News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Antike Torgötter: Vorläufer der heiligen drei Könige  
  Wenn in dieser Woche wieder in ganz Österreich die Sternsinger unterwegs sind, werden sie in der Verkleidung der Heiligen Drei Könige fleißig die Kreiden schwingen und manch Türstock mit den Buchstaben C M B verzieren. Dass dieser heute so christlich geübte Brauch uralte heidnische Wurzeln hat, erweist die Arbeit eines Wiener Archäologen, der sich speziell mit tür- und torschützenden Gottheiten der Antike beschäftigt.  
Grundbedürfnis Tor-Sicherung
Es entspricht offenbar einem menschlichen Grundbedürfnis des Menschen, die Eingänge in seine Behausungen magisch oder sakral abzusichern, sagt der Wiener Archäologe Michael Weißl.

Dabei stehen die Lettern "CMB" natürlich nicht für Caspar, Melchior und Balthasar , sondern für das lateinische "Christus mansionem benedicat", also "Christus segne dieses Haus".
Schriftliches Amulett mit orientalischen Vorläufern
"Da handelt es sich um ein schriftliches Amulett", sagt Weißl," und da findet man die besten Beispiele für mögliche Vorläufer weniger in Griechenland , aber im Orient, wo die Schriftkultur schon früher ausgeprägt war. Gerade die mesopotamischen Kulturen sind für ihre weit zurückreichenden magischen hochkomplizierten Praktiken bekannt, die wie eine Wissenschaft betrieben wurden. Die meisten Amulette dieser Art folgen der Grundform 'Komm herein, Sachwalter des Guten, geh hinaus, Sachwalter des Bösen!'"
Kreuze, keine Pluszeichen zwischen Buchstaben
Wobei in unserem Fall der Segenswunsch, und nicht so sehr der Abwehrzauber im Vordergrund steht. Die Kreuze zwischen den Buchstaben C, M und B sind keinesfalls Pluszeichen, sondern eben wahrhaftig Kreuze, sagt Michael Weißl :

"Eigentlich bilden nicht die Buchstaben, sondern die Kreuze das Amulett. In der frühen Neuzeit ist auch der Brauch überliefert, mit geweihter Kreide drei Kreuze auf den Türsturz zu schreiben."
Gewaltige Ladung Mystik
Bei aller schriftlichen Klarheit ist das ganze also mit einer gewaltigen Ladung Mystik erfüllt. In vorchristlicher Zeit bestand freilich eine breitere Auswahl an Schutzgöttern oder auch nur schützenden Prinzipien für die Türschwelle. Dementsprechend vielfältig waren auch die Darstellungen der Türhüter: Von der Wächterfigur bis zum drohend aufgerichteten Phallus reicht da die Palette.
Herausragendes Symbol: Der Phallus ...
Um sie zu deuten, musste der Archäologe Weißl tief in die Urgründe der Völkerkunde, der Psychologie bis hin zur Verhaltensforschung an Primaten eindringen. Ein bemerkenswertes Ergebnis: Von Japan über die griechisch-römische Antike bis ins neuzeitliche Europa ist eines der verbreitetsten abweisenden Torwächtersymbole der Phallus - auch noch in christlicher Zeit.

"Man weiß es kaum, und es wird auch sehr oft kaschiert, aber an romanischen und gotischen Kirchenfassaden findet man diese sehr verbreiteten Abwehrsymbole."
... zum Revierabstecken
Keine Rede also von freudiger Fruchbarkeitssymbolik - hier geht es ums Revierabstecken und den Schutz gegen feindliche Mächte oder den bösen Blick eines ungebetenen Besuchers.

Michael Weißl mit Belegen aus der griechisch-römischen Antike: "Vor allem für den Gott Priapos, der auch als Hüter des Gartens gilt, haben wir schriftliche Quellen, dass es ihm tatsächlich gelingt, Einbrecher mit seinem drohendes Phallus zu vertreiben, indem er ihnen die Vergewaltigung androht. In der Antike wusste man also noch um das Prinzip solcher phallischer Torwächter."
Heilige Drei Könige heute gemütlicher
Im Wissen um diese Symbolik antiker Torgötter und sagenhafter Türwächter erscheinen die Kreuze schreibenden Heiligen Drei Könige weitaus gemütlicher - von ihren aggressiven heidnischen Vorgängern haben sie sich sittsam entfernt.

Martin Haidinger, Ö1-Wissenschaft
->   Österreichisches Archäologieinstitut
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010