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Neue Therapie-Hoffnung für Multiple Sklerose  
  Man nimmt an, dass ungefähr 70 von 100.000 Menschen in Europa an Multipler Sklerose leiden. Die Erkrankung kann nach wie vor nicht ursächlich behandelt werden. Doch jetzt gelang es nicht nur, bestimmte Zellen zu inaktivieren und damit eine deutliche Verbesserung der Krankheitssymptome zu erreichen. Eine zweite Studie enthüllte auch neue Details zum Regenerationsprozess von Nervenzellen bei Menschen, die an Multipler Sklerose leiden.  
Wissenschaftlern um Thomas Lane ist es gelungen, durch die Inaktivierung bestimmter Proteine, der so genannten Chemokine, eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustandes von an Multipler Sklerose erkrankten Mäusen zu erreichen.

Dies berichtet die Forschergruppe von der University of California in der aktuellen Ausgabe des "Journal of Immunology".
->   Artikel im "Journal of Immunology" (167, 4091- 4097; kostenpflichtig)
Multiple Sklerose: Unaufhaltsame Zerstörung
Multiple Sklerose, kurz MS, befällt die Nerven im Gehirn: Unaufhaltsam zerstört ein noch unbekannter Mechanismus in einigen Regionen des Gehirns die so genannten Myelinscheiden um die Fortsätze der Neuronen.

Infolge der unterbrochenen Isolierung breiten sich Nervenimpulse langsamer oder gar nicht mehr aus - mit katastrophalen Folgen für die MS-Patienten.
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Chemokine
Chemokine sind Botenstoffe des Körpers, die bei Entzündungsprozessen eine wichtige Rolle spielen. Bei vielen Entzündungskrankheiten, sei es in rheumatischen Gelenken, bei Hautekzemen oder Darmentzündungen, haben die Proteine ihre Finger im Spiel. Als molekulare Lockrufer lotsen sie Immunzellen wie die Leukozyten durch die Wand der Blutgefässe zum Entzündungsherd. Erst wenn diese im betroffenen Gewebe eingewandert sind, entwickelt sich eine Entzündung, und erst dann können die Abwehrprozesse gegen Erreger einsetzen.
->   Mehr zu Chemokinen
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Chemokine und ihre weniger günstigen Eigenschaften
So wichtig Chemokine ansonsten im täglichen Immungeschehen sind (siehe oben) - sie veranlassen Zellen des Immunsystems auch dazu, die Myelinscheiden von Nervenzellen anzugreifen.

Die amerikanischen Forscher injizierten den Mäusen Antikörper gegen die Chemokine CXCL 10 und CXCL 9. Während die Antiseren gegen CXCL 9 wirkungslos blieben, stellten sich die CXCL-10-Antikörper als erfolgversprechend heraus: Der Zerfall der Myelinscheiden konnte mittels dieser Antikörper deutlich abgebremst werden.
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Die Myelinscheiden von Nervenzellen
Nervenzellen können zwei Arten erregungsleitender Fortsätze haben: kurze, verästelte Dendriten, die Nervenzellen untereinander verbinden, und Neuriten, die die Erregung an andere Nervenzellen weiterleiten. Die Neuriten besitzen einen durchgehenden Achsenzylinder, der bei den markhaltigen Nervenfasern von einer isolierenden Myelinscheide umgeben ist. Markarme Nervenfasern haben keine oder nur eine dünne Hülle. Myelinscheiden spielen bei der Errgungsweiterleitung eine wichtige Rolle.
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Auch neue Myelinsubstanz entstanden
Darüber hinaus baute sich sogar neue Myelinsubstanz an den Neuronen auf. Das hatte zur Folge, dass sich die neurologischen Funktionen der Tiere auf dramatische Weise wieder erholten: Auf einmal konnten zuvor gelähmte Mäuse plötzlich wieder laufen.

Die positiven Effekte blieben allerdings vorerst auf wenige Tage beschränkt. Die US-Wissenschaftler führen dies auf den Einsatz von Kaninchen-Antikörpern bei der Therapie der Mäuse zurück.

Aus diesem Grund nehmen sie an, dass die Antiseren in den Mäusen eine Immunreaktion provoziert hätten, durch die die eingesetzten Antikörper schließlich neutralisiert wurden. Das Team um Thomas Lane wiederholt deshalb jetzt die Versuche mit modifizierten Antikörpern.
Experte: Ergebnisse sind richtungweisend
Für Richard Ransohoff, Multiple Sklerose-Experte am "Lerner Research Institute" in Cleveland, Ohio sind die Ergebnisse der kalifornischen Kollegen richtungweisend.

Geprüft werden müsste allerdings laut Ransohoff noch, ob die Daten direkt auf den Menschen übertragbar sind.

Zudem weist er auf die Notwendigkeit eines behutsamen Umgangs mit Chemokinen hin: "Diese Substanzen erhalten notwendige Immunfunktionen aufrecht. Deswegen darf man sie nicht vollständig eliminieren."
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Multiple Sklerose
Die Krankheitserscheinungen werden durch eine Entzündung der weißen Substanz des Zentralnervensystems hervorgerufen, die die isolierenden Markscheiden der Neuronen zerstört. Dadurch wird die Erregungsleitung in den Nervenfasern gestört. Es kommt zu neurologischen Ausfällen. Die MS kann jeden Teil des Nervensystems befallen. Schwindel, Kopfschmerzen oder Farbsehstörungen sind erste wichtige Anhaltspunkte. Weitere Symptome sind Störungen der Empfindung für Berührung, Schmerz und Temperatur, spastische Lähmungen sowie Sprech- und Gangstörungen. Diagnostiziert wird MS durch die Entnahme von Nervenwasser.
->   Mehr zu Multipler Sklerose
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Zweite Studie: Gezielt Gen abgeschaltet
Jenny Ting und ihre Kollegen von der University of North Carolina in Chapel Hill widmeten sich in ihrer Studie der Regeneration beschädigter Myelinscheiden, wie in der aktuellen Ausgabe von "Nature Neuroscience" nachzulesen ist.

Um ein besseres Verständnis für die Zerstörung jener Myelinscheiden durch Multiple Sklerose zu bekommen, deaktivierten die Wissenschaftler bei Mäusen gezielt jenes Gen, das den Bauplan für den so genannten "Tumor-Nekrose-Faktor-alpha" beinhaltet.

Dieses Protein meist im Zusammenhang mit Entzündungen auf. Außerdem wird vermutet, dass es das Wachstum von Zellen hemmt und deren Absterben fördert.
Ergebnis: Deutliche Unterschiede
Die auf diese Weise genmanipulierten Mäuse sowie ihre Verwandten mit dem funktionsfähigen Gen wurden von den Forschern anschließend mit dem Myelinscheiden-Gift "Cuprizon" behandelt. Danach beobachtete das Team die weitere Entwicklung in den Gehirnen der Nagetiere.

Während sich die freigelegten Nervenzellausläufer bei den Mäusen mit intaktem Gen regenerierten, war bei den genetisch manipulierten Nagern nichts derartiges zu erkennen.
Wesentlicher Faktor
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass dem Tumor-Nekrose-Faktor-alpha eine entscheidende Bedeutung bei der Neubildung der Myelinscheiden zukommt.

Offenbar können nur in Gegenwart jenes Proteins neue isolierende Schichten um die Fortsätze der Neuronen entstehen - eine interessante Erkenntnis, denn bislang wurde dem Protein eine Wirkung zugeschrieben, die einen Krankheitsverlauf eher verschlimmert.
->   University of California, Irvine, Department of Biological Sciences, Molecular Biology and Biochemistry
->   Nature Neuroscience (kostenpflichtig)
->   Lerner Research Institute
 
 
 
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01.01.2010