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Frauen in Wissenschaft und Forschung
Gastbeitrag von Ilse König
 
  Die Hälfte der Studierenden in der EU sind Frauen. Doch mit jeder Stufe auf der wissenschaftlichen Karriereleiter verringert sich die Zahl der Frauen dramatisch. Sie "versickern" gleichsam in den traditionell auf Männer ausgerichteten Wissenschaftsstrukturen - ein Phänomen, das als "leaky pipeline" bezeichnet wird.  
Damit geht beträchtliches wissenschaftliches Potenzial verloren, an dem es derzeit insbesondere in Naturwissenschaft und Technik mangelt. Der Frauenanteil bei den ordentlichen Professuren an Universitäten liegt in den EU-Mitgliedstaaten zwischen 5 Prozent in den Niederlanden und 18 Prozent in Finnland, Österreich rangiert mit 6 Prozent unter den Schlusslichtern.
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Gastbeitrag
Dr. Ilse König ist Leiterin der Abteilung Gesellschaftswissenschaften im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
->   Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
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Von Männern dominiert
Die universitäre Forschung wird zu 70 Prozent von Männern dominiert, in den Ingenieur- und Technikwissenschaften sogar zu 90 Prozent. In den nicht-universitären Forschungseinrichtungen sind die Frauenanteile etwas höher, dort sind in vielen Fällen, vor allem in den kleineren Einrichtungen, die Arbeitsbedingungen und Karriereaussichten jedoch wesentlich schlechter als an den Hochschulen und daher für Männer weniger attraktiv.

Auffallend wenige Frauen sind auch in bedeutenden wisssenschaftlichen Ausschüssen und in Schlüsselbereichen der Wissenschafts- bzw. Forschungspolitik vertreten, bei der Gestaltung der wissenschaftlichen Agenda haben sie daher wenig Mitspracherecht.
Geschlecht wichtiger als Leistung
Überholte Strategien und Praktiken in den wissenschaftlichen Institutionen führen dazu, dass das Geschlecht einer Person oft stärker ins Gewicht fällt als ihre Leistung, bisher hoch angesehene Bewertungssysteme (peer-review-system) sind, wie Studien belegen, nicht objektiv genug, um eine gerechte Verteilung von Forschungsmitteln sicherzustellen.

Wissenschaft und Forschung selbst sind weit davon entfernt, ihre Forschungsfragen und Methoden auch auf die Anliegen, Sichtweisen und Erfahrungen von Frauen oder die Macht- und Verteilungsprobleme zwischen Männern und Frauen hin auszurichten.
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'Gender Watch': Gleichstellung als Thema der Politik
Im Anschluss an die UN-Frauenkonferenz in Beijing 1995 rückte die EU die Gleichstellungsdimension in allen Politikbereichen, auch in der Forschungspolitik stärker ins Blickfeld. Im Jahr 1999 wurden von der Europäischen Kommission mehrere Initiativen gestartet, welche zur Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschung und zur Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft beitragen sollen. Zwei ExpertInnengruppen einmal bestehend aus WissenschafterInnen (ETAN/European Technology Assessment Network), einmal aus nationalen BeamtInnen (Helsinki-Group) wurden eingesetzt, um Berichte über die Situation von Wissenschafterinnen in der EU, sowie forschungspolitische Empfehlungen vorzulegen. Gleichzeitig wurde ein Berichtsystem "Frauen in der Wissenschaft" ("Gender Watch System") installiert, mit dem von der EU finanzierte Forschung auf ihre Tauglichkeit für die Gleichstellungspolitik überprüft und bewertet wird.
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Geringer Frauenanteil bei Forschungsprojekten
Die Ergebnisse der von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen "Gender-Impact-Assessment Studien" zur Bewertung des 1998-2002 laufenden Forschungsrahmenprogramms sind niederschmetternd.

Die Zielvorgabe eines 40 Prozent Frauenanteils bei den Beratungs- und Entscheidungsgremien wurde nur vereinzelt erreicht, bei den Forschungsprojekten weit unterschritten.
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Männliche Perspektiven
Je nach Programmbereich liegt der Anteil von Frauen zwischen
11 Prozent (Informationstechnologien) und 20 Prozent (Innovation und KMU). Selbst die Forschung zur Lebensqualität, die augenscheinlich Männer wie Frauen betrifft, wird überwiegend von männlichen Wissenschaftern mit einer rein männlichen Perspektive durchgeführt: der Frauenanteil liegt bei nur etwa
17 Prozent, in 80 Prozent der Forschungsanträge wird kein Bezug zur unterschiedlichen Lebenssituation von Frauen und Männern hergestellt.
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'Frauen' - kein Begriff
Aber auch in anderen Bereichen dominiert die männliche Sicht der Welt: so kommen z.B. in den über 2000 Forschungsanträgen des Umweltprogramms "Frauen" lediglich einmal als Begriff vor, im IST-Programm (Information Society Technologies) findet sich ebenfalls nur ein einziges gender-spezifisches Projekt, in nur 8 Prozent der Forschungsanträge des sozialwissenschaftlichen IHP-Programms ist ein entsprechender Schwerpunkt enthalten.
Empfehlung für EU-Rahmenprogramm
Eine der wichtigsten Empfehlungen der ExpertInnengruppen ist daher, die Gleichstellungsdimension in das künftige EU-Rahmenprogramm (2002-2006) sowie in die Forschungsprogramme der Mitgliedstaaten stärker zu integrieren.

Österreich unterstützt in seiner nationalen Position zum künftigen Rahmenprogramm diese Linie, und zählt gemeinsam mit Deutschland und Schweden hier zu den Vorreitern.
Neue Eingangsportale
Bei den Vorschlägen der EU-ExpertInnengruppen geht es kurz gesagt um die Stärkung der Forschung von, über und für Frauen. Programme mit einem durchwegs männlichen Gesicht ermutigen erfahrungsgemäß Frauen nicht zur Teilnahme.

Es gilt daher inhaltliche, methodische und personelle "Eingangsportale" zu eröffnen, und Forschungsprioritäten, Forschungsthemen, Qualitätskriterien und Bewertungssyteme neu zu gestalten.
Effekte für die Wissensproduktion
So müssten z.B. in den Forschungsprogrammen frauen- und genderspezifische Fragestellungen konkret enthalten sein, als Bewertungskriterium für Projekte festgelegt werden und Evaluierungsgremien ausgewogener besetzt werden.

Dabei geht es nicht nur um die zahlenmäßige Steigerung von Forscherinnen in den Programmen, sondern auch um den Effekt auf die derzeit bestehenden Normen für wissenschaftliches Wissen und Theorienbildung, Methodik, Wissensproduktion, Implementierung: also um eine neue Qualität und einen grundlegenden und überfälligen Wandel von Wissenschaft und Forschung selbst.
Ende der "leaky pipeline"?
Ob und wie weit die ambitionierte Arbeit der ExpertInnengruppen von der EU umgesetzt wird oder in der "leaky pipeline" der Entscheidungsebenen der EU nach und nach versiegt, wird die Gestaltung des künftigen EU-Rahmenprogramms zeigen.
Lesen Sie mehr dazu in science.orf.at:
->   EU: Frauen in der Forschung stark unterrepräsentiert
->   Renee Schröder: Die Glasdecke für Frauen in den Biowissenschaften
->   Birgit Sauer: Neues Uni-Dienstrecht - Nachteile vor allem für Frauen
->   Neues Zentrum für Gender Studies in Salzburg
->   Österreich-Premiere: Institut für Frauenforschung
->   Ada Pellert: Die Gender-Dimension in der Universitätsreform
 
 
 
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01.01.2010