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Biotechnik unterm Strich  
  Es gilt als ausgemacht, dass die Biotechnologien eine neue Quelle des Werts und des gesamtgesellschaftlichen Wohlstandes sind. Die Qualität des "Wissenschaftsstandortes Europa" wird zunehmend an den Bedingungen gemessen, die er den Biotech-Inititativen bietet. Europäische Biowissenschaftler skizzierten, im Rahmen des Ö1-Zukunftssymposions "Life Sciences", ihre Sicht der Dinge.  
"Neue Innovations- und Wertschöpfungspotentiale" hieß das Thema des ersten Panels, am zweiten Tag des Ö1-Zukunftssymposions "Life Sciences".

Fünf Biowissenschaftler aus Dänemark, Deutschland und Österreich gewährten Einblick in ihre Forschung und sprachen über die Anwendungsmöglichkeiten von Biotechnologien.
Keine Furcht vor Biotechnologien
Mit den Anwendungsmöglichkeiten kamen freilich auch die Hindernisse der Anwendung zur Sprache: Unversehens ging es um Forschungspolitik, Verantwortung und mediale Vermittlung.

Die Forscher wünschten sich bessere Infrastrukturen und vor allem eine aufgeschlossenere Öffentlichkeit. Vor den Biotechnologien brauche man sich nicht zu fürchten, so die Botschaft, schließlich wendeten wir sie alle bereits alltäglich an.
Harmlos und nützlich
Spürbar war der starke Wunsch, Gen- und Biotechnologien als harmlose und vor allem nützliche Verfahren zu präsentieren: Die Wissenschaftler vertraten eine ganze Bandbreite biotechnologischer Forschung wie Umwelttechnik, Proteomfoschung, Biokatalyse, Lebensmitteltechnik und Molekularmedizin. Die Statements wollten überzeugen - eine Rechnung, die allerdings nicht immer aufging.
Nach dem Genom ...
Der Chemiker Erich Wanker sah die Forschung bereits im "Zeitalter nach dem Genom" angekommen. Er sequenzierte die derzeit relevante Forschung in vier Bereiche: Expressionsanalysen, Proteomforschung, Bioinformatik und Forschung an Modellorganismen zum Beispiel transgenen Mäusen.
... ist vor dem Proteom
Wanker selbst arbeitet im Bereich der Proteomforschung. Der Stoff, aus dem hier die Träume sind, ist Eiweiß, Proteine.

Proteine regulieren die Funktionen und Prozesse in einer Zelle. Die Entschlüsselung der Proteine und ihrer Funktionen gilt als um einiges aufwendiger als die Erfassung der Struktur des Genoms. Jedoch erwartet man von der Proteomanalyse Aufklärung über die Entstehung von Krankheiten, um Medikamente gezielter entwickeln zu können.

Von besonderer Bedeutung in diesem Bereich der Biotechnologien ist die Bioinformatik: Die Erfassung der geschätzten 150.000 Proteine soll computerunterstützt weitgehend automatisiert werden.
->   Max Planck Institut für molekulare Genetik, Berlin
Alltagstaugliche Biotechnik?
Verfahren zur Analyse von Krankheitsursachen gehören zu jenen Anwendungen, die medial sehr präsent sind. Es sind aber nicht die einzigen, wie Christian Wandrey, Biotechnologe am Forschungszentrum in Jülich, bemerkt: Sein Spezialgebiet sind Biokatalysatoren, insbesondere Enzym- und Fermentationstechnologien.

Hierbei geht es um die Herstellung und den gezielten Einsatz von Mikroorganismen, um gewünschte chemische Reaktionen hervorzurufen. Diese Techniken sind zum Teil bereits seit Jahrtausenden bekannt: Mikroorganismen werden zum Beispiel beim Brauen von Bier eingesetzt.
Entwicklung ökologischer Techniken
Heutzutage geht es um die Entwicklung ökologischer Techniken, die den Verzicht auf hohe Temperaturen oder Lösungsmittel ermöglichen. Wandrey hatte auch gleich ein anschauliches Beispiel parat: So könnten Enzyme die 95°C -Wäsche überflüssig machen: Die Wäsche wird mit Waschmittel, Enzym und 30°C dann genauso sauber.
->   Forschungszentrum Jülich
Reproduktion vs. Therapie
Kim Nasmyth vom Institut für molekulare Pathologie in Wien hatte sich mehrere Dinge vorgenommen: Gentechnologischen Laien den Unterschied von reproduktivem und therapeutischem Klonen nahe zu bringen und für letzteres zu werben sowie die Unterscheidung von "hard" und "soft sciences" mit neuem Leben zu füllen.

Reproduktives Klonen, erklärte er, sei durchaus mit Vorsicht zu genießen: Sexuelle Reproduktion führt zu einer Rekombination und Mischung der Gene, Klontechniken nicht. Hier entstehen identische Kopien - dies, so Nasmyth, sei nicht im Sinne der Natur, weshalb diese Form der menschlichen Reproduktion in der Natur auch nicht vorkommt.
Klontechnik, ein gesellschaftlicher Konsens
Aber: Um unerwünschte Effekte sexueller Reproduktion auszuschließen, sei das Klonen eine geeignete Technik. Über die Frage, ob und in welcher Weise diese Techniken allerdings angewendet werden sollen, müsse gesellschaftlicher Konsens hergestellt werden.
->   Institut für molekulare Pathologie, Wien
Mehr Fragen als Antworten
Kaltwäsche und Medikamente vermochten das Publikum nicht restlos zu überzeugen. Abseits konkreter Forschungen wurden in der Diskussion ganz andere Fragen wichtig: Wie soll gesellschaftlicher Konsens hergestellt werden? Wie soll entschieden werden, welchen Projekten die Zustimmung gegeben werden soll?

Mit diesen Fragen blieb das Publikum weitgehend allein. Zwar hatte Björn Jensen vom dänischen Institute of Water and Environment in seinem Statement gefordert, die Öffentlichkeit stärker einzubinden und sie teilhaben zu lassen an forschungsstrategischen Entscheidungsprozessen. Allerdings blieb es bei diesem frommen Wunsch, der alsbald in die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaftler transformiert wurde.
->   Institute of Water and Environment
Intelligente Fundamentalisten?
Das Verhältnis von Öffentlichkeit und Wissenschaft ist scheinbar schwer zu klären. Welche Öffentlichkeit ist eigentlich gemeint?

Hier blieben die Wissenschaftler offenbar auf Vermutungen angewiesen: Während Klaus-Dieter Jany vom molekularbiologischen Zentrum in Karlsruhe glaubte, die Menschen seien in Lebensmittelfragen "fundamentalistisch", sprach Nasmyth ihnen eine gewisse Intelligenz zu: "Die Menschen sind nicht dumm."

Die Menschen nicht, aber die Politik vielleicht? Christian Wandrey verwies auf Gesetze, die die Anwendung von Biotechnologien verhindern, "weil die Politik nicht versteht, worum es geht."
Der Unterschied zwischen hard und soft science
Eine These hat sich jedoch unfreiwillig bestätigt: Nasmyth unterschied soft und hard sciences, indem er letzteren die Fähigkeit, Fragen auszulösen, bescheinigte. Hard sciences provozierten immer neue Fragen, während die soft sciences, also die Geistes- und Sozialwissenschaften, zirkuläre Antworten hervorbrächten. Ob er dies deskriptiv meinte, blieb unerklärt.

Cathren Müller
Weiter Informationen über das Ö1-Zukunftssymposions "Life Sciences" finden sie auf science.orf.at unter:
->   Was ist gute Wissenschaft?
 
 
 
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01.01.2010