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Diagnostik im Zeitalter der Gentechnologie  
  Neben der Stammzellenforschung ist die genetische Diagnostik eines der umstrittensten Gebiete der Medizin. Denn durch die Erforschung des menschlichen Genoms und die Entwicklung neuer diagnostischer Verfahren entstand erstmals die Möglichkeit, die genetische Disposition für eine Krankheit bereits vor ihrem Ausbruch zu erkennen. Die Folgen sind ebenso faszinierend wie besorgniserregend.  
Die frühzeitige Diagnose von Infektionskrankheiten wie Aids oder Hepatitis, das Erkennen von Chromosomendefekten und krankheitsfördernden Veränderungen am Erbmaterial, die Früherkennung von vererbbaren Krebserkrankungen, all diese Möglichkeiten eröffnet die genetische Diagnostik.
Wo es Licht gibt, ist auch Schatten
Allerdings ergeben sich aus den vielfältigen Möglichkeiten auch eine Reihe von Problemen. "Es besteht eine immer größer werdende Kluft zwischen den Möglichkeiten der genetischen Diagnose und der Therapie", sagt der Genetiker Markus Hengstschläger von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Abteilung für Pränatale Diagnostik und Therapie, des Allgemeinen Krankenhauses in Wien.

"Aus diesem Grund sollte man alle genetische Diagnoseverfahren nach dem Vorteil für die Patienten hinterfragen. Gibt es bei dieser Krankheit, die ich suche, Möglichkeiten des Vorbeugens, der Prophylaxe? Wenn es keine Behandlung der Krankheit gibt, hat dann die genetische Diagnose einen Sinn?", so Hengstschläger weiter.
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DNA-Diagnostik
In der DNA-Diagnostik versucht man krankheitsverursachende Veränderungen nachzuweisen, bzw. die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, mit der eine bestimmte Person Anlagenträger für eine definierte Erbkrankheit ist. Dabei kann man auf zwei Verfahren zurückgreifen:

Bei der direkten DNA-Diagnose wird die die Krankheit verursachende Mutation nachgewiesen (z.B. die Deletion von 3 Basenpaaren DF508 bei der Zystischen Fibrose)

Bei der indirekten Diagnose erfolgt im Gegensatz dazu der Nachweis des verantwortlichen Gens durch die Vererbung von gekoppelten DNA-Markern. Weiters kann man auch noch eine Unterscheidung treffen, ob eine Diagnose vor Ausbruch der Erkrankung oder bei bereits manifester Erkrankung durchgeführt wird.

Der Einsatz der DNA-Diagnostik ist in Österreich durch das Gentechnikgesetz geregelt.
->   Das Gen
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Früherkennung von vererbbaren Krebs-Erkrankungen
Zu der wahrscheinlich bekanntesten Anwendung der genetischen Diagnostik gehört die Früherkennung vererbbarer Krebserkrankungen. So haben in den letzten Jahren Molekularbiologen und Mediziner Veränderungen an bestimmten Genen entdeckt, die weitervererbt werden können.

Trägerinnen dieser genetischen Veränderungen haben ein stark erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens an der jeweiligen Form des Brust- oder Darmkrebs zu erkranken. Allerdings beträgt das Risiko nicht 100 Prozent, denn es müssen weitere Faktoren hinzukommen, um eine Krebserkrankung tatsächlich zum Ausbruch zu bringen.
Positive Folgewirkungen
"Die genetische Diagnostik hat im Bereich der Onkologie zu besseren Vorsorgeprotokollen geführt", erklärt Michael Krainer von der klinischen Abteilung für Onkologie des AKH Wien.

Dadurch werden Tumore früher - in einem beherrschbareren Stadium - erkannt. "Außerdem kann bei einem bekannten genetischen Risiko die medikamentöse Prävention viel besser eingesetzt werden", so Krainer weiter.
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Chromosomendefekte
Man unterscheidet dabei zwischen Mutationen, Chromosomenbrüchen, Translokationen (der Übertragung eines Teiles eines Chromosoms auf ein anderes) und Aberrationen, also dem Fehlen eines ganzen Chromosoms.

Bei einer angeborenen Erkrankung liegen die Veränderungen (Mutationen) des Erbmaterials bereits in den Keimzellen (Ei- oder Samenzelle) vor, aus denen ein Mensch entsteht, oder sie ereignen sich dort (z. B. durch Strahlenschäden, Chemikalien usw.). Diese Veränderungen werden an alle Körperzellen weitergegeben und können auch an die nächste Generation vererbt werden.

Keimbahnmutationen sind zu unterscheiden von so genannten somatischen Mutationen, die auf bestimmte Körperzellen eines Individuums beschränkt bleiben und nicht vererbt werden.
->   Mehr Informationen über Chromosomendefekte
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Pränatale Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik
Am besten zeigt sich das Problem der Erkennung von genetischen Veranlagungen im Bereich der pränatalen Diagnostik, also bei Untersuchungen am ungeborenen Kind im Mutterleib.

Denn neben dem bereits erwähnten Problem der manchmal unzureichenden oder nicht vorhandenen Therapiemöglichkeiten stellt sich hier noch die Frage des Schwangerschaftsabbruches. Und in letzter Konsequenz damit der Vorwurf der Selektion von Leben.

Noch stärker stellt sich das ethische Problem und der Vorwurf der Selektion allerdings bei der heftig umstrittenen Präimplantationsdiagnostik dar.
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Präimplantationsdiagnostik
Bei der Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, wird nach einer künstlichen Befruchtung der Embryo in vitro auf krankhaft veränderte Gene getestet. Es werden nur diejenigen Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt, die voraussichtlich keine der Krankheiten bekommen, auf die geprüft wurde. Dieses Verfahren ist in Österreich verboten, in den meisten europäischen Ländern jedoch erlaubt.
->   Mehr Informationen über die Präimplantationsdiagnostik
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Verbieten und in Ausnahmefällen erlauben?
"Natürlich ist diese Technik für einen Missbrauch ganz toll geeignet", meint der Genetiker Hengstschläger. "So könnte sie z.B. dazu verwendet werden, die Augenfarbe des Wunschkindes zu bestimmen. Oder die Geburt von Kindern auf Grund ihrer Anlagen, z.B künstlerisch oder athletisch, forciert werden. Je nach Wunsch der Eltern."

Hengstschläger plädiert aus diesen Gründen dafür, die Präimplantationsdiagnostik zu verbieten, meint aber, in Ausnahmefällen könne sie genehmigt werden.

"Wenn es sich hier auch um ein sehr vielschichtiges und weitreichendes Problem handelt, sollte man nicht vergessen, dass es nicht um Weltbildlösungen geht, sonder das optimale Management für ein Diagnoseverfahren gefunden werden soll", so der Experte.
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Chromosomale und molekulargenetische Diagnostik
Die Chromosomenanalyse verschafft einen Überblick über die Gesamtheit der Erbinformation, vergleichbar mit der Kontrolle eines mehrbändigen Lexikons auf Vollständigkeit und äußerliche Unversehrtheit. "Druckfehler", welche der Veränderung einzelner Erbanlage entsprechen würden, können bei der Chromosomenuntersuchung nicht bemerkt werden. Das wichtigste Krankheitsbild, das durch eine Chromosomenuntersuchung diagnostiziert wird, ist das Down-Syndrom, bei dem ein überzähliges Chromosom 21 (Trisomie 21) gefunden wird.

Im Gegensatz zur Chromosomenanalyse geht es bei der molekulargenetischen Diagnostik um die gezielte Suche nach "Druckfehlern" im Lexikon der Erbanlagen. Das ist nur möglich, wenn bekannt ist, welches der ca. 30.000 Gene des Menschen in der betroffenen Familie verändert ist bzw. welche Mutationen Ursache für eine spezifische Erkrankung sein können. Die Zahl erblicher Erkrankungen für die ursächliche genetische Veränderungen entschlüsselt werden konnte, nimmt ständig zu.
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Genetische Disposition und Umwelteinflüsse
Krankheiten entstehen nicht nur auf Grund einer genetischen Veranlagung, sonder auch durch Umweltflüsse. Fast alle Krankheiten basieren auf einem Zusammenspiel dieser beiden Faktoren.

Das bedeutet, die genetische Veranlagung - das genetische Risiko - kann durch die Änderung des Lebensstils, der Ernährung und der Umwelteinflüsse positiv beeinflusst werden.
Auswirkungen der genetischen Diagnose
Daher kann, laut Hengstschläger, die große Stärke der genetischen Diagnose nur das Initiieren einer Veränderung - auf Grund der genetisch festgestellten Veranlagung - im Leben des Patienten sein, wie z. B. eine Diät.

"Die Folgen der genetischen Diagnose können nur in Zusammenarbeit mit den Patienten erarbeitet werden", ergänzt Krainer, "die Aufgabe der Diagnose ist die Aufklärung und Erklärung. Die Entscheidung über die weiteren Schritte muss der Patient selber treffen."

Walter Gerischer - Landrock, Ö1-Radiodoktor
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Das "Kleine Wörterbuch der Gentechnologie"
Gentechnologie wird wahrscheinlich nicht nur die Zukunft der Menschheit, sondern auch unseres Planeten mitbestimmen. Die Menschheit hat nunmehr die Mittel in der Hand, ihre Evolution selbst zu beeinflussen und zwar in einer Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit, die nur als schwindelerregend bezeichnet werden kann. Den wissenschaftlichen, geschichtlichen und weltanschaulichen Aspekten der Genetik haben sich die beiden Rundfunkjournalisten Barbara Urban und Christoph Leprich in ihrem "Kleinen Wörterbuch der Gentechnologie" gewidmet. Die Broschüre kann in den ORF-Shops bezogen werden, oder im Internet bestellt werden.
->   ORF-Shop
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Mehr zum Thema "Genetische Diagnostik" können Sie in der Sendung "Der Radiodoktor" am Montag, 10. Dezember, um 14.05 Uhr in Ö 1 erfahren.
->   Österreich 1
->   Verbbares Risiko
 
 
 
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01.01.2010