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Der Homo Erectus war niemals "Teenager"  
  Untersuchungen am Zahnschmelz verschiedener Fossilienfunde haben es jetzt ans Tageslicht gebracht: Einer der frühesten Vertreter der Gattung Mensch, der Homo Erectus, wies zwar bereits viele "modernen" Merkmale auf, doch seine Entwicklung vollzog sich noch ganz nach dem Schema eines Affenlebens. Die Teenager-Zeit als Phase einer verlängerten Jugend gab es bei ihm nicht.  
Christopher Dean und seine Kollegen vom Department of Anatomy and Developmental Biology des Londoner University College haben zwei Jahre lang fossile Zähne verschiedener menschlicher Vorfahren untersucht. Über die Ergebnisse dieser Untersuchungen berichten sie nun im britischen Fachmagazin "Nature".
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Artikel in "Nature"
Der Originalartikel "Growth processes in teeth distinguish modern humans from Homo erectus and earlier hominins" ist erschienen im aktuellen "Nature" (Bd. 414, 2001). Ein Kommentar zum Artikel findet sich in der gleichen Ausgabe unter dem Titel "Human evolution: Questions of growth". Beide Texte sind kostenpflichtig.
Eine Zusammenfassung der Publikation findet sich allerdings kostenfrei auf der Homepage des Instituts, an dem die verantwortlichen Wissenschaftler forschen: "Growth process ...", Summary.
->   "Nature"
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Lange Jugend: Schlüsselfaktor der Evolution
Vergleicht man heute den Homo sapiens mit seinen nächsten Verwandten, den Menschenaffen, dann zeigt sich entwicklungsbiologisch ein entscheidender Unterschied: Während Primaten bereits nach etwa zehn Jahren erwachsen sind, braucht der moderne Mensch dafür bis zu 20 Jahre.

Die Frage, ab wann die menschliche Entwicklung eine verlängerte Jugendzeit aufweise, ist vor allem deshalb von Interesse, weil dieser "Sprung" als ein Schlüsselfaktor der menschlichen Evolution gilt: Länger jung heißt mehr Zeit zum Lernen, erklären es Experten.

Bisher hatte man vermutet, dass sich beim Homo erectus parallel mit verschiedenen "modernen" Merkmalen wie etwa den Körperproportionen auch dieses besondere Wachstumsmuster entwickelt hat.
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Homo erectus
Die Hominidenart Homo erectus, die vor rund 1,8-0,2 Mio. Jahren lebte, ist von zahlreichen Fundorten aus Afrika, Ostasien und Westeuropa (Heidelberg, Atapuerca) bekannt. Homo erectus besitzt einen charakteristischen Schädelbau mit langem, flachem und nach oben zu schmaler werdendem Hirnschädel, gewinkeltem Hinterhaupt und vorspringendem Knochenwulst über den Augenhöhlen. Wesentlichste Veränderung während der Evolution des Homo erectus ist die Zunahme der Gehirngröße, die bei späten Funden bis 1225 cm3 erreicht (Cerebralisation). Aus dem Homo erectus entwickelte sich der "archaische Homo sapiens" und aus diesem (in Afrika) der moderne Mensch.
->   Mehr zum Stammbaum des Menschen
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Warum Zähne?
Viele Unterschiede zwischen modernem Mensch und Menschenaffen sind offensichtlich. Manche jedoch, wie zum Beispiel diese unterschiedlich lange Jugendphase sind nicht nur weniger offensichtlich. Sie lassen sich auch relativ schwer innerhalb der Evolutionsgeschichte des Menschen zeitlich einordnen.
Die "Wachstumsschichten" im Zahnschmelz
Paläoanthropologen konzentrieren sich deswegen bei ihren Forschungen auf Zähne, denn tatsächlich lässt sich an diesen, genauer gesagt am Zahnschmelz, so einiges erkennen: Unter anderem kann man aus den verschiedenen Mineralschichten, die den Zahnschmelz bilden, eine Art Wachstumsmuster des ehemaligen "Eigentümers" ableiten.

Ähnlich wie die Jahresringe eines Baumes zeigen bestimmte Markierungen in den Schichten des Zahnschmelzes ein spezifisches Wachstumsmuster. Daran lässt sich etwa bestimmen, mit welcher Geschwindigkeit sich Zähne bzw. ihr Schmelz entwickelt haben.
Mikroskop-Aufnahmen zeigen die Schichten
Mit einem Elektronen-Mikroskop - ein solches Gerät erlaubt bis zu 100.000-fache Vergrößerungen - gelang es den Forschern um Christopher Dean nun, diese winzig kleinen Schichten bzw. die Markierungen sichtbar zu machen und zu untersuchen.

 


Fotos: Ein Backenzahn, der dem Homo erectus zugeordnet wird (links), und die Elektronen-mikroskopische Aufnahme der verschiedenen Schichten (rechts) eines Backenzahns, der einem Homo habilis zugeordnet wird.
Homo erectus: Mit 14 Jahren erwachsen
Die Analysen der Anthropologen zeigen, dass der Homo erectus sich ähnlich den fossilen Affen oder den heute lebenden Menschenaffen entwickelte. Deans Schätzungen zufolge dauerte es etwa 14 bis 16 Jahre, bis der Homo erectus ausgewachsen war.

Der italienische Evolutionsbiologe Jacopp Moggi-Cecchi von der Universität von Florenz erklärt die Unterschiede mit den unterschiedlich großen Gehirnen: Denn der Homo erectus hatte zwar bereits ein größeres Gehirn als ein Affe, kleiner als das des Homo sapiens war es dennoch. Die verlängerte Jugendphase, so sein Erklärungsansatz, lässt mehr Zeit für die Gehirnentwicklung.
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Fossilien verschiedenster Hominiden
Dean und seine Kollegen analysierten die Fossilien von verschiedensten Hominiden, darunter neben dem Homo erectus der Australopithecus anamensis, der vor etwa vier Millionen Jahren gelebt hat, ein rund 120.000 Jahre alte Neandertaler und eine etwa 18 Millionen Jahre alte Affenart. Die Ergebnisse der einzelnen Zahnschmelzuntersuchungen wurden anschließend verglichen.
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Erst der Neandertaler war auch ein Teenager
Der erste "dentale" Beweis für eine dem modernen Menschen ähnliche Entwicklungsperiode findet sich laut Dean beim Zahnfossil eines Neandertalers, der etwa vor 120.000 Jahren gelebt hat. Damit beginnt die Phase der "langen" Jugend weitaus später als häufig vermutet.
->   Department of Anatomy and Developmental Biology
 
 
 
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01.01.2010