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Stressfaktor Geburtstermin?  
  Jede werdende Mutter kennt das errechnete Geburtsdatum des Nachwuchses, doch über 95 Prozent aller Schwangeren bekommen ihre Kinder nicht termingenau. Gleichwohl setzt dieser "exakte" Geburtstermin Frauen häufig enorm unter Druck, meinen Experten - und plädieren für ein Umdenken: Die "Geburtswoche" statt des exakten Tags soll den Stress mildern.  
Vern Katz vom Center for Genetics and Maternal-Fetal Medicine im US-Bundesstaat Oregon meint, es sei Zeit, den genauen Geburtstermin endgültig zu begraben, wie er in der Dezemberausgabe des Fachjournals "Obstetrics and Gynecology" in einem Kommentar schreibt.
->   "Obstetrics and Gynecology" (kostenpflichtig)
Frustrationen und Ängste zukünftiger Mütter
Das fehlerhafte Konzept vom "Stichtag" führe bei den zukünftigen Eltern zu Frustrationen und Besorgnis um die Gesundheit ihres Kindes, wenn die Mutter nicht "rechtzeitig" entbindet, meint Katz.

Das kann auch die Wiener Hebamme Anja Bornefeld bestätigen: Kommt das Baby nicht zum vom Arzt festgelegten Termin, dann sind ihre Patientinnen ungeduldig und machen sich Sorgen, dass mit dem Kind etwas nicht stimmen könnte, erzählt sie.
Extrem verunsicherte Frauen
Ihrer Erfahrung nach sind Frauen extrem verunsichert, wenn das Baby "länger braucht". Denn die Mütter rechnen nur bis zum Termin, weiß die Hebamme.

Und nicht nur die Mütter sind fixiert auf diesen einen Tag. Meist sind alle Bekannten und Verwandten informiert, kommt das Baby dann später, so rufen sie täglich an und verstärken ungewollt den Druck auf die Frauen.

Dabei befänden sich diese sowieso schon in einer labilen und sensiblen Phase und würden immer stärker verunsichert, meint Bornefeld.
Nur 3,9 Prozent aller Kinder zum Stichtag
Tatsächlich sind Geburten exakt zum Stichtag aber extrem selten. "Nur 3,9 Prozent aller Kinder kommen genau zum errechneten Termin", so Bornefeld gegenüber science.orf.at.

Etwa ein Drittel der Babys komme vor dem Geburtstermin, zwei Drittel kommen später, erklärt sie eine "Faustregel". Plusminus zehn Tage sind ihrer Meinung nach völlig normal.
Fehleranfällige Rechenmethode
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen liegt es an der von den Medizinern verwendeten Methode zur Bestimmung des Datums, die zu Fehleranfälligkeit neigt.

Grundlegend ist dabei der Zeitpunkt der letzten weiblichen Monatsblutung, genauer gesagt der letzte Tag dieser Periode. Davon ausgehend rechnet man je nach Durchschnittslänge der Periode bis zum Tag des Eisprungs. Dieser ist - zumindest der Rechenmethode zufolge - auch der Tag der Befruchtung.

Bei einem klassischen Menstruationszyklus von 28 Tagen käme der Zeitpunkt des Eisprungs zum Beispiel nach genau 14 Tagen. Dazu kommen dann 281 Tage bzw. zehn Mondmonate a 28 Tagen bzw. 40 Wochen.
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Der Menstruationszyklus
Etwa ein bis zwei Jahre nach der ersten Periode eines Mädchens, der so genannten Menarche, pendeln sich diese Monatszyklen auf einen Rhythmus von 21 bis 35 Tagen - im Durchschnitt sind es 28 Tage - ein. Die Gründe für diesen meist relativ exakten Zeitplan sind nicht völlig geklärt, gesteuert wird der Zyklus allerdings über Hormone.

Während eines Monatszyklus produziert einer der beiden Eierstöcke eine Eizelle, die über die Eileiter in die Gebärmutter wandert. Wird sie in dieser entscheidenden Phase durch eine Spermazelle befruchtet (Zygote), so bleibt sie im Durchschnitt 40 Wochen in der Gebärmutter. In dieser Zeit entwickelt sich aus ihr der Säugling. Wird die Eizelle nicht befruchtet, so wird sie zusammen mit der Gebärmutterschleimhaut ausgestoßen.
->   Mehr Informationen zum Menstruationszyklus
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Unregelmäßiger Zyklus, unterschiedliche Voraussetzungen
Allerdings haben Studien zufolge rund 20 Prozent der Frauen einen unregelmäßigen Zyklus, zudem wirken diverse Umstände auf den Zeitpunkt des Eisprungs ein.

Setzt eine Frau etwa die Pille ab, so kann sich der Eisprung verschieben, erklärt Bornefeld. Ebenso könne ein verlängerter Zyklus den Eisprung nach hinten verschieben.

Zudem sind auch die medizinischen Voraussetzungen bei den Frauen unterschiedlich: Eine Mutter von Zwillingen könne schon nach 38 Wochen entbinden, während der Standard bei 40 Wochen liege, erklärt der US-Experte Katz. Auch eine Schwangere, die unter Diabetes oder Bluthochdruck leide, gebäre möglicherweise früher.
Die Geburtswoche als Lösung?
Der Gynäkologe sieht gleichwohl natürlich die Notwendigkeit, den künftigen Eltern einen Zeitpunkt zu nennen. Doch seine Idee ist es, statt dem auf einen spezifischen Tag festgelegten Geburtstermin die Geburtswoche zu nennen.

Diese würde den Druck von den werdenden Eltern nehmen und es ihnen zugleich erlauben, in gewissen Zeiträumen zu planen.
Gegen ein "vorzeitiges" Einleiten der Wehen
Benjamin Sachs, Vorsitzender der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, sieht einen weiteren Vorteil der Geburtswoche: Sie könne dabei helfen, die Biologie ihren Lauf nehmen zu lassen, zitiert der US-Nachrichtensender ABC den Experten.

Denn offenbar sind die Zahlen für ein Einleiten der Wehen durch Medikamente in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Der exakte Geburtstermin bzw. der dadurch auf die Frauen ausgeübte Druck sei mit ein Grund dafür, meint Sachs.
Zwei Wochen "gegen den Druck"
Anja Bornefeld geht noch weiter. Sie gibt ihren Frauen den Rat, den Termin gleich um zwei Wochen zu verlängern - zumindest als Information an die Verwandten, um den Druck auf die Frauen zu vermindern.

Das, so meint sie, würde nichts an der medizinischen Handhabung ändern; es würde aber dazu führen, dass die Frauen gegen Ende der Schwangerschaft wesentlich entspannter seien und mehr Geduld aufbrächten.
->   Beth Israel Deaconess Medical Center, Boston
->   Genetics and Birth Defects Clinic, Ohio
 
 
 
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01.01.2010