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Winterschlaff in den Winterschlaf  
  Wissenschaftler enträtseln immer mehr Signale, die tierische Winterschläfer in ihren süßen Schlummer von vielen Wochen Dauer sinken lassen. Menschen könnten schon bald von diesen Erkenntnissen profitieren - und sich etwa am Winterschlaf der Bären "ein Vorbild nehmen": So träumt etwa die amerikanische Weltraumbehörde NASA davon, Astronauten im "Winterschlaf" auf lange Weltall-Missionen schicken zu können.  
Energetischer Sparzustand: "Steif sein"
Viele Säugetiere sind in einer für Menschen beneidenswerten Lage: Sie verschlafen den trüben Winter einfach. Schwarzbären etwa zwängen sich in enge Höhlen, rollen sich zusammen, stecken den Kopf zwischen die Vorderpfoten und verlassen sich darauf, dass ihr zotteliger Rücken und eine dicke Fettschicht sie vor der eisigen Winterkälte schützen, während sie vor sich hin dösen.

Dieser energetische Sparzustand hat nichts mit Schlaf zu tun; Wissenschaftler nennen ihn "Torpor", vom lateinischen torpere, was soviel wie "steif sein" bedeutet.
Bärenstark in den Frühling
Schritt für Schritt klären sie nun jene Mechanismen, die es diesen Tieren ermöglichen, monatelang ohne Nahrung, Flüssigkeit und Bewegung auszukommen. Einer von ihnen ist der Zoologe Hank Harlow von der Universität Wyoming.

Er ist an einem ganz speziellen Problem interessiert: Sobald sich die Schwarzbären der Rocky Mountains zur Ruhe begeben, verharren sie in ihrer kleinen Schlafkammer monatelang fast bewegungslos. Wenn sie im Frühjahr aufwachen, sind sie trotzdem topfit und haben kaum Muskelmasse verloren.
->   Hank Harlow an der Universität Wyoming
Blut- und Muskelproben klärten Geheimnis
Und das, obwohl sie in dieser Zeit weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich genommen haben. Wenn sich Menschen vergleichbarer Inaktivität hingeben, schwinden 80 Prozent der Muskel dahin und sie wären weder in der Lage auf ihren eigenen Füßen zu stehen, geschweige denn sich auf Nahrungssuche zu machen.

Um herauszufinden, wie die Bären ihre Muskelkraft bewahren, kroch Harlow, in ihre Höhlen, betäubte sie mit einem Blasrohr und entnahm Blutproben, sowie ein erbsengroßes Stück Muskelgewebe. Die anschließenden Laboruntersuchungen brachten eine erstaunliche Leistung ans Tageslicht: Durch ein ausgeklügeltes Recyclingsystem verlieren überwinternde Bären kaum Muskelprotein.
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Perfektes Recycling-System
Normalerweise scheiden Säugetiere Stickstoff, der beim Abbau von Proteinen anfällt, als Harnstoff im Urin aus, um Vergiftungen zu vermeiden. Nicht so Bären im Winterschlaf. Sie verwerten den gesamten Stickstoffabfall in neu synthetisierten Proteinen, die sie wiederum für den Aufbau von Muskelgewebe benutzen. Deshalb müssen sie auch einen ganzen Winter lang niemals in die Kälte raus, um zu pinkeln. Andere Winterschläfer recyclen gerade mal 20 Prozent ihres Harnstoffes - mit den unausweichlichen Folgen. Sie müssen hin und wieder ihre Blase entleeren.
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Zittern für den Muskelaufbau
Aber eine effiziente Wiederverwertung von Proteinen ist nur Teil der Erklärung für die erstaunliche Fähigkeit von Schwarzbären, mehr als 80 Prozent ihrer Muskelkraft zu bewahren. Regelmäßiges Muskeltraining ist der andere, spekuliert Harlow.

Aufgrund von Körpertemperaturmessungen vermutet er, dass die Tiere mehrmals täglich massive Zitteranfälle haben, bei denen sich ihre Muskel in einer Art unfreiwilliger isometrischer Übung zusammen ziehen.
Winterschlaf macht Ziesel vergesslich ...
Europäische Ziesel kennen dieses Problem nicht. Sobald sie sich Anfang September zur Ruhe begeben, schalten sie ihr körpereigenes Thermostat ab und schon bald sinkt ihre Temperatur auf wenige Grad über die der Umgebung. Ihr Herzschlag verlangsamt sich auf zwei Schläge pro Minute und im Gehirn ist kaum mehr neuronale Aktivität messbar. Sie erscheinen mehr tot als lebendig.

Aber dieses faule Leben hat seinen Preis. Die Verhaltensbiologin Eva Millesi von der Universität Wien untersucht seit mehr als zehn Jahren freilebende Zieselkolonien.

Ihr fiel auf, dass die anfangs recht scheuen Tiere bis zum Ende des Sommers immer recht zutraulich wurden. Aber im nächsten Frühling waren sie wieder genau so scheu wie im Vorjahr. "Ich hatte wirklich den Eindruck, dass sie sich nach dem Winterschlaf einfach nicht mehr erinnern konnten", erzählt sie.
... was zu beweisen war
Millesi beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Während der Sommermonate trainierte sie zwölf handzahme junge Ziesel. Sie mussten sich in einem Labyrinth aus Plastikröhren einen bestimmten Weg einprägen, um ans Futter zu kommen.

Vor Winterschlafbeginn wurde nochmals trainiert und danach hieß es für sechs der Versuchtiere - ab in die sechs Grad Celsius kühle Klimakammer, wo sie in gewohnter Manier überwinterten. Der Rest blieb wach.

Im darauffolgenden Frühjahr wurde wieder getestet. Und tatsächlich hatten jene Ziesel, die Winterschlaf gehalten hatten, sowohl den Weg im Labyrinth, als auch die richtige Bedienung des Futterautomaten praktisch vergessen, während die wachgebliebenen Tiere keinerlei Probleme hatten, möglichst schnell zu ihrem Futter zu kommen.
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Geringe Gehirnaktivität
"Eine mögliche Erklärung könnte die geringe Gehirnaktivität während der Torporphasen sein. Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn müssen regelmäßig benutzt werden, damit sie ihre Funktion nicht verlieren", mutmaßt die Biologin.
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Genetische Entdeckungen
Seit etwa sechs Jahren mischen immer mehr Molekularbiologen in der Winterschlafforschung mit. Der erste Durchbruch gelang dem Genetiker Matthew Andrews von der North Carolina State University in Duluth.

Er identifizierte bei Erdhörnchen zwei Gene, die eine grundlegende Rolle bei der physiologischen Transformation spielen, die Winterschlaf erst ermöglicht. Ein Gen stoppt die Verwendung von Glukose zur Energiegewinnung, das andere ermöglicht die Verbrennung der über den Sommer angefutterten Fettpolster.
->   Department of Microbiology, NCSU
Menschen auch Winterschläfer?
Andrews fand diese Gene aber nicht nur in Winterschläfern, sondern auch in Säugetieren, die das ganze Jahr über aktiv sind, inklusive Menschen.

"Wir haben zwar die gleichen Gene, aber bei Winterschläfern werden sie anders reguliert. Sie sind in anderen Organen und zu ganz spezifischen Zeiten aktiv, zum Beispiel im Oktober, wenn sie beginnen zu überwintern", erläutert der Wissenschaftler, dessen Forschung unter anderem von der amerikanischen Armee finanziert wird.
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Durchs Weltall im Tiefschlaf
Die Militärs, genauso wie die NASA, träumen davon, mithilfe der von ihnen gesponserten Winterschlafforschung eines Tages in der Lage zu sein, nach dem Vorbild der Erdhörnchen den menschlichen Stoffwechsel auf ein Minimum zu reduzieren. Das soll ihnen ermöglichen, Astronauten auf lange Weltraumreisen zu schicken oder verwundete Soldaten am Leben zu erhalten, bis sie in den nächsten Operationssaal transportiert werden können.
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Gut für Organtransplationen?
Andrews hingegen ist nicht davon überzeugt, dass in Zukunft Astronauten auf den Weg zum Jupiter in einem torporähnlichen Zustand vor sich hindämmern werden.

"Organtransplationen werden viel eher davon profitieren. Wenn man entnommene Lebendorgane in den gleichen Ruhezustand versetzen könnte, in dem sie sich während des Winterschlafs befinden, könnte man sie vermutlich für Tage, ja Wochen konservieren. Auf lange Sicht könnte unsere Forschung damit Leben retten", hofft er.

Gina Kirchweger, Universum-Magazin/red
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->   Universum Magazin
->   Phänomen Winterschlaf
->   Bären im Winterschlaf (PBS)
 
 
 
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01.01.2010