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Populismus: Die Ideologie des "kleinen Mannes"  
  Die letzten Wahlen in Dänemark brachten nicht nur einen Sieg der Mitte-Rechts-Parteien. Sie verhalfen wieder einmal einer Politikform zum Erfolg, die seit etwas mehr als einem Jahrzehnt überzeugten Demokraten das Fürchten lehrt: dem Populismus.  
Populisten berufen sich auf einen so genannten Volkswillen, den sie allerdings selbst vorgeben. Sie benutzen bestimmte emotionalisierte Themen und schaffen Feindbilder, um ihre Anhängerschaft zu vergrößern und zu mobilisieren. Manche treten offen für den Rassismus ein.

Andere emotionalisieren durch verbale Entgleisungen. In beiden Fällen werden gesellschaftliche Tabus gebrochen. Der Antisemitismus des populistischen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger ist auch heute, 100 Jahre später, noch immer Spielball moderner Populisten.
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"Populismus. Ideologie und Praxis in Frankreiche und Österreich" lautet der Titel eines neuen "historisch-politischen" Sammelbandes (Studien-Verlag), herausgegeben von WissenschaftlerInnen der Universitäten Linz und Rouen, der in den kommenden Wochen erscheint.
->   Mehr über das Buch im Studien-Verlag
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Allianz mit den Medien
Die Anpassung an die Erwartungen moderner Massenmedien ist typisch für Populisten. Länger als drei Wochen können Themen nicht "gespielt" werden. Deshalb verfolgen Populisten auch immer punktuelle Ziele. Ideologische Aspekte treten dabei in den Hintergrund.

Populisten planen ihre Auftritte wie Popstars. Sie wechseln ihre Rollen, um in ihrer Wirkung nicht abzustumpfen. Geschlecht und erotische Inszenierung spielen dabei oft eine große Rolle.
Das demagogische Panorama
Die Innenwelt von Populisten und Demagogen zeichnet sich dadurch aus, dass andere Personen in einer völlig gespaltenen Weise wahrgenommen werden. Fast so, als ob sie keine menschlichen Züge hätten. Damit können politische Gegner rücksichtslos bekämpft werden.

Der Erfolg von Demagogen besteht auch in ihrer Fähigkeit, Stimmungen und Situationen erkennen und sich darauf einstellen zu können, sei es im Bierzelt oder im Fernsehstudio.
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Populismus: Politik für Krisen- und Umbruchszeiten
Der Populismus ist ein sehr wandlungsfähige Politikform und erschwert dadurch eine genaue Definition. Einige durchgängige Prinzipien sind jedoch zu erkennen. So stellt der Populismus immer ein "Kollektiv der wir" einem Kollektiv von Feindbildern gegenüber. Das ermöglicht ausländerfeindliche und antisemitische Politik ebenso wie den Kampf gegen traditionelle Eliten. Ein "Volkswille" wird konstruiert, der die Legitimation für politische Veränderungen bietet. Die Programme populistischer Bewegung sind meist wenig ausdifferenziert, die Themen wechseln schnell. In Europa dominieren neoliberale Positionen. Durch verbale Entgleisungen ("Ausrutscher") werden bewusst Tabus gebrochen und somit in eine gesellschaftliche Diskussion gebracht. Die repräsentative Demokratie wird verachtet. Gemeinsam ist den Populismen auch die Konzentration auf einen Führer. Sie entstehen vor allem in gesellschaftlichen Krisen- und Umbruchszeiten.
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Gegen fremde und hohe Kultur
Der europäische Populismus vertritt derzeit kulturfundamentalistische Positionen und somit einen Rassismus abgeschwächter Form. Auf eine Hierarchisierung der Kulturen wird verzichtet, auf die Inkompatibilität der Kulturen hingewiesen.

Damit kann eine verschärfte Einwanderungspolitik legitimiert werden. Auch die Hochkultur als Kunst für Minderheiten wird abgelehnt. Statt neuer Opernhäuser fordern Populisten neue Stadien: unkritische Massenspektakel an Stelle von gesellschaftskritischer Kunst.
Schatten der Vergangenheit
Nicht nur in deutschsprachigen Ländern spielt die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Krieg für die populistische Propaganda eine wichtige Rolle. Jean-Marie Le Pen, Führer des Front National, bezeichnete 1988 die Gaskammern als Detail der Geschichte.

In Österreich werden die Konzentrationslager zu Straflagern gemacht, und "wenn Sie so wollen", dann waren es "halt" Vernichtungslager. Das Spielen mit Andeutungen an der Grenze zum Verbotsgesetz kennzeichnet diese "Vergangenheitsbewältigung¿.
Populismus der Linken?
Der europäische Populismus ist ideologisch rechts angesiedelt. Was ist, wenn Linke populistische Politik betreiben? Wissenschafter plädieren dafür, in diesem Fall von einem Populismus der Linken zu sprechen. Denn auch hier werden rechte Themen vertreten und oft neoliberale und ausländerfeindliche Positionen bezogen. Einen Linkspopulismus, der linke Themen populistisch propagiert, gibt es nur in Lateinamerika.

Ein Beitrag von Ewald Hiebl für das Salzburger Nachtstudio am 28. 11., 21.00 Uhr, Österreich 1
->   Ö1
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Zum Nachlesen
"Populismus. Ideologie und Praxis in Frankreiche und Österreich" lautet der Titel eines Sammelbandes, den Thomas Hellmuth, Gabriella Hauch (beide Universität Linz) und Paul Pasteur (Universität Rouen) in den kommenden Wochen präsentieren werden. Darin widmen sich Autoren aus den beiden Ländern verschiedensten Aspekten rund um das Thema Populismus und Demagogie. Ein paar Beispiele: Paul Pasteur und Anne-Sophie Perriaux beschäftigen sich mit dem Populismus in Frankreich und stellen auch die Frage nach einem Populismus der Linken. Gabriella Hauch untersucht die Geschlechterpolitik der FPÖ. Walter Ötsch, Volkswirt und Kommunikationstrainer, skizziert die Vorstellungswelten von Demagogen. Der Kulturtheoretiker Thomas Macho widmet sich der bedingungslosen Anpassungesfähigkeit von Populisten an ihre Wähler und die Medien, und der österreichische Historiker Georg Schmid, der nun in Frankreich und Kanada lebt, stellt den Zusammenhang zwischen Populismus und der unbewältigten NS-Vergangenheit Österreichs her.

"Populismus. Ideologie und Praxis in Frankreiche und Österreich", hg. v. Thomas Hellmuth, Gabriella Hauch und Paul Pasteur, Innsbruck/Wien: Studienverlag 2002.
Walter Ötsch: "Haider light". Handbuch für Demagogie, 4. Auflage, Wien: Czernin Verlag 2001.
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->   Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Linz:
->   C.E.R.A (Centre d'Etudes et de Recherches Autrichiennes), Universität Rouen
 
 
 
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01.01.2010