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Wittgensteins kommentierter Nachlass
Von Monika Seekirchner
 
  Mit dem Hertha-Firnberg-Projekt "Wittgenstein: Briefwechsel und Philosophischer Nachlass" sollen der Briefwechsel des Philosophen und sein philosophischer Nachlass über einen vernetzten Kommentar zusammengeführt werden, in dem die vielseitigen kulturellen Bezüge in Wittgensteins Leben deutlich werden.  
Ein "Kind seiner Zeit"
Auch ein so bekannter Philosoph wie Wittgenstein schöpfte seine Ideen nicht allein aus sich heraus, sondern lebte in einer bestimmten Zeit, stand mit bestimmten Personen in Verbindung, las bestimmte Bücher und hörte eine bestimmte Art von Musik.

Gerade ein kommentierter Nachlass macht diese kulturgeschichtlichen Bezüge erkennbar und zeigt somit, dass ein Philosoph wie Wittgenstein, der die Einsamkeit immer wieder suchte, dennoch keine "einsame Größe" war, sondern auch ein "Kind seiner Zeit".
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Hertha-Firnberg-Programm
Anfang Oktober wurden von Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer die diesjährigen Stellen im Rahmen des Hertha-Firnberg-Programmes vergeben. Mit diesem, vom Wissenschaftsfonds (FWF) durchgeführten Programm beginnen neun Frauen ihr dreijähriges Forschungsprojekt. In Kooperation mit dem FWF stellt "science.orf.at" die Projekte in Gastbeiträgen der Wissenschaftlerinnen vor.
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
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Breites Spektrum
Die 138 Briefpartner, die derzeit in Wittgensteins Gesamtbriefwechsel nachweisbar sind, zeigen ein breites Spektrum seiner unterschiedlichen persönlichen und damit auch kulturellen Beziehungen:

Er korrespondierte mit Philosophen wie Russell, Frege, Moore, Keynes, mit Mitgliedern seiner Familie, mit Vertretern der Wiener Moderne und des Brenner-Kreises wie Ficker, Trakl, Loos, Engelmann, mit ehemaligen Kriegsveteranen, mit Freunden aus seiner Volksschullehrerzeit, bis hin zu ganz einfachen Leuten aus Norwegen, die er während seiner abgeschiedenen Aufenthalte dort kennen lernte.
Facettenreiche Beziehungen
Aber auch der Kommentar, in dem alle literarischen, philosophischen, musikalischen, biographischen u.a. Anspielungen im Nachlass geklärt werden, zeigt ein sehr facettenreiches Bild dieses Philosophen.

Wittgensteins Nachlass wird also mit einer Fülle an zusätzlichen bzw. vertiefenden Informationen verbunden, die die verschiedenen Bezüge in Wittgensteins Leben aufzeigen, sodass am Ende ein ausgebautes Netzwerk von kulturgeschichtlichen Zusammenhängen und Verflechtungen stehen wird, wobei das elektronische Medium mit seinen Möglichkeiten voll genützt wird.
"Kulturgeschichtsschreibung" am Brenner-Archiv
Generell bewirkt die Erschließung eines Nachlasses die kulturgeschichtliche Erschließung, wobei die Empirie, d.h. Daten einerseits und die Kulturtheorie andererseits in einen hermeneutischen Zusammenhang zu bringen sind.
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Brenner-Archiv
Die Verbindung von Einzelfakten mit kulturgeschichtlichen Gegebenheiten, d.h. die Beschreibung von allgemeinem kulturellen Handeln in der je spezifischen Obsession eines Autors ist eine für das Brenner-Archiv typische Form der Ermittlung von kulturspezifischen Zusammenhängen, die sich in mehrjähriger Forschungs- und Editionstätigkeit unter der Leitung des langjährigen Institutsvorstands Walter Methlagl entwickelt hat und von seinem Nachfolger Johann Holzner fortgeführt wird. In den verschiedenen Editionsprojekten des Brenner-Archivs (Georg Trakl, Ferdinand Ebner, Paul Engelmann, Christine Lavant, Grete Gulbransson, Josef Leitgeb, Erich Kräutler, Max Riccabona, Wolfgang Stegmüller) wird somit jeweils ein Stück Kulturgeschichte geschrieben. Auf noch konkretere Weise erfolgt diese Kulturgeschichtsschreibung im Projekt "Tiroler Literatur" und auf andere Weise im Projekt "Literatur und Naturwissenschaften".
->   Brenner-Archiv
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Das Wittgenstein-Projekt ist im "Brenner-Archiv" in eine Institution eingebettet, die über einen reichen Erfahrungsschatz bezüglich der Bearbeitung von Nachlässen verfügt und in der darüber hinaus auch die kulturgeschichtliche Bedeutung dieser Tätigkeit reflektiert wird.
"Wittgensteinkontinuität" in verschiedenen Projekten
Ich arbeite nunmehr seit zehn Jahren am Innsbrucker Forschungsinstitut Brenner-Archiv an verschiedenen Projekten, die alle einen Wittgensteinbezug - wenn auch in unterschiedlicher Form - haben: Bereits meine Diplomarbeit, die Walter Methlagl betreute, schrieb ich über Ludwig Wittgenstein und Ferdinand Ebner, wobei es um die Problematik des Solipsismus ging.
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Fallstudie
In unserer Fallstudie in der experimentellen Physik, die ich 1992-95 gemeinsam mit Jörg Markowitsch unter der Leitung von Allan Janik durchführte und in der wir das praktische Wissen in physikalischen Labors, sowie die Vermittlung dieses Wissens untersuchten, bildete die Sprachauffassung des späten Wittgenstein neben Polanyis Begriff "tacit knowledge" den sprachphilosophischen und erkenntnistheoretischen Hintergrund.
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Zwischen Philosophie und Technik
Seit 1996 arbeite ich an der Erstellung und Kommentierung des Gesamtbriefwechsels von Wittgenstein in elektronischer Form. Aber auch im Projekt "Literatur und Naturwissenschaften", das ich 2000 von Christian Paul Berger übernommen habe, kristallisiert sich Wittgenstein als eine wichtige Figur heraus, an der interessante Zusammenhänge zwischen Philosophie und Technik aufgezeigt werden können.
Wittgenstein-Briefprojekt
Mein heuer genehmigtes Hertha-Firnberg-Projekt "Wittgenstein: Briefwechsel und Philosophischer Nachlass", mit dem ich im März 2002 starten werde, ermöglicht es mir zum einen, weiter am Wittgenstein-Briefprojekt zu arbeiten. Zum zweiten kann ich den Kommentar durch den Bezug auf die vom Wittgenstein-Archiv in Bergen erstellte elektronische Ausgabe von Wittgensteins philosophischem Nachlass weiter ausbauen und vertiefen.
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Monika Seekirchner studierte Philosophie an der Universität Innsbruck und promovierte 1996 über Wissen und Sprache am Beispiel der experimentellen Physik. Seit ihrer Diplomarbeit beschäftigte sie sich mit Wittgenstein und Ferdinand Ebner und war zu diesen Themenkreisen wissenschaftliche Mitarbeiterin in FWF-Projekten.
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Lesen Sie mehr über das Hertha-Firnberg-Programm in "science.orf.at"
->   Maja Pivec: Neues Lernen in "Forschungsschulen"
->   Sabine Agatha: Verborgene Lebewesen des Meerwassers
->   Ursula Prutsch: Kulturpolitik und Kulturtransfer in Brasilien
->   Plädoyer für die Geisteswissenschaften
 
 
 
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01.01.2010