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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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Was ist gute Wissenschaft?  
  Erfolgreiche Wissenschaften: Dazu gehören nicht nur eine gute Ausbildung, die passende Infrastruktur und demokratische Voraussetzungen - sondern auch das nötige Glück und eine gehörige Portion Neugier. Das zumindest meinte der Zellzyklusforscher und Nobelpreisträger Timothy Hunt zu Beginn des Ö1-Zukunftssymposions "Life Sciences".  
Scharfe Kritik an EU-Forschungspolitik
Der Forscher am Londoner Imperial Cancer Research Fund machte auch vor Kritik an konkreter Wissenschaftspolitik nicht halt. Das Reviewing System der Europäischen Union etwa bezeichnete er als einen "Skandal".

Auch die von der EU geförderten Forschungsnetzwerke hält er für zu "bürokratisch und unflexibel", als dass sie auf die konkreten Erfordernisse der Forschung reagieren könnten.
Drei Ratschläge an Europa
Der europäischen Wissenschaft gab Hunt deshalb eine Reihe von Ratschlägen: Erstens solle man sich "nicht schämen, Eliten zu bilden", zweitens sollen die fixen Anstellungsverhältnisse junger Forscher nicht zu früh erfolgen, und drittens solle man sich bemühen, ein "Europa-weites Peer-Review-System zu fördern und kein nationales".
"Das Unerwartete geschieht andauernd"
Während er ethische Fragen den anwesenden Politikern - unter ihnen Bundespräsident Thomas Klestil, der das Symposion eröffnete - und anderen Fachleuten überlassen wollte, gab er doch fragmentarische Antworten zur "guten Wissenschaft".

Am wichtigsten sei, so Hunt, die Freude an der wissenschaftlichen Entdeckung. Und das Akzeptieren der alten Weisheit, wonach in der Wissenschaft "das Unerwartete andauernd geschieht", wie er den britischen Forscher J.B.S. Holdane zitierte.
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Zellzyklusforscher Timothy Hunt
Timothy Hunt (geb. 1943) arbeitet am renommierten Imperial Cancer Research Fund in London. Ihm wird heuer für seine Entdeckung der Cycline der Nobelpreis für Medizin verliehen. Cycline sind jene Proteine, die die Funktion der CDK (Cyclin-abhängigen Kinasen) regeln. Hunt zeigte, dass die Cycline im Zusammenhang mit der Zellteilung abgebaut werden. Das ist ein Mechanismus, der sich als zentral für die Kontrolle des Zellzyklus erwiesen hat.
->   Imperial Cancer Research Fund
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Forschen aus Neugier, nicht wegen Ökonomie
Bild: APA
Timothy Hunt
Überhaupt verharrte der britische Gelehrte nicht in der häufig anzutreffenden schulmeisterlichen Gelehrigkeit wissenschaftlicher Koryphäen, sondern vermengte in seinem Vortrag Notizen seiner Forscherkarriere mit literarischen und philosophischen Zitaten.

Aristoteles etwa, den er nebst anderem als "den ersten großen Biologen" bezeichnete, stellte "Fragen nach dem Leben, die bis heute grundlegend" seien. Die Beschäftigung mit diesen Fragen im antiken Griechenland erfolgte aber nicht aus kurzfristigen ökonomischen Motiven, sondern aus "intellektueller Freude".

Ein Umstand, der auch heute zu berücksichtigen sei, denn "wir forschen aufgrund unserer Neugier und nicht wegen wirtschaftlicher Vorteile", so Hunt.
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Klestil: "Konsequente ethische Befragung der Life Sciences"
Bundespräsident Thomas Klestil eröffnete das Ö1-Zukunftssymposion "Life Sciences". Dabei sprach er sich für eine "konsequente ethische Befragung der Lebenswissenschaften und eine umfassende Information des Menschen darüber" aus. Um "tragfähige Antworten" zu finden, bedürfe es nach Ansicht des Bundespräsidenten "einer noch engeren Verflechtung von Forschung und ethischem Diskurs".
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Wissenschaft braucht Demokratie ...
Gute Wissenschaften, so Hunt weiter, sind zudem ein "demokratisches Geschäft" - ein Heiligenbild mit einer zentralen Gottesgestalt quasi die professorale Autorität des Forschers - diente ihm als Illustration und abschreckendes Beispiel.

Er selbst habe während des Vietamkrieges der USA nicht gewusst, ob er lieber hart und fleißig studieren oder gegen den Krieg demonstrieren solle - und sich dann für beides entschieden: das eine unter der Woche, das andere am Wochenende.
... Engagement und Kultur
Auf die Frage, ob sich Wien als Standort für Biotechnologie auszeichne, wollte der Nobelpreisträger keine definitive Antwort geben.

Klar jedoch sei, dass "Wissenschaft eine komplett kulturelle Tätigkeit" ist, und dass "in einer Stadt, in der Mozart, Beethoven und Haydn gelebt haben und Wittgenstein geboren wurde", man "auch die Wissenschaften lieben" müsse. Insofern hat die Bundeshauptstadt gute Chancen, meinte Hunt, und nannte das Institut für Molekulare Pathologie (IMP) als Beispiel.
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Das Symposion
Das Ö1-Zukunftssymposion wird am 29.11. fortgesetzt. Schwerpunkte des zweiten Tages sind die Innovations- und Wertschöpfungspotentiale der Biotechnologien sowie die Life Sciences im Kontext von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur.
29.11. (13.00 Uhr)
RadioKulturhaus, Argentinierstraße 30 A, 1040 Wien
Eintritt frei
->   Mehr zum Ö1- Zukunftssymposion
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Institutionen: Strenge Forschung und Laissez-Faire
Erfolgreiche wissenschaftliche Institutionen bieten immer eine Mischung aus strenger Forschung und einem gewissen Laissez-Faire, aus dem heraus sich erst Neues entwickeln kann. Bestes, wiewohl unfreiwilliges Beispiel: 1974 als Hunt mit Kollegen gerade zur Kontrolle von Proteinsynthesen arbeitete, brannte sein Labor ab - die meisten Unterlagen waren vernichtet. Doch der erzwungene Neuanfang brachte die Wissenschaftler auf neue Ideen.
Klare Ideen, strenge Tests, Skepsis
Und schließlich zitierte Hunt auch noch seinen Forscher- und Nobelpreisträgerkollegen Tom Cech: "Klare Ideen haben, strenge Tests entwickeln und den eigenen Resultaten mit Skepsis begegnen", nannte er die drei Grundvoraussetzungen, um erfolgreiche Wissenschaft zu betreiben.

Lukas Wieselberg
->   Tom Cech: Becoming a scientist
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Das Symposion auf Ö1
Mehr über das Ö1-Zukunftssymposion "Life Sciences" hören Sie am 29. November um 19 Uhr in den Ö1-Dimensionen.
->   Ö1
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01.01.2010