschwerden kann man sie auch nicht so gut behandeln."
Das richtige Medikament zum richtigen Zeitpunkt
"Es kommt darauf an, dass die Patienten das für sie individuell richtige Medikament in der richtigen Dosis zum richtigen Zeitpunkt einnehmen", sagt die Kopfschmerzexpertin MacGregor.

Ein Drittel der Betroffenen hat so häufige oder so schwere Attacken, dass sie sich z. B. in abgedunkelte Zimmer zurückziehen müssen und schwer beeinträchtigt sind. Trotzdem warten die meisten Menschen oft zu lange, bis sie ein Medikament einnehmen.

"Ist der Migräneanfall aber einmal so richtig in Gang gekommen, lässt er sich nur noch schlecht beherrschen", meint MacGregor. In Zusammenarbeit mit einem Arzt sollte es jedoch möglich sein, eine individuelle und optimale Strategie gegen die Migräne zu erarbeiten.
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Wie entsteht Migräne? ¿ Teil II
Bei diesen körpereigenen, schmerzverstärkenden Substanzen handelt es sich um Neuropeptide. Diese Neuropeptide sind so genannte Entzündungsmediatoren, also Stoffe, die entzündliche Prozesse fördern. So wird die Nervenentzündung praktisch vorangetrieben und befällt auch bestimmte Hirnzentren wie den so genannten Hirnstamm. Im Hirnstamm scheint der Migränegenerator zu sitzen, der den Prozess einer Migräneattacke aufrechterhält und ankurbelt.

Denn von diesem Migränegenerator gehen wiederum Nervenfasern zu den umliegenden Gefäßen, die eine Erweiterung dieser Gefäße auslösen. Dadurch treten Entzündungsfaktoren aus den Gefäßen aus und somit schließt sich der Regelkreis. Die rasenden Kopfschmerzen sind auf Veränderungen an der Gefäßwand und den sich in der Gefäßwand befindlichen Schmerzrezeptoren zurückzuführen. Unklar ist allerdings, durch welchen Mechanismus die Migräneauslöser diesen Prozess in Gang setzen und wodurch er wieder gestoppt wird.
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Acetylsalicylsäure und Co.
Die Wirksamkeit von Substanzen wie Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin), so genannten nicht steroidalen Antirheumatika und den Medikamenten zur Therapie schwerster Anfälle ("Triptane") ist von Patient zu Patient unterschiedlich.

Allerdings wirken auch die modernsten Medikamente bei weitem nicht immer und nicht immer ausreichend stark.
Lang- und Kurzzeittherapien
Die Behandlung der Migräne wie auch anderer Kopfschmerzarten unterteilt man in eine Akut- und Langzeittherapie. Ziel der Kurzzeitprophylaxe ist es, die Migräneattacke schon in der ersten der vier Phasen der Migräne abzufangen.

Bei der medikamentösen Langzeittherapie versucht man mit Hilfe einzelner Medikamentengruppen die Gefäßwände im Gehirn zu stabilisieren.

Da es mit dem Beginn der Migräne meistens zu einer Verlangsamung bzw. zum Stillstand der Peristaltik des Magens kommt, empfehlen die Mediziner auch die Einnahme von Substanzen gegen die Übelkeit.
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Sumatriptan - Hilfe bei schweren Anfällen
Vor rund zehn Jahren wurde mit Sumatriptan ein völlig neues Medikament zur Behandlung schwerer Migräne auf den Markt gebracht. Dieses Medikament kann in manchen Fällen sogar während des Migräneanfalles Linderung bringen. Sumatriptan blockiert die Rezeptoren für den Neuro-Botenstoff Serotonin.

Dieser Neurotransmitter ist wesentlich an der Migräneentstehung beteiligt. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von "Triptanen". Natürlich haben auch diese Medikamente potenzielle Nebenwirkungen.
->   Medikamente und Migräne
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Vorbeugen, aber wie?
Migräne ist nicht heilbar, daher kommt es, auch im Sinne der Prophylaxe, vor allem auf das "Management" des Problems an. Die Vermeidung von Individuellen Auslösern der Schmerzattacken wie Lärm, Gerüche, bestimmte Nahrungsmittel kann nur ein Teil der Strategie sein.

Denn in der Prophylaxe der Migräne sind leider noch viele Fragen ungelöst. Auch der Einsatz der unterschiedlichsten Medikamente, wie Beta-Blocker oder ASS bringt keine einheitlichen Ergebnisse und nur individuelle Teilerfolge.

Daher ist es zunächst am wichtigsten, dass die Migräne diagnostiziert wird. Gemeinsam mit dem Arzt kann dann das Problem so gemanagt werden, dass die Attacken optimal beherrscht werden können und die Beeinträchtigungen gering bleiben.
->   Neurologische Universitätsklinik Essen
->   World Headache Alliance
 
 
 
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01.01.2010