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Der Bauer als Veterinär
Gastkommentar von Franz Josef Jäger
 
  Das ursprünglich als Reaktion der Bundesregierung auf den Arzneimittelskandal gedachte "Tierarzneimittelkontrollgesetz", das nunmehr dem Nationalrat zur Beschlußfassung vorliegt, ist das extreme Beispiel eines Kniefalls vor der Landwirtschaft, über deren Druck es geradezu ins Gegenteil verkehrt wurde.  
Durch die dort vorgesehene vermehrte Einbindung der Tierhalter in die Behandlung, die vorgesehene Freigabe einer breiten Palette von Arzneimittel, ja sogar von Impfstoffen zur Direktanwendung durch Laien würde es zu einer Fülle von Problemen kommen:
Absehbare Konsequenzen
1) Die Tiere werden unnötig leiden, weil sie oft falsch behandelt werden und weil Landwirte durch Arzneimitteleinsatz versuchen werden, mangelhafte Haltungsbedingungen zu kaschieren.

2) Das Nichterkennen von Krankheiten und Seuchen, die durch Impfungen ja überlagert werden können, wird eine Verschleppung der Seuchen mit enormen wirtschaftlichen Schäden bewirken.

3) Dadurch und auch durch die Verunsicherung der Konsumenten, was den Fleischverbrauch weiter zurückgehen lassen wird, werden viele Landwirte in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet und müssen aufgeben.
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Gastkommentar
VR Dr. Franz Josef Jäger, der Autor dieses Gastkommentars, ist Präsident der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs.

science.orf.at lädt zu weiteren Stellungnahmen und Diskussionsbeiträgen über dieses Thema ein.
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Was sich ändert
Der Entwurf des Tierarzneimittelkontrollgesetzes sieht unter anderem eine Liste jener Tierarzneimittel vor, die vom Bauern selbst angewendet werden dürfen. Das hat zur Folge, daß die Bauern zum Tierarzt kommen und bestimmte Medikamente fordern werden; Untersuchung, Diagnose und richtige Behandlung werden überflüssig.
Folgen für die Humanmedizin
Fütterungsarzneimittel sollen für den Bedarf von vier Wochen im voraus abgegeben werden können. Es ist klar, daß unter diesen Umständen kein Tierarzt mehr die Verantwortung für das so erzeugte Produkt wird übernehmen können.

Es werden wohl kaum mehr Antibiogramme erstellt, um das richtige Arzneimittel herauszufinden, was zwangsläufig zu falschen Behandlungen führen muß. Dadurch werden nebenbei auch noch Resistenzen erzeugt, was auch gravierende Folgen für die Humanmedizin haben wird.
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Freígabe von Tierimpfungen
Zur Freigabe von Tierimpfungen ist überdies festzuhalten, dass der Gesetzgeber aus gutem Grund bisher Tierimpfungen dem Tierarzt vorbehalten hat. Tierimpfungen sind nun einmal Eingriffe in das immunologische Geschehen, außerdem sind Impfstoffe besonders sensible Produkte was Haltbarkeit, Lagerung und Anwendung betrifft.
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Bericht der EU
Die EU hat anläßlich einer Überprüfung in diesem Sommer auf Grund des Arzneimittelskandals in ihrem Bericht festgehalten, daß in Österreich unverzüglich Rechtsvorschriften erlassen werden müssen, die den Verbraucher wirksam vor dem illegalen Einsatz von Tierarzneimitteln bei lebensmittelliefernden Tieren schützen.

Der Entwurf des Tierarzneimittelkontrollgesetzes sieht demgegenüber keine Dokumentationsverpflichtung der Landwirte vor. Die Kontrollen waren schon bisher sehr lasch.
Lizenz zur Selbstmedikation?
Es ist zu befürchten, daß der auch in den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf erwähnte österreichische Tiergesundheitsdienst nur ein Mäntelchen für bestehende Mißstände sein wird und statt vernünftiger Programme vor allem im Rahmen der Prophylaxe, wie sie die ARGE-Schweinegesundheitsdienste der Tierärztekammer bereits vorgesehen hat, nur eine Lizenz zur Selbstmedikation darstellen wird.
Laufende Kontrollen
Dazu kommt, daß die derzeit in den Ländern eingerichteten Tiergesundheitsdienste den weisungsgebundenen Veterinärdiensten - oft noch unter der politischen Zuständigkeit des Agrarlandesrates - verantwortlich sind. Die Tierärztekammer verlangt laufende externe Kontrollen, wie sie beispielsweise im Sport beim Doping längst gang und gebe sind.
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Die gesetzlichen Bestimmungen wären höchstens geeignet, Großpraxen noch größer zu machen und sie zugleich zum Medikamentenlieferanten zu degradieren. Eine Beziehung zum tatsächlichen Geschehen im Stall und auf der Weide ist damit nicht mehr gegeben.
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Ausbreitung von Tierseuchen
Das zeigt deutlich das Beispiel England, wo die Tierärzte die landwirtschaftliche Tierhaltung nicht mehr betreuen und der Umgang mit Medikamenten sorglos geworden ist (Over the Counter - OTC Produkte). BSE und Maul- und Klauenseuche waren die Folge.
Die österreichische Situation
Die kleinräumige österreichische Landwirtschaft braucht weiterhin für die vielen ehrlich produzierenden Landwirte eine flächendeckende tierärztliche Betreuung.

Es ist sicher nicht möglich, von einigen wenigen großen Praxen aus die vielen, oft in entlegenen Tälern wirtschaftenden Bauern veterinärmedizinisch zu versorgen. Außerdem wären die Kosten für die Anfahrt viel zu hoch, so daß diese Bauern überhaupt auf den Tierarzt verzichten müssen.
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Das Tierarzneimittelkontrollgesetz ist auch in formaler Beziehung zu kritisieren: So ist beispielsweise nur der Besitz einer "großen Menge" verbotener Arzneimittel strafbar, ohne daß diese große Menge definiert wäre. Es ist damit sicherlich nicht gelungen, die Lücken nach dem Arzneimittelskandal zu schließen, ja es werden sogar neue Schlupflöcher aufgetan.
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"Good veterinary practice"
Kleine und Bio-Betriebe, die in der Landwirtschaft für ein positives Image herhalten müssen, arbeiten mit den Tierärzten nach den Grundsätzen der good veterinary practice zusammen, während Massentierhalter und industriealisiert arbeitende Landwirte zum schrankenlosen Medikamentenbezug und zur Selbstmedikation zu Lasten der Konsumenten drängen.
Forderung der Tierärztekammer
Die Tierärztekammer fordert eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzesentwurfes unter Beiziehung von Fachleuten, die auch selbst in der Praxis stehen. Notwendig wäre weiters eine Produkthaftung auf landwirtschaftliche Produkte.

Tiergesundheitsdienste mit Vorbeugungsprogrammen zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit und des Tierschutzes sind einzurichten, ihre Arbeit ist durch externe unabhängige Kontrollen zu überwachen.
Der jetzt vorliegende Gesetzesentwurf ist lediglich eine Mogelpackung, die geeignet ist, die Konsumenten zu täuschen und in Sicherheit zu wiegen.
->   Bundeskammer der Tierärzte Österreichs
->   science.orf.at: Umstrittenes Tierarzneimittelkontrollgesetz
 
 
 
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01.01.2010