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Placebos wirken im Gehirn - aber anders  
  Placebos, "Scheinmedikamente" ohne Wirksubstanz, können bei manchen Krankheiten ähnlich den "echten" Medikamenten zu einer Besserung des Gesundheitszustandes führen. Eine vergleichende Studie unter Depressiven hat nun gezeigt, dass sich die Wirkweise eines Placebos stark von derjenigen herkömmlicher Antidepressiva unterscheidet: Beide helfen den Patienten, rufen im Gehirn aber ganz unterschiedliche Reaktionen hervor.  
Ein Ansatz, der - so meinen die verantwortlichen Wissenschaftler - in Zukunft neue Wege in der Behandlung von schwer depressiven Menschen eröffnen könnte.
Eigenes Center untersucht Placebo-Effekt
Die Studie wurde von Experten der University of California in Los Angeles am dort eigens gegründeten Placebo-Forschungscenter durchgeführt. Sie erscheint in der Jänner-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "American Journal of Psychiatry".
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"Changes in Brain Function"
Die Studie ist erschienen unter dem Titel "Changes in Brain Function of Depressed Subjects During Treatment With Placebo" in der Ausgabe 159 des "American Journal of Psychiatry" vom Jänner 2002 (S. 122-129).
->   Abstract der Studie
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Patienten litten unter Depressionen
Die Studienautoren untersuchten Personen, die unter schwerer Depression leiden. Eine Krankheit, bei der bereits in früheren klinischen Studien die Wirksamkeit von Placebos untersucht und nachgewiesen wurde.

Wegen dieser Wirkung haben manche Ärzte bereits angenommen, dass rund 50 bis 70 Prozent der Wirksamkeit von "echten" Antidepressiva dem Placebo-Effekt zuzuschreiben sind.
Kontrollgruppe erhielt echte Antidepressiva
Für die Studie wurden 51 Patienten ausgewählt, denen über acht Wochen hinweg entweder ein Medikament gegen Depressionen (Prozac und Effexor) oder ein Placebo verabreicht wurde.

Die beiden "echten" Medikamente wirken, indem sie im Gehirn die Konzentration des chemischen Botenstoffs Serotonin erhöhen und somit die Stimmung positiv beeinflussen.
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Placebos und der Placebo-Effekt
Placebos sind so genannte "Scheinmedikamente", die keine einzige wirksame Substanz enthalten. Das Phänomen, dass sich bei Patienten trotzdem eine Verbesserung einstellen kann - sofern sie glauben, dass sie ein "echtes" Arzneimittel einnehmen - ist in der Medizin als Placebo-Effekt bekannt.

Im Durchschnitt verspüren zwischen 20 und 50 Prozent der Betroffenen nach der Behandlung mit Placebos eine Besserung ihres Gesundheitszustandes. Erklärt wird dieser Effekt meist mit einer Wechselwirkung zwischen Psyche bzw. Nervensystem und dem Immunsystem. Bei manchen Patienten treten sogar Nebenwirkungen auf. Im Grunde spielt der Placebo-Effekt auch bei der Behandlung mit "echten" Medikamenten eine Rolle.
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38 Prozent der "Placebo-Patienten" verspürten Besserung
Das Ergebnis: Nach Aussage der Studienautoren verspürten 52 Prozent der Patienten (13 von 25 Probanden), die mit einem Medikament behandelt wurden, eine Besserung. Immerhin 38 Prozent (10 von 26 Patienten) der mit einem Placebo behandelten Kontrollgruppe gab ebenfalls an, sich besser zu fühlen.
Auch im Gehirn tut sich was ...
Mit Hilfe des Elektroenzephalogramms (EEG) wurde zudem gemessen, was sich während dieser Zeit in den Gehirnen der Probanden tat.

Dabei wurden mit Hilfe von auf die Kopfhaut aufgesetzten Metallplättchen die Gehirnströme, also die elektrische Aktivität im Gehirn, als Aktivitätskurve aufgezeichnet.

Die Forscher konnten bei allen Patienten, deren Zustand sich besserte, deutliche Veränderungen im präfrontalen Kortex ausmachen. Diese Gehirnregion wird mit der Regulation der Stimmung in Verbindung gebracht.
Gegensätzliche Wirkweise?
Das Interessante an den EEG-Ergebnissen ist jedoch, dass sich jeweils der gegenteilige Effekt bei den beiden Gruppen feststellen ließ.

Diejenigen Patienten, denen es besser ging, nachdem sie Antidepressiva erhalten hatten, zeigten innerhalb von 48 Stunden deutlich niedrigere Aktivitäten im präfrontalen Kortex.

Dagegen wurde bei den mit Placebos behandelten Personen erst sehr viel später eine Änderung der Gehirnfunktion festgestellt: Nach zwei Wochen zeigten sich messbare Reaktionen, allerdings wurde hier die Aktivität im betreffenden Gehirnareal gesteigert.
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Volkskrankheit Depression
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte erst vergangenen März vor der "neuen" Volkskrankheit Depression. In Österreich leiden mittlerweile geschätzte 800.000 Menschen an depressiven Erkrankungen, besonders betroffen sind Frauen. Laut WHO werden Depressionen in den kommenden 20 Jahren zur Volkskrankheit - zur häufigsten Erkrankung nach Krebs und Herz-Kreislauf-Problemen werden.

Typische Symptome der Depression sind traurige Verstimmung, Hemmung von Denken und innerem Antrieb, Schlafstörungen, Angst, Selbstmordgedanken und körperliche Symptome. Die Behandlung erfolgt in aller Regel mit den so genannten Antidepressiva.
->   Mehr Informationen zu Depressionen
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Äußerlich keine Unterscheidung der beiden Gruppen
Von außen betrachtet jedoch konnte man die beiden Gruppen nach rund acht Wochen Behandlung praktisch nicht mehr unterscheiden - was den Gemütszustand anging.

Anders sah es allerdings aus, nachdem die Ärzte einem Teil ihrer Patienten gestanden, dass diese lediglich Placebos verabreicht bekommen hatten.
Rückfall bei bewusst werden des Placebo-Effektes
Tatsächlich erlitten die meisten von ihnen einen Rückfall. Innerhalb nur eines Monats wiesen sie erneut so viele Depressions-Symptome auf, dass sie schließlich Antidepressiva erhielten. Sobald also die Patienten realisiert hatten, dass sie nur Placebos einnahmen, setzte der Effekt aus.
Ziel: Genauere Behandlungsmethoden ...
Diese Ergebnisse zeigen laut den Experten, dass Placebos und Medikamente auf unterschiedliche Weise ihre Wirkung entfalten - was nun zumindest im Vergleich mit Antidepressiva nachgewiesen scheint.

In Zukunft könnten sich mit dieser Erkenntnis, sollte sie durch weitere Untersuchungen bestätigt werden, genauere und effektivere Behandlungsmethoden für schwer Depressive entwickeln lassen.
->   UCLA Placebo Research
->   American Journal of Psychiatry (kostenpflichtig)
 
 
 
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01.01.2010