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Cholesterinsenker schützen effektiver als angenommen  
  Seit der Pharmakonzern Bayer im Sommer den Cholesterinsenker Lipobay vom Markt nahm, haben diese einen schlechten Ruf. Doch zu Unrecht, wie die soeben veröffentlichte "Heart Protection Study" (HPS) zeigt. Demnach senkt die Einnahme des Cholesterinsenkers 'Simvastatin' das Risiko eines Herzinfarktes oder Schlaganfalls um mindestens 33 Prozent. Und zwar - dies ist die Überraschung - völlig unabhängig davon, wie hoch der Cholesterinwert vor Behandlungsbeginn war.  
Auch wenn manche hinter den Ergebnissen eine intensive Marketingstrategie der entsprechenden Pharmafirmen vermuten, so beteuern Experten dennoch, dass es sich in diesem Fall um eine echte Sensation handelt.

Der Diabetes-Spezialist Guntram Schernthaner, Leiter der 1. Medizinischen Abteilung der Krankenanstalt Rudolfstiftung dazu: "Die Ergebnisse der HPS (Heart Protection Study) werden die Behandlung von 200.000 Typ II - Diabetikern in Österreich grundlegend verändern!"
Erfolgversprechende Strategie
Auch der Kardiologe Werner Klein, Vorstand der Abteilung für Kardiologie an der Uniklinik Graz, meint: "Im Moment gibt es keine ähnlich erfolgversprechende Strategie zur Prävention des Herzinfarktes oder Schlaganfalles. Eigentlich müssten wir ab sofort ernsthaft darüber nachdenken, eine Million Menschen in Österreich mit Lipidsenkern zu behandeln."
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Die Studie
In einem Zeitraum von fünfeinhalb Jahren wurden 20.536 Personen mit einem erhöhten Risiko für Gefäßerkrankungen an 69 britischen Krankenhäusern behandelt. Das Alter der Behandelten lag zwischen 40 und 80. Die Behandelten wurde in 4 Gruppen eingeteilt.
Gruppe 1 erhielt Lipidsenker (40 mg Simvastatin) und Plazebo
Gruppe 2 erhielt Lipidsenker und Vitaminpräparat
Gruppe 3 erhielt Vitaminpräparat und Plazebo
Gruppe 4 erhielt zwei Plazebos
Die 32 Millionen Dollar (ca. 36 Millionen Euro; ca. 500 Millionen ATS) teure Studie war die bisher größte ihrer Art zum Thema Prävention von Gefäßerkrankungen.
->   HPS Press Release
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Die meisten bisher gemachten Studien gingen der Frage nach, wie Patienten nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall zu schützen wären.

Bei der HPS war die Fragestellung: Wie können Menschen mit einem Risiko für Gefäßerkrankungen effektiv einen Herzinfarkt oder Schlaganfall verhindern?
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie
"Der Cholesterinwert spielt keine Rolle" - so könnte man das überraschendste Ergebnis zusammenfassen. Denn der verwendete Lipidsenker war nicht nur bei Patienten mit erhöhtem Cholesterin effektiv, sondern die Schutzwirkung trat auch dann ein, wenn der Serumspiegel in oder sogar unter der Norm lag.

Mit anderen Worten: egal ob Mann oder Frau, egal ob 70 oder jünger, egal ob 280 Gesamtcholesterin oder nur 180 - die Schutzwirkung des Lipidsenkers war in allen Fällen gleichermaßen gut.

"Weiters", so Werner Klein, Vorstand der Kardiologie an der Uniklinik Graz, "konnte nach dem Fall Lipobay die Angst vor möglichen Nebenwirkungen der Therapie mit Statinen entkräftet werden. In diesen fünf Jahren gab es kaum Nebenwirkungen - vor allem die Leber und eine mögliche Erhöhung des Krebsrisikos betreffend."
->   Keine Panik vor Cholesterinsenkern
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Statine/Lipidsenker
Statine senken die Produktion von cholesterinreichen Lipoproteinen niedriger Dichte (LDL = 'böses' Cholesterin), indem sie das Schlüsselenzym der Cholesterinsynthese (HMG-CoA-Reduktase) in der Leber hemmen. Durch eine verminderte Produktion von LDL in der Leber, werden vermehrt zirkulierende LDL-Partikel in die Körperzellen aufgenommen und die LDL-Konzentration im Blut sinkt. Zahlreiche klinische Studien haben gezeigt, dass HMG-CoA-Reduktasehemmer (Statine) in der Primär- und Sekundär-Prävention bei Herzerkrankungen die potentesten cholesterinsenkenden Medikamente in der klinischen Anwendung darstellen.
->   Mehr zu Lipidsenkern
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DiabetikerInnen profitieren besonders
Die zweite Überraschung war, dass besonders die Gruppe der Typ II - DiabetikerInnen von dem Medikament profitierte - wiederum unabhängig von der Höhe des Cholesterinwertes.

Dies ist deshalb so bedeutsam, weil Typ II - DiabetikerInnen ein besonders hohes Risiko tragen, einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder andere Gefäßverschlüsse zur erleiden!

Der Diabetologe Guntram Schernthaner: "Die Ergebnisse der Studie bedeuten, dass wir eigentlich alle PatientInnen mit Typ II - Diabetes, unabhängig davon, ob sie einen erhöhten Cholesterinwert haben, ab sofort mit Lipidsenkern behandeln müssten. Das wären in Österreich etwa die oben genannten 200.000 Patienten."
->   Mehr zu Typ II-Diabetes
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In Österreich zugelassenen Statine/Lipidsenker
Derzeit sind in Österreich folgende Statine zur Sekundärprävention (Schutz nach einem bereits eingetretenen Herzinfarkt, Schlaganfall etc.), bzw. zur Lipidsenkung zugelassen: Pravastatin und Simvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Atorvastatin. "Übrigens", so Erich Minar, von der klinischen Abteilung für Angiologie von der Universitätsklinik für innere Medizin 2, AKH Wien, "es gibt unübersehbare Hinweise, dass die Schutzwirkung der Statine gegen Arteriosklerose nicht nur auf ihrer Fähigkeit zur Lipidsenkung beruht. Statine greifen auf molekularer Ebene in die Entstehung der arteriosklerotischen Herde ein, bzw. stabilisieren diese Plaques."
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Vitamine im Out?
Eine für die Spezialisten ebenfalls überraschende und enttäuschende Tatsache ist, dass die als Antioxidantien bekannten Vitamine C und E in dieser Studie leider keine nennenswerte Schutzwirkung in Zusammenhang mit Arteriosklerose belegen konnten. Im Vergleich mit dem Lipidsenker waren sie schlichtweg kaum wirksam. Dies wird auch für viele Vitamin-Tablettenfreaks wohl ernüchternd sein.

Dennoch ist das letzte Wort über mögliche Wirk- bzw. Unwirksamkeit der Vitamine noch nicht gesprochen. Werner Klein: "Wir wissen, dass Antioxidantien wie Vitamin C oder E besonders in der Frühphase der Arterioskleroseentstehung wirksam sind. Die meisten Teilnehmer an der Studie hatten aber wahrscheinlich bereits mehr oder weniger ausgeprägte arteriosklerotische Herde."

"Ob ausreichend hohe Vitamindosen nicht dennoch einen Sinn als Schutz vor beginnender Arteriosklerose haben, hat diese Studie nicht geklärt. Insgesamt ist natürlich trotzdem enttäuschend, dass diese Vitamine Herzinfarkt- oder Schlaganfallpatienten offensichtlich nicht mehr helfen können", so Klein.
Nicht vorbehaltlos sensationell
Auch wenn die vorliegenden Zahlen wirklich beeindruckend zu sein scheinen, so macht es doch einen Unterschied aus, von welchem Ende der Zeile man die Statistik liest.

Rory Collins von der Universität Oxford, der die Studie auswertete, verkündet stolz: "Würden 10 Millionen Risikopatienten weltweit Lipidsenker einnehmen, könnten jedes Jahr 50.000 Todesfälle verhindert werden."
Gesundheitsökonomische Betrachtungen
Dies klingt beeindruckend und ist es auch, denn jedes gerettete Leben ist nicht mit Geld aufzuwiegen. Dennoch sei es gestattet im gesundheitsökonomischen Sinn, diese Zahlen auch andersrum zu lesen.

Bei 70 von 1.000 Patienten, die an Diabetes leiden, kann ein Herzinfarkt oder Schlaganfall verhindert werden.
Mit anderen Worten: 70 von 1000 Menschen profitieren von dem Medikament, 930 aber nicht.

"Darum", so der Kardiologe Werner Klein, "wird es nun darum gehen, genau diese 70 Menschen aus den 1.000 heraus zu filtern. Dazu müssen wir bereits bekannte Laborwerte neu interpretieren oder neue Diagnoseparameter finden."
Wer soll das bezahlen?
Im Moment werden etwa 240.000 Menschen in Österreich mit Lipidsenkern behandelt. Wenn man die Ergebnisse von der HPS umsetzt, müssten diese Medikamente eigentlich mindestens weitere 500.000 Menschen erhalten.

Bei Behandlungskosten pro Person und Jahr von etwa 10.000,- ergibt das eine Summe von mehreren Milliarden Schilling.

"Einsparungsmöglichkeiten ergeben sich", so Werner Klein, "allerdings auch. Denn in Zukunft können Bestimmungen der Cholesterinwerte und anderer Laborwerte (Leberfunktionsparameter) deutlich seltener durchgeführt werden. Und vor allem: Jeder nicht stattgefundene Schlaganfall oder Herzinfarkt verhindert menschliche Tragödien und ist auch volkswirtschaftlich bedeutsam."

Christoph Leprich und Martina Weigl, Ö1-Radiodoktor
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Wenn Sie sich genauer über dieses Thema informieren wollen, können Sie bei der Redaktion "Der Radiodoktor" von Ö1 eine kostenlose Infomappe anfordern (Stichwort "Cholesterinsenker").

Postkarte an: "Der Radiodoktor", Argentinierstraße 30a, 1040 Wien oder E-Mail: radiodoktor@orf.at
->   Ö1
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01.01.2010