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"Weltende" als Impuls moderner Wissenschaft  
  Ein neues Buch befasst sich mit dem Einfluss der im Mittelalter "populären" Weltuntergangs-Visionen auf die Entstehung der modernen Naturwissenschaften. Apokalyptik erscheint hier als Impulsgeber etwa für die Lehre von der Physik.  
Jahrhunderte hindurch lebten die Europäer mit dem Gedanken an einen nahenden Weltuntergang. Heilige Schriften hatten ihn angekündigt, offen blieb dabei der Zeitpunkt.
Suche nach Hinweisen auf Untergang
So achteten die Menschen auf Erscheinungen am Himmel und auf der Erde, die auf sein Kommen hinweisen könnten. Daraus entwickelte sich ein mächtiger Impuls zur Erforschung der Natur.
Apokalyptik schwindet aus dem Bewusstsein

Und während man ihrem Wesen und ihren Gesetzen immer mehr auf die Spur kam, verschwand die Apokalyptik, die prophetische Offenbarung vom Weltende, allmählich aus dem Bewusstsein der Menschen.

Die schreckenden Himmelszeichen - Sonnenfinsternisse, Sternenfall, Nordlichter, Planetenkonjunktionen - verlangten nach Beruhigung und Gewissheit.
"Aufstieg aus dem Untergang"
"So suchte man sein Heil in der Physik, der Naturphilosophie", schreibt der Professor für Mittelalterliche Geschichte, Johannes Fried, in einer fesselnden neuen Studie mit dem Titel "Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter".
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Das Buch
Johannes Fried: "Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter"
Erschienen 2001 im C.H.Beck-Verlag
ISBN: 3-406-48209-0
321,- ATS (23,33 Euro)
->   Das Buch im Beck-Verlag
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Umfangreiches Quellenmaterial
Der Frankfurter Gelehrte präsentiert umfangreiches, aus Quellen erschlossenes Material, zitiert oder erwähnt eine lange Reihe von Naturforschern, Philosophen, Theologen und andere Denker aus dem Mittelalter - bis hin zu dem Engländer Isaac Newton (1643-1727), dem Begründer der klassischen theoretischen Physik und damit, neben dem Italiener Galileo Galilei (1564-1642), der exakten Naturwissenschaft.
Animiert zum Forschen
Fried versucht damit aufzuzeigen, wie die Forschung zum Aufstieg bis zu den fernsten Grenzen des Alls und zum Vordringen bis zu den kleinsten Bausteinen der Welt animiert wurde: Radioteleskopie, Quasar-Forschung, Teilchenphysik, Biogenetik und Biotechnik.
Bedeutungsverlust der arabischen Wissenschaft
Gleichzeitig mit dem wissenschaftlichen Aufbruch des Westens blieb die arabische Wissenschaft immer mehr zurück. Bis ins 12. und 13. Jahrhundert hatte das Abendland ihr viel zu verdanken gehabt. Dann verlor sie nachgerade ihre Bedeutung, konstatiert Fried. Dafür hat es nach seiner Auffassung mehrere Gründe gegeben.

Einen sieht er darin, dass im Islam die Apokalyptik und die Astrologie sich seit dem 10. und 11. Jahrhundert von der endzeitlichen Krisenbeschreibung zur politischen und sozialen Routine wandelten, also ihres eigentlichen Charakters entkleidet wurden.

So verloren sie ihren das Wissenwollen und die Wissenschaft anstachelnden Reiz und ließen die Forschung erlahmen.
Westen suchte nach Gewissheit und sicheren Kriterien
Im Westen indessen sog "die Wissenschaft ihre jugendliche Kraft, ihre unwiderstehliche Durchsetzungsfähigkeit und Dynamik aus den innersten Wurzeln des Glaubens."

Das heißt hier: aus dem Bedürfnis nach Deutung der Zeichen und aus der Berechnung der Zeit des Untergangs, des Jüngsten Gerichts und der damit verbundenen Hoffnung auf die ewige Seligkeit.

Dieser Glaube dürstete und suchte nach Gewissheit oder, wenn solche unmöglich war, nach gesicherten Kriterien des Noch-immer-nicht oder der völligen Falsifikation (Nachweis der Falschheit), wie der Mediävist von der Frankfurter Universität schreibt.
Triumph über christlichen Fundamentalismus?
Dieser Glaube verwehrte den fundamentalistischen Kräften in der Religion, die den Christen nicht fremd waren, einen endgültigen Triumph. Vielmehr trieb er sie immer aufs neue zur Forschung.

Hier gewinnt Frieds Buch auch einen aktuellen Aspekt, nämlich im Kontext mit den gegenwärtigen Diskussionen über das Verhältnis von Christentum und Islam beziehungsweise westlicher und Nahöstlicher Welt.

(Rudolf Grimm, dpa)
 
 
 
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01.01.2010