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Wie Computermodelle Lawinen berechenbar machen  
  Die Methoden zur Lawinenprognose und Lawinensimulation werden immer ausgefeilter, denn dem Menschen stehen immer bessere Computermodelle zur Verfügung. Führend bei deren Entwicklung ist das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) im schweizer Ort Davos.  
Hier werden modernste Computerprogramme entwickelt, die helfen, die Lawinengefahr abzuschätzen: Modelle, die die Gewalt einer Lawine simulieren oder die Verfrachtungen von Neuschnee berechnen, um nur zwei Beispiele zu nennen.
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Die Geschichte des SLF
Das erste Schneelabor am Weissfluhjoch oberhalb von Davos wurde bereits 1936 gebaut, die Forschung fand damals in einer Holzbaracke statt. 1942 schließlich gründete man das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung und baute auf zweieinhalb tausend Metern Höhe Büros und Labors. In den 60er Jahren siedelte ein Teil der Forscher ins Tal. Erst 1996 entstand das moderne Institutsgebäude. Heute sind darin 120 Mitarbeiter beschäftigt.
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Lawinen auslösen - zu Forschungszwecken
Spektakulär ist das Versuchsgelände des Instituts im Vallee de la Sionne im schweizer Kanton Wallis: Zu Forschungszwecken werden dort Lawinen ausgelöst.

Der Physiker Felix Tiefenbacher ist einer der Wissenschaftler, die dort forschen. Er erarbeitet Methoden, um Lawinen messbar zu machen. Allerhand Geräte müssen dabei den künstlich ausgelösten Lawinen standhalten.

Im Auslauf des Lawinenhanges steht ein Bunker: Hier sind Radargeräte angebracht, die die Geschwindigkeit der Lawine messen. Außerdem können sich die Forscher während eines Lawinenabgangs im Bunker einschließen.
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Lawinen-Typen
Je nach Form oder Länge der Lawinenbahn, der Feuchtigkeit des Schnees oder der Art der Bewegung werden verschiedene Lawinen unterschieden. Eine Fließlawine zum Beispiel bewegt sich fließend und am Boden Richtung Tal, eine Staublawine ist trocken und wirbelt Schnee auf.
->   Die verschiedenen Lawinen-Typen
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Mit bis zu 280 Stundenkilometern gen Tal
Im Versuchsgelände können Lawinen mit einer Anrissbreite von bis zu 800 Metern gemessen werden. Die Schneemassen können dabei 1.200 Höhenmeter tief stürzen und eine Geschwindigkeit von bis zu 280 Kilometer pro Stunde erreichen.

Doch auch im Testgelände kann eine Lawine nicht beliebig oft ausgelöst werden, genug Schnee ist die Voraussetzung. Wie etwa im Winter 1999, damals konnten gleich drei Lawinen künstlich losgetreten und gemessen werden. Insgesamt wurden bisher sechs große Lawinen künstlich ausgelöst, erklärt Tiefenbacher.
Erkenntnisse für den "Lawinen-Alltag"
Diese künstlich ausgelösten Lawinen im Versuchsgelände liefern Ergebnisse und Erkenntnisse, die im Alltag umgesetzt werden. Denn gewonnenen Forschungsdaten werden natürlich in die Simulationen von Lawinen einbezogen.

Solche Simulationsprogramme entwickelt etwa der Bauingenieur Marc Christen für das SLF. Er arbeitet am Programm Aval 1D: Es kann simulieren, wie weit eine Lawine ins Tal kommt, welche Geschwindigkeit sie erreicht, welchen Druck sie ausüben kann oder wie hoch sich der Schnee aufstaut.
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Lawinensichere Liftstützen und anderes
Anhand dieser Simulation können Liftstützen lawinensicher gebaut werden oder Gefahrenzonen bestimmt werden. An rund 50 Anwender in der Schweiz, Österreich, Deutschland, Italien, Kanada und Chile wurde Aval 1D seit seiner Markteinführung verkauft.
->   Am Bildschirm sieht die Simulation der Lawine so aus ...
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Simulation als "Hilfsmittel"
Auch wenn Marc Christen als Entwickler des Simulationsprogramms von seiner Zuverlässigkeit überzeugt ist, er bezeichnet es dennoch als ein "Hilfsmittel" für Entscheidungen, die der Mensch treffen muss.

Denn trotz Simulationen und aufwändigen Rechnungen sind Beobachtungen und langjährige Erfahrung der Experten für die Planung von Lawinenverbauungen oder die Einteilung von Gefahrenzonen unersetzlich.
->   Mehr zu Aval-1D
Lawinen-Datenbank für den Vergleich
Ein weiteres Computermodell wurde ebenfalls in Davos entwickelt: Der Atmosphärenphysiker Martin Gassner sucht dort anhand von Daten aus vergangenen Jahren nach der aktuellen Lawinengefahr.

Wetter, Schnee und Lawinenabgänge der vergangenen Jahre sind in dem Programm "NXD Lawinen" gespeichert. Der Anwender gibt die Daten des aktuellen Tages ein und das Programm sucht ähnliche Tage in der Vergangenheit heraus.
Die "nächsten Nachbartage" helfen
Martin Gassner nennt die ermittelten Tage die "nächsten Nachbartage". "Man erfährt", so Gassner, "ob an einem vergleichbaren Tag in der Vergangenheit Lawinen abgegangen sind oder ob an einem der jeweiligen Vortage Lawinen ausgelöst wurden."

"NXD Lawinen" bietet also eine Entscheidungshilfe, welche Sicherheitsvorkehrungen man treffen sollte: etwa, ob Lawinen an einem bestimmten Hang besser gesprengt werden oder ob eine Passstraße gesperrt werden sollte.
->   Mehr zu NXD
Ein Modell der Schneedecke
Ein weiteres Risiko stellt die sich ständig verändernde Schneedecke dar. Das Projekt "Snowpack" vom SLF liefert ein Modell der Schneedecke. Es simuliert, wie sich der Schnee mit der Zeit setzt, wohin Wasser transportiert wird oder ob sich Reif bildet.

Diese Veränderungen in der Schneedecke können über einen ganzen Winter verfolgt werden. Die ausgefeilte Simulation der Schneedecke, meint Ingo Meirold-Mautner, könne das mühsam handgegrabene Schneeprofil aber nicht ersetzen. Meirold-Mautner schreibt seine Dissertation in Davos.
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Automatische Mess-Stationen liefern Daten
Für die Modelle der Schneedecke werden Daten von rund 70 automatischen Mess-Stationen in der ganzen Schweiz herangezogen. Schnee- und Windstationen liefern Daten. Die Messungen werden stündlich aktualisiert. Um Schneeverfrachtungen an einem Hang abzuschätzen, werden die Daten der jeweiligen Windstation mit jenen der Schneestation verglichen.
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Lebenswichtig: Der Lawinenlagebericht
In den Wintermonaten erstellt der Lawinenwarndienst des Eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung mittlerweile jeden Tag Lawinenlageberichte für die gesamte Schweiz und für die einzelnen Regionen.

Die kurzen, kompakten Texte sind aus einer Flut an Informationen entstanden: Rund 80 Beobachter melden jeden Tag in der Früh Schnee- und Wetterdaten nach Davos, zweimal pro Monat werden zusätzlich Schneeprofile gegraben, Quellen sind weiters Wetterprognosen und die automatischen Mess-Stationen.
Die letzte Entscheidung bleibt beim Menschen
Lawinenprognosen können also durch Computermodelle und Simulationen unterstützt werden. Die letzte Entscheidung über Gefahrenstufen, Gefahrenzonen, Lawinenverbauungen, Sperren oder die individuelle Schitour trifft aber nach wie vor der Mensch.

Barbara Daser, Ö1-Wissenschaft

Mehr dazu hören Sie am Mittwoch den 9. Jänner um 19 Uhr in der Sendung "Dimensionen" auf Radio Österreich 1.
->   SLF
Mehr zum Thema Lawinensimulationen in science.orf.at:
->   Laser im Lawineneinsatz
->   Computersimulation für den Lawinenschutz
 
 
 
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01.01.2010