News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Wissen und Bildung 
 
Biowaffen-Konvention: Streit um Kontrolle  
  Am Montag treffen sich in Genf Experten aus insgesamt 143 Ländern, um über die Biowaffen-Konvention zu beraten, die die Entwicklung, Produktion und Lagerung von Biowaffen seit 1975 verbietet. Hauptthema ist ein lange geplantes Zusatzprotokoll, das die Gründung einer internationalen Kontrollinstanz vorsieht. Dies war bisher am Veto der USA gescheitert.  
Und auch diesmal hat die Supermacht, die selbst gerade unter der Bedrohung der Anthrax-Briefe steht, abgewinkt: Zwar propagieren die USA Änderungen der Biowaffen-Konvention, eine Überprüfung im eigenen Land verweigern sie allerdings nach wie vor.

Derzeit verfügt mindestens ein Dutzend Länder über biologische Waffen, darunter zum Beispiel der Irak und Libyen. Beide Länder haben die Verbotskonvention von 1972 unterzeichnet.
...
Biowaffen-Konvention
Die UNO-Konvention über das Verbot biologischer Waffen ist bereits 1972 verabschiedet worden und seit 1975 in Kraft. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich darin, keine Waffen mit krankheitserregenden Mikororganismen zu entwickeln oder herzustellen. Die Konvention wurde bisher von 143 Staaten der Erde unterzeichnet, darunter auch die USA.
Die Biowaffen-Konvention von 1972
Liste der Unterzeichnerstaaten (Stand: Juni 2001)
...
Westliche Großmächte: Bio-Kampfstoffe für die Forschung
Die westlichen Großmächte haben zwar ihre "offensiven Bestände" vernichtet, besitzen aber noch mehr oder minder große Mengen für erlaubte Defensiv- und Forschungszwecke. Russland etwa soll noch zu Beginn der 90er Jahre gewaltige Vorräte angelegt haben.

Damit nun die Biowaffen-Konvention mehr "Durchsetzungskraft" erhält, haben im Dezember 1996 bei einer der regelmäßigen Überprüfungsrunden die damals 140 Mitgliedsstaaten in ihrer Schlusserklärung festgelegt, dass die Konvention bis zum Jahr 2001 mit einem Überprüfungsorgan versehen wird.
...
Das Zusatzprotokoll
Ein Sonderausschuss mit Vertretern von 56 Staaten hatte im Sommer dieses Jahres in Genf über einen Entwurf beraten, der die Überprüfung militärischer und biotechnologischer Einrichtungen in jenen 143 Staaten vorsah, die die Biowaffen-Konvention ratifiziert haben. Damit sollten diese Staaten zur Einhaltung des Verbots gezwungen werden. Die USA hatten die Vorlage im Juli abgelehnt. Die Nachteile des Überwachungsmechanismus, der im Text vorgesehen sei, würden gegenüber den Vorteilen überwiegen, hieß es seitens der USA.
...
Abrüstungsvertrag ohne Kontrollmechanismen
Tatsächlich wird seit mittlerweile fast sieben Jahren über einen solchen Zusatz verhandelt: Bereits 1994 setzten die Unterzeichnerstaaten eine Arbeitsgruppe ein, die Überwachungsmaßnahmen ausarbeiten sollte.

Denn die Biowaffen-Konvention ist zwar der erste Abrüstungsvertrag, der eine ganze Kategorie von Waffen verbietet, sieht aber als einziger keine Kontrolle der Einhaltung vor.
Grund: Angst vor Industriespionage?
Der Hintergrund: Die USA haben die Biowaffen-Konvention zwar ratifiziert, fürchten aber laut eigener Aussage, dass geplante Überprüfungen ihre wirtschaftlichen und militärischen Geheimnisse gefährden könnten.

Mit anderen Worten: Die US-Regierung befürchtet, dass bei den vorgeschriebenen Inspektionen Industriegeheimnisse ausspioniert werden könnten.
...
Biologische Waffen
Biologische Waffen stützen sich auf die krank machende Wirkung von Viren (Pockenerreger), Bakterien (Milzbrand, Pest) und Parasiten oder Pilzen bzw. den von ihnen produzierten Giften. Älteste Form biologischer Kriegsführung war etwa das Vergiften von Brunnen mit Tierkadavern. Systematische Forschungen auf diesem Gebiet begannen im 20. Jahrhundert. Bekanntes Beispiel: Auf der schottischen Insel G testete im Zweiten Weltkrieg das britische Militär den Milzbranderreger als biologischen Kampfstoff. Seitdem darf die Insel nicht mehr betreten werden, zwar soll sie mittlerweile nicht mehr "verseucht" sein, doch ist sie nach wie vor als militärisches Sperrgebiet ausgewiesen. In der Zeit des Kalten Krieges schließlich setzte ein wahres Wettrüsten ein. Die Sowjetunion etwa soll mit Milzbrand-Erregern experimentiert haben, zudem besaß sie angeblich 200 Tonnen Pesterreger und 20 Tonnen Pockenviren. Im Irak entdeckten UN-Inspektoren noch Mitte der neunziger Jahre Raketensprengköpfe mit Biokampfstoffen.
...
Neue Verhandlungsrunde in Genf
Nun geht es in Genf erneut um das Thema. Doch die USA wehren sich nach wie vor gegen eine unabhängige Kontrollinstanz, wie bereits jetzt klar ist. Allerdings hat sich für die US-Regierung die Brisanz des Themas seit den Anthrax-Anschlägen im eigenen Land geändert.
Alternativ-Vorschläge der USA
Unter dem Eindruck mehrerer Milzbrand-Toter hat US-Präsident George W. Bush Anfang November neue Vorschläge präsentiert. Dabei geht es hauptsächlich um eine verschärfte Strafverfolgung von Personen, die biologische Kampfstoffe kaufen oder herstellen.

"Die Bereitschaft der USA, über das Thema nun ernsthaft zu diskutieren, wäre bereits ein deutlicher Fortschritt gegenüber den letzten Beratungen in Genf", meinte ein EU-Diplomat am Mittwoch.
...
Strikte Ablehnung im Juli
Der amerikanische UN-Botschafter Doland Mahley hatte noch im Juli erklärt, dass es vorläufig kein Zusatzprotokoll geben werde. Resignierend stellte damals der Vorsitzende des so genannten Ad-hoc-Ausschusses für ein Zusatzprotokoll, der Ungar Tibor Toth, fest: "Nach (insgesamt) sechseinhalb jährigen Verhandlungen müssen wir feststellen, dass wir keine Vereinbarung über einen Kompromissvorschlag und keine Einigung über das weitere Vorgehen haben."
...
Die Vorstellungen der USA
Jetzt haben die USA verkündet, wie es mit der Verwirklichung des 1972 beschlossenen Verbots zur Herstellung, Lagerung und Verbreitung von Biowaffen weitergehen soll, auch wenn es immer noch nicht zur Gründung einer internationalen Kontrollinstanz kommen wird.

Alle 140 Unterzeichnerstaaten der Biowaffen-Konvention sollen strenge Gesetze und Auslieferungsbestimmungen verabschieden. Eine UN-Organisation soll verdächtige Krankheitsfälle untersuchen.

Außerdem sollen nationale Kontrolleinrichtungen für genetische Forschungen mit Krankheit erregenden Substanzen (Pathogene) ebenso geschaffen werden wie ein internationaler Verhaltens-Codex für Forschung und Entwicklung.
Pläne liegen bereits vor
Diese Pläne liegen den Verbündeten der USA für ihre Beratungen ab kommenden Montag schon vor. Sie werden grundsätzlich begrüßt, wenn auch an der Idee einer unabhängigen Kontrollinstanz festgehalten wird.

Doch ob die Durchsetzung einer solchen Kontrollinstanz gegen den Widerstand der USA möglich ist, scheint mehr als fraglich.

"Bei allem Verständnis für die Sorge um Industriespionage. Wir sitzen alle im gleichen Boot und müssen wie bei Terrorismus auch auf diesem Gebiet noch enger zusammenarbeiten", meinte ein EU-Experte in Genf.
Mehr zum Thema Biowaffen in science.orf.at:
->   Biotechnologie als Biowaffen-Produzent
->   Biowaffen als psychologische Kriegsführung
->   Biowaffen: Neue Generation von Unheilbringern
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010