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Theater als Sprachrohr  
  Jüdisches Theater hatte besonders in der Vor- und Zwischenkriegszeit in Wien einen international bedeutenden Stellenwert. Eine Wiener Theaterwissenschaftlerin hat sich diesem bislang wenig beachteten Teil der Theatergeschichte nun mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds (FWF) angenommen und eine erste Quellenedition erstellt.  
"Die jüdische Einzeltragödie in Deutschland unter dem Hakenkreuz, gleichzeitig Kollektiverlebnis von 600.000 Juden, die an die Macht sittlicher Grundsätze im Leben der Gesellschaft und der Völker glaubten, kann wohl Anlass auch dramatischen Geschehens werden", schreibt der Journalist und Schriftsteller Oskar Rosenfeld 1936 für die ¿Die neue Welt".

Diese Wiener Zeitung der Jüdischen Gemeinschaft wurde 1897 von Theodor Herzl gegründet.
Jüdische Theatergeschichte in Wien
Mit diesen Zeilen beginnt die Theaterkritik zum jüdischen Zeitstück "Die Grenze" von Albert Ganzert (Pseudoym des deutsch-jüdischen Schriftstellers Avrum Halpert). Das Stück zählt zu den erfolgreichsten Dramen des Wiener "Jüdischen Kulturtheaters".

Dieses Zeitzeugnis spiegelt nicht nur das für Juden dramatische Zeitgeschehen vor 1938 wider, sondern beweist gleichzeitig auch die starke Präsenz einer jüdischen Theaterszene in Wien, die als wichtiges Sprachrohr für die jüdische Gemeinschaft agierte.

Unter der Leitung von Hilde Haider-Pregler vom Wiener Institut für Theaterwissenschaft hat sich die Theaterwissenschaftlerin Brigitte Dalinger - gefördert vom Wissenschaftsfonds (FWF) - diesem bislang wenig beachteten Teil der Theatergeschichte angenommen und eine ausführliche Quellenedition zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien erstellt
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Kleine aber aktive Theaterszene
Von 1900 bis 1938 gab es in Wien eine kleine, aber sehr aktive Szene des Jüdischen Theaters, die vor allem Kabarett, Musical, Operetten, Kleintheater und große Dramen in jiddischer, hebräischer und deutscher Sprache auf die Bühne brachten. Jüdische Ensembles wie die "Jüdische Bühne", die von 1908 bis 1938 existierte, und die engagierten "Jüdischen Künstlerspiele" brachten Schauspieler aus ganz Osteuropa, die hauptsächlich Operetten, Melodramen und jüdische Revuen aufführten, nach Wien.
Nicht nur Lied und Tanz spielten eine wichtige Rolle, sondern vor allem die Probleme des jüdischen Alltags. Zudem bot Immigranten aus dem östlichen Teil der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und aus Osteuropa einen Treffpunkt, bei dem man in der Muttersprache kommunizieren konnte.
->   Jüdisches Museum Wien
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Einblicke in Herkunft und Entstehung
"Ziel des Forschungsprojekts war es, unveröffentlichte und aus sprachlichen Gründen schwer zugängliche Quellen zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien zusammenzufassen und herauszugeben", erläutert Dalinger das vom Wissenschaftsfonds (FWF) geförderte Forschungsprojekt.

"Damit wollen wir die zum Teil einzigartigen Dokumente sowohl Wissenschaftlern aus anderen Forschungsgebieten, als auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen", so Dalinger weiter.
Das Ansehen des jüdischen Theaters in der Gesellschaft
"Das ausgewählte Material gibt einen Einblick in die Herkunft und Entstehung des jiddischen Theaters", führt die Theaterwissenschaftlerin aus.

"Die Edition zeigt auch die Intentionen der Autoren, die deutschsprachigen jüdischen Theaterinitiativen sowie die Stellung des Theaters innerhalb der jüdischen und nichtjüdischen Umwelt und die ästhetische Entwicklung der Dramatik. Außerdem habe ich auf autobiografische Aufsätze wichtiger Theaterleute wie beispielsweise den jüdischen Dramatiker und Regisseur Abraham Goldfaden beziehungsweise biografische Artikel über sie aufgenommen", so Dalinger.
Zwei Jahre Recherche auf der ganzen Welt
Die Theaterwissenschaftlerin wählte aus einer Fülle von Materialien insgesamt 80 Dokumente aus - das früheste stammt aus dem Jahr 1880, der jüngste Text wurde 1955 verfasst.

Die Recherchen führten Dalinger in den letzten zwei Jahren sowohl in Wiener Archive und Bibliotheken - etwa der Nationalbibliothek und des Österreichischen Staatsarchivs -, aber auch in amerikanische Institute wie in die ¿New York Public Library" und das Archiv des ¿Leo Baeck Insituts" in New York.
Veröffentlichung im Herbst 2002
Aus den 80 ausgewählten Dokumenten waren 25 Originaltexte in jiddischer Sprache, die von Dalinger und Kollegen nun erstmals übersetzt und mit Einleitungen und Anmerkungen versehen worden sind.

Übersichtliche lexikalische Teile geben weitere Information zu Autoren, Dramen oder Schauspielern. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse soll im Herbst 2002 in Buchform erscheinen.
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Wichtige gesellschaftliche Funktion
Deutschsprachige, jüdische Theatergruppen, wie das "Jüdisch-Politische Cabaret" und das "Jüdische Kulturtheater" porträtierten die Probleme der Zeit, brachten Texte und Stücke über den Antisemitismus und - nach 1933 - über die Situation in Deutschland. Das "Jüdisch-Politische Cabaret" beeinflusste unter anderem Ergebnisse der Wahlen der Israelitischen Kultusgemeinde.
Das "Jüdische Kulturtheater" hatte einen regelmäßigen und aktiven Spielplan, erfüllte aber auch die wichtige Funktion als Bühne für jüdische Schauspieler-Immigranten, denen nach ihrer Vertreibung aus Deutschland Engagements angeboten wurden. Alle jüdischen Theaterbewegungen in Wien - egal, in welcher Sprache gespielt wurde - sahen ihre Aufgabe vor allem in der Etablierung einer jüdischen Identität. Überdies hatten sie eine Brückenfunktion zwischen westeuropäischen Juden und den Flüchtlingen aus dem Osten, speziell während und nach dem Ersten Weltkrieg.
->   Jewish Theater of Austria
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Einzelne Texte auch noch nach 1938
"Jiddisches Theater wie jenes in Wien muss allerdings immer im Kontext zur internationalen Entwicklung dieser Theaterform gesehen werden", betont Dalinger. "Daher habe ich auch einzelne Aufsätze über berühmte jüdische Truppen wie der Wilnaer Truppe oder die hebräische Habima oder das Moskauer Jüdisch-Akademische Theater Goset aufgenommen."

Obwohl es in Wien nur bis 1938 jüdisches Theater gab, zeigt die Theaterwissenschaftlerin in ihrer Edition, dass es auch nach der Vertreibung durch die Nationalsozialisten vereinzelte Zeugnisse von Theaterleuten gibt. "Die Texte geben Aufschluss über ihre Emigration, über ihr Ansehen im Exilland und ihren weiteren Lebensweg", fasst Dalinger zusammen.
Neue Auflage alter Texte
Ein wesentliches Ziel des Forschungsprojekts konnte bereits im Jahr 2000 realisiert werden: Die Herausgabe von Abisch Meisls' jiddischer Revue die im Wiener Picus Verlag in zweisprachiger Fassung erschienen ist. Dieser Theatertext entstand um 1926 in Wien und wurde auch erfolgreich aufgeführt.
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"Von Sechistow bis Amerika: eine Revue in 15 Bildern / Fun sechisstow bis amerika: a rewi." von Abisch Meisels. Picus Verlag, ATS 263,- /Euro 19,11

Ein weiteres Buch von Brigitte Dalinger zu diesem Thema:

"Verloschene Sterne - Geschichte des Jüdischen TheaYers in Wien" von Brigitte Dalinger, Picus Verlag, ATS 350,- /Europ 25,44
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Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
->   Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
->   Universum Magazin
 
 
 
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01.01.2010