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Drittes Milzbrandtoxin entschlüsselt  
  Anlässlich der Biowaffen-Anschläge in den USA rückte der Milzbranderreger in den letzten Monaten zunehmend in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Nachdem Wissenschaftler Ende November 2001 die Entschlüsselung des Anthrax-Bakteriums bekannt gaben, lässt jetzt eine weitere Meldung aufhorchen: Auch das dritte von Milzbrandbakterien produzierte Gift wurde entschlüsselt. Da man jetzt Form und Funktion aller Milzbrandgifte kennt, verbessert sich die Chance auf die Entwicklung wirksamer Gegengifte und Medikamente.  
Dies berichten Chester L. Drum, Shui-Zhong Yan vom 'Ben-May Institute for Cancer Research' an der University of Chicago und Kollegen in der aktuellen Ausgabe von 'Nature'.
Artikel in 'Nature' (Structural basis for the activation of anthrax adenylyl cyclase exotoxin by calmodulin; kostenpflichtig)
->   Artikel in 'Nature'
Drei wirksame Gifte
Das erste Anthraxgift, genannt PA (Protective Antigen), geleitet die beiden anderen Gifte des Anthraxbakteriums in die menschliche oder tierische Zelle. Das zweite, lethaler Faktor (LF) genannte Gift, zerstört die weißen Blutkörperchen des befallenen Organismus.

Das dritte, jetzt entschlüsselte Gift, genannt EF(oedema factor), führt eine Art "molekulares Täuschungsmanöver" aus. Es täuscht die molekulare Maschinerie der Zelle in der Art, dass diese eine für die Zelle lebenswichtige Substanz, das cAMP(cyclisches AdeonsinMonoPhosphat), in riesigen Mengen produziert, die nicht abgebaut werden und so zum Tod der Zelle führen.
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zyklisches AMP (cAMP )
CAMP spielt in der Energiebilanz der Zelle eine wichtige Rolle. Es ist ein mittels Adenylatcyclase aus Adenosintriphosphat(ATP) gebildetes, andererseits durch eine Phosphodiesterase (PDE) zu azyklischem AMP(Adenosinmonophosphat) hydrolysierbares AMP, das als "second messenger" auch eine zentrale Stellung in der hormonalen Regulation und im Stoffwechsel einnimmt (Aktivierung von Proteinkinasen; Katabolismus der Kohlenhydrate und Fette, Synthese von DNS(Erbsubstanz), Harnstoff, Eiweiß, Glucose u. Fett). Aufgrund des hohen Stellenwertes von cAMP wird dessen Konzentration durch zelluläre Feedbacksysteme reguliert. Durch Calmodulin wird es wieder abgebaut.
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Anthraxgift verhindert cAMP-Abbau
"Das dritte, EF-genannte, Anthraxtoxin unterdückt ganz bestimmte wichtige Signale in der Zellkommunikation", erklärt Robert Luddington, Zellbiologe am Burnham Institute in La Jolla, Kalifornien. Der exzessive Überschuss an cAMP führt zum unweigerlichen Tod der Zelle.

Um diesen subtilen, aber tödlichen Vorgang durchzuführen, verändert EF eine Substanz namens Calmodulin, die für die Produktion und Zerlegung von cAMP verantwortlich ist, derartig, sodass dieses seine ursprüngliche Funktion nicht mehr ausführen kann. Die Folge: die cAMP-Konzentration steigen dramamtisch an, die Zelle stirbt.

 
Bild: Nature

Dastellung des dritten Anthrxtoxins EF (oedema factor).
Entdeckte Schwachstelle
Den Wissenschaftlern rund um Chester Drum gelang allerdings nicht nur die Entschlüsselung von Form und Funktion des dritten Anthraxtoxins. Sie konnten auch eine Schwachstelle in der Struktur des "Bösewichtes" entdecken.

Sie entdeckten eine tiefe Lücke in der Struktur des
EF-Toxins, die laut den Wissenschaftlern ein Schlüssel zu dessen Funktion darstellt. Diese Lücke könnte von einem spezifisch wirksamen Medikament als 'Andockstelle' benützt werden kann.

Dieses Wissen sollte, so die Wissenschaftler, zur schnellen Entwicklung wirksamer Arzenien genutzt werden. Obwohl man weiss, dass Milzbranderreger mittels Antibiotika bekämpft werden können, verbreiten sich derartige Infektionen oft in einer Geschwindigkeit, dass Infizierte eine tödliche Dosis jener drei Anthraxgifte abbekommen, bevor Antibiotika verabreicht werden können.
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Anthrax
... bakterielle Infektionskrankheit. Bacillus anthracis befällt v.a. Säugetiere und Menschen. Man kennt drei Formen: Ein bis drei Tage nach der Ansteckung entwickelt sich an der Eintrittstelle des Keimes eine Pustel, die unter Narbenbildung abheilt. Durch Einatmen des Erregers entsteht der Lungenmilzbrand, der wie eine Lungenentzündung verläuft. Beim Darmmilzbrand gelangt der Bazillus über die Nahrung in den Körper. Bei allen Formen kann sich die Infektion auf die Lymphbahnen ausbreiten und Fieber, Schwellung und eine brandige Verfärbung der Milz hervorrufen. Diese Milzbrandsepsis führt oft zum Tod. Behandlung mit Antibiotika ist nötig. Wegen der hohen Ansteckungsgefahr müssen die Erkrankten isoliert werden, die Krankheit ist meldepflichtig.
->   Mehr zu Milzbrand
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Gemeinsames Vorgehen der Toxine unterbinden
"Innerhalb von Monaten nach den ersten Anthrax-Anschlägen in den USA ist es gelungen, die Struktur aller drei Milzbrandtoxine entschlüsselt", erklärt der Mitarbeiter der Studie Wie-Jen Tang von der University of Chicago.

"Es ist ein vielversprechender Start", so Robert Liddington. Da aber die drei Anthrxtoxine konzertiert den Infizierten schädigen, genügt es nicht nur eines der Gifte auszuschalten.
Noch eine Hürde zu meistern
Auch Tang ist sich dieser noch zu meisternden Hürde bewusst: "Ich glaube nicht, dass es ausreichen wird, nur eines der drei Toxine auszuschalten".

Tang und sein Team arbeitet derzeit mit Medikamentenetwicklern zusammen, um eine Substanz zu kreieren, die gleichzeitg das zweite (LF) und das dritte, jetzt entschlüsselte EF-Toxin, "Schach matt setzt".

Für Liddington wäre es schließlich die beste Lösung einen Weg zu finden, die tödliche, gemeinsame "Arbeit" der drei Toxine so zu stören, dass diese unwirksam werden.
->   Mehr zu Anthrax in science.orf.at
->   'Nature'-Special zu Anthrax
->   Ben-May Institute for Cancer Research, University of Chicago
->   Committee on Neurobiology, University of Chicago
 
 
 
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01.01.2010