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Zellversuche statt Tierversuche  
  Zwei Tierversuchsmodelle, die bisher für die Prüfung von Arzneimitteln, Chemikalien und Kosmetika verwendet wurden, könnten schon bald endgültig durch Tests ersetzt werden, die an gezüchteten Zellkulturen statt an lebenden Tieren durchgeführt werden.  
Die Emotionen schlagen meist hoch, wenn es um die Frage "Tierversuche - ja oder nein?" geht. Allerdings ist das ein Thema, bei dem bedacht werden muss, dass für viele Bereiche - etwa die Zulassung für Inhaltsstoffe von Arzneimitteln und neuen Chemikalien - Tests zur Verträglichkeit bzw. Toxizität zwingend vorgeschrieben sind.
Verstärkt Forschung an Alternativmethoden
Tatsächlich jedoch bleibt die Forschung in diesem Bereich nicht untätig, denn Wissenschaftler und Institutionen arbeiten inzwischen verstärkt an Möglichkeiten, die vorgeschriebenen Tierversuche durch andere Testmethoden zu ersetzen.
OECD empfiehlt zwei tierversuchsfreie Tests
Zwei dieser tierversuchsfreien Tests wurden nun kürzlich in Berlin von einem Expertengremium der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) den Mitgliedsstaaten, zu denen alle wichtigen Industrienationen gehören, als Ersatz empfohlen.
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Die OECD und Tierversuche
Die OECD ist eine Organisation, die sich mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigt. Davon betroffen sind auch Fragen der weltweiten Vermarktung von Produkten bzw. von Chemikalien. Im Rahmen dieser Vermarktungsrichtlinien gibt es auch OECD-Prüfrichtlinien für die Sicherheit der Produkte, die dafür sorgen sollen, dass innerhalb der OECD-Mitgliedsstaaten eine einheitliche Regelung herrscht.
->   OECD
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Weichenstellung für Anerkennung
Damit sind die Weichen für eine weltweite Anerkennung der neuen Testmethoden und das Verbot von Tierversuchen für die jeweiligen Anwendungsbereiche gestellt.

Entwickelt wurden zwei der drei Alternativmethoden vom deutschen Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV).
Schädliche Eigenschaften unter Einfluss von Licht
Es handelt sich zum einen um die Prüfung von Substanzen auf die so genannte Phototoxizität. Dabei wird untersucht, ob chemische Stoffe - wie etwa Inhaltsstoffe von Sonnenschutz- und Arzneimitteln - unter dem Einfluss von Licht schädliche Eigenschaften entwickeln.

Ein chemischer Stoff, betroffen davon sind im Bereich der Medikamente vor allem Antibiotika, wird dann als phototoxisch bezeichnet, wenn an der Haut, die dem Sonnenlicht ausgesetzt ist, nach dem Auftragen oder der Einnahme der Substanzen Rötungen, Schwellungen oder andere Reaktionen bzw. Schädigungen auftreten.
UV-Licht-Bestrahlung von Zellkulturen
In der Praxis erfolgte dieser Test üblicherweise in Tierversuchen an Mäusen, Ratten, Meerschweinchen oder Kaninchen. Bei der tierversuchsfreien Methode werden dagegen Zellen von Mäusen oder der menschlichen Haut während der Kultivierung im Brutschrank mit den zu prüfenden Substanzen behandelt und mit UV-Licht bestrahlt.
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In Zusammenarbeit mit Verband der Hersteller von Kosmetika
Dieser Test wurde in einer Zusammenarbeit zwischen dem europäischen Verband der Hersteller von Kosmetika COLIPA (The European Cosmetic Toiletry and Perfumery Association) und der ZEBET, der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch des BgVV, entwickelt und mit finanzieller Unterstützung der EU-Kommission experimentell validiert.
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Zellkulturtests besser als Tierversuche
Überraschenderweise sagt der Zellkulturtest phototoxische Reaktionen beim Menschen sogar erheblich besser voraus als die Tierversuche.

Man habe die neue Methode an zahlreichen bereits bekannten Substanzen getestet und festgestellt, dass die Zellkulturen eine phototoxische Reaktion sehr viel genauer erkannten als die üblichen Tierversuche, erklärt Manfred Liebisch, Experte der ZEBET, gegenüber science.orf.at.
Alternativer Test zur Ätzwirkung an der Haut
Das zweite Tierversuchsmodell, das durch Alternativtests ersetzt werden soll, betrifft die Prüfung von chemischen Substanzen auf Ätzwirkung an der Haut, die bisher am lebenden Kaninchen durchgeführt wurde und für die Versuchstiere äußerst schmerzhaft ist.

Dafür wurden in Berlin gleich zwei verschiedene Zellkulturtests geprüft: zum einen eine in England entwickelte In-vitro-Methode, die mit isolierten Rattenhaut-Präparaten arbeitet, und zum anderen ein bei der ZEBET im BgVV entwickelter Test, bei dem biotechnologisch hergestellte menschliche Hautmodelle verwendet werden.
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Internationale Regelung im Rahmen des Arbeitsschutzes
Die Prüfung auf Ätzwirkung an der Haut ist für gefährliche Stoffe international im Rahmen des Arbeitsschutzes und der Transportsicherung vorgeschrieben und hat direkte Konsequenzen für die Kennzeichnung, die Aufbewahrung, den Transport gefährlicher Güter und den Arbeitsschutz (Handschuhe, Schutzbrille etc.).

"Die Zustimmung des Vertreters der internationalen Transportkommission GESAMP während des OECD-Expertentreffens dürfte zu einem weltweiten Verbot der bisherigen, belastenden Tierversuche mit ätzenden Stoffen am Kaninchen führen", hieß es in einer Aussendung des BgVV.
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Primär für Hautverletzungen entwickelt
Diese Hautmodelle - ein Beispiel ist etwa EpidermTM aus den Labors einer US-Firma - wurden primär für medizinische Zwecke wie etwa die Brandwundentherapie entwickelt, so Liebisch.

Allerdings sei die künstliche Haut der menschlichen Haut genau nachgebildet und könne diese im Ätz-Test sehr viel besser ersetzten als Tiere.
Genauere Ergebnisse als mit Tieren
Denn, so der Experte weiter, die Haut von Tieren weise zum Beispiel sehr viel mehr Haarwurzelkanäle auf als menschliche Haut. Diese wiederum leiten die Substanzen tief in die Haut, das Ergebnis einer solchen Prüfmethode ist folglich nicht eindeutig auf den Menschen übertragbar.
Engagement für schnelle Anerkennung der Tests
Dass die neuen Verfahren vergleichsweise schnell anerkannt werden könnten, liegt im Übrigen am Engagement vieler Beteiligter, wie Liebisch berichtet. Denn der "normale Weg" läuft direkt über die OECD, und das kann dauern.
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Der "normale Weg"
Die OECD muss nämlich zunächst die eingereichten Verfahren an alle Mitgliedsländer weiterleiten, welche wiederum diese kommentieren. Die Kommentare gehen an die Entwickler bzw. Einreicher der Alternativmethoden zurück und müssen von diesen bearbeitet werden. Erst wenn letztlich alle Fragen ausgeräumt sind, kann die OECD die neuen Verfahren in ihren Katalog aufnehmen.
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EU nahm Tests bereits in Gefahrstoffverordnung auf
Doch diesmal dauerte es den Forschern zu lange. Nach langjährigen Testverfahren waren die Alternativmethoden bei der OECD nämlich zunächst einmal "liegen geblieben".

Daher wurde man zumindest EU-weit schon vorher aktiv, im April 2000 schließlich nahm die EU den Phototoxizitätstest mit Zustimmung aller Mitgliedsstaaten in ihre Gefahrstoffverordnung auf.

Nach der Berliner Expertenrunde könnten die drei vorgestellten Zellkulturtests nun schon bald auch weltweit Anwendung finden. Experte Liebisch hofft auf die entsprechende Entscheidung im kommenden Jahr, beim nächsten "joint meeting" der OECD.
->   BgVV
->   ZEBET
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Weitere interessante Links zum Thema:
Das Scientific Commitee for Cosmetology and Non Food Products der EU, zuständig für den Verbraucherschutz und damit auch für die Prüfrichtlinien von Kosmetika (pdf-File).

Für Arzneimittelsicherheit ist die ehemalige DG III, jetzt DG ENTERPRISE, zuständig. Da Arzneimittel im Gegensatz zu Kosmetika vor der Vermarktung zugelassen werden müssen, gibt es eine EU-Arzneimittelbehörde, die EMEA (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products), die für die nationalen Zulassungsbehörden Richtlinien erarbeitet. Dort zu finden ist etwa das Dokument zum Phototoxizitätstest, die Note for Guidance on Photosafety Testing (pdf-File).

Einen vergleichenden Bericht der US-Behörden zu den Ersatzmethoden zur Prüfung auf ätzende Eigenschaften finden sie beim ICCVAM (Interagency Coordinating Committee on the Validation of Alternative Methods): In Vitro Test Methods for Assessing the Dermal Corrosivity Potential of Chemicals (pdf-File).
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Mehr zum Thema Tierversuche in science.orf.at:
->   Medizin-Nobelpreisträger verteidigt Tierversuche
->   "Streit" um Verbot von Tierversuchen für Kosmetika
->   ''Minihirn'' als Ersatz für Tierversuche
 
 
 
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01.01.2010