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ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Armut in Städten
Ein Gastbeitrag von Jens S. Dangschat, TU Wien
 
  Armut galt seit den 1960er Jahren überwiegend als überwunden. Eine gezielte und konsequente Sozialpolitik schaffte Ausgleich für "Risiken" der Verarmung über Arbeitslosigkeit, Krankheit, Trennung/Scheidung resp. unzureichender Altersversorgung. Doch jetzt sind urbane Ballungsräume zunehmend mit neuen Formen der Armut konfrontiert, ausgelöst durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Deregulierungen.  
Dem klassischen Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Land wurde versucht, über regionale Förderprogramme zu begegnen. So wurde im Zuge des Hoch-Fordismus ein hohes Maß sozioökonomischer gesellschaftlicher Integration erreicht.
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Tagung am IFK
"Der Traum von der technisierten Stadt - ausgeträumt?" - Eine internationale Tagung widmet sich den komplexen Zusammenhängen von Stadt, Technik und Kommunikation.
->   Mehr dazu in science.orf.at
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De-Industrialisierung
Mit der Zuspitzung der ökonomischen Krise seit dem Ende der 1970er Jahre verliert das Erfolgsmodell "Soziale Marktwirtschaft" an Orientierungskraft.

Flexibilisierung und Deregulierung verändern Standortentscheidungen von Investoren und Unternehmen, die wiederum Veränderungen der Arbeitsverhältnisse nach sich ziehen: De-Industrialisierung, strukturelle Arbeitslosigkeit und flexibilisierte Arbeitsverträge.
Thesen der Zweidrittel-Gesellschaft
Gründe für eine verfestigte Armut sind die Veränderungen des Arbeitsmarktes, der nachlassenden Reichweite der sozialen Sicherungssysteme und der zunehmenden Barrieren des Wohnungsmarktes.

Das hat zu Thesen der Zwei-Drittel-Gesellschaft, der Exklusion und der (urban) 'underclass' geführt. Danach sind insbesondere in Städten in der jüngsten Zeit eine zunehmender Anteil an Menschen aus der gesellschaftlichen Teilhabe ausgegrenzt. Sie haben den Anschluss verloren oder nie herstellen können, sie sind weitgehend ohne soziale Kontakte, sind für politische Prozesse ebenso überflüssig wie für den Arbeitsmarkt oder als Konsument.
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Zwei Arten der Armut
Zwei Arten der Armut werden mit dem städtischen Arbeitsmarkt verbunden: die strukturelle Arbeitslosigkeit aufgrund des Verschwindens traditioneller Industriezweige und künftig auch von Bereichen des Dienstleistungssektors auf der einen Seite und der zunehmenden Deregulierung der Arbeitsprozesse und -verträge, die in bestimmten Fällen zum Phänomen des 'working poor', d.h. zu solchen Arbeitsverhältnissen führen, deren Entlohnung unterhalb der Sozialhilfe-Schwelle bleibt.
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Unzureichender Familien-Lastenausgleich
Weiter trägt ein unzureichender Familien-Lastenausgleich und die bisweilen schwierige Versorgungslage von Alleinerziehenden dazu bei, dass einerseits große Familien und "unvollständige Familien" und daher sehr viele Kinder und Jugendliche unterhalb der Armutsgrenze leben müssen.

Schließlich trägt der Wohnungsmarkt zur Verarmung und innerhalb der Armutsbevölkerung zur Obdachlosigkeit bei, indem die Mieten stärker angehoben werden und durch das 'Out-sourcing' und der Privatisierung die "schlechten Risiken" innerhalb der unteren sozialen Schichten "aussortiert" werden.
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Schwanken zwischen Resignation und Aggression
Die heterogene Gruppe der Armen werden durch eine Fülle von Prozessen sozial wie räumlich an die Peripherie gedrängt und schwanken zwischen Resignation und aggressivem Potenzial. Der Wohnungsmarkt resp. die Zuweisungspraxis von Wohnraum verstärken die räumlichen Konzentrationen der Wohn- und Aufenthaltsräume der städtischen Armen, so dass man von "Ghettos" resp. von "sozialen Brennpunkten" spricht. Diese Orte benachteiligen diese Gruppen in mehrfacher Weise zusätzlich, da die Wohnbedingungen in der Regel ebenso schlecht ist wie das Wohnumfeld und die Erreichbarkeit anderer Orte in der Stadt.
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Neue Form politisch-administrativer Intervention
Die räumliche Konzentration von Armut, sozialer Problematik resp. solcher sozialen Fähigkeiten, die auf den wichtigen "Märkten" des Austauschs zwischen städtischen Gruppen ab-gewertet oder gering geschätzt werden, ist zugleich die Folge der beschriebenen Problematik und als Erscheinungsform der Anlass für eine "neue" Form bekannter politisch-administrativer Intervention.

Diese meist "Quartiersmanagement" genannten Formen der Intervention sollen dazu dienen, die städtebaulichen, ökonomischen und sozialen Netzwerke zu entwickeln und zu stärken und möglicherweise aufzuwerten. Dazu sollen sog. Quartiersmanager die bestehenden Strukturen vernetzen und koordinieren, Anregungen für Projekte geben resp. diese beantragen und fördern, die Bewohner motivieren oder häufig erst in die Lage versetzen, sich an bestimmten Abstimmungsprozessen zu beteiligen ('empowerment').
Skepsis bleibt
Offen bleibt in solchen Verfahren häufig, welche Probleme mit diesen neuen Elementen der Verwaltungsmodernisierung sinnvoller Weise angegangen werden sollten, und welche nicht.

Skepsis bleibt, ob mit diesen neuen Formen sozialpolitischer Intervention lediglich die Lebensbedingungen verändert werden und kaum ein Arbeitsplatz entsteht, d.h. dass nur die Symptome geändert werden, während die Ursachen der Verarmung unverändert bleiben.

Die Stadt Wien beantragt nun, im Rahmen der Zielgebiet II-Förderung, im 2. Gemeindebezirk ein solches Quartiersmanagement einzurichten.
->   IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften
->   Homepage Jens Dangschat
 
 
 
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01.01.2010