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Wie der Mensch den Stickstoffkreislauf beeinflusst  
  Die Umweltverschmutzung durch industrielle Abgase und den KfZ-Verkehr schädigt nicht nur die Biosphäre direkt, sondern stört auch die Stoffkreisläufe in Ökosystemen. Ein neue Studie sieht diese Problematik vor allem in den Wäldern der nördlichen Hemisphäre gegeben. Die Entdeckung, dass gesunde Wälder Stickstoff anders nutzten als kranke, sollte zu einem Überdenken des menschlichen Einflusses auf den ökolgisch wichtigen Stickstoffkreislauf zu führen, fordern jetzt Wissenschaftler.  
Über die neuen Ergebnisse berichten Steven Perakis und Lars Hedin, Ökologen an der Cornell University, New York, in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Nature".
Artikel in "Nature" (Nitrogen loss from unpolluted South American forests mainly via dissolved organic compounds)
->   Originalartikel (kostenpflichtig)
Detalliertes Verständnis wichtig
In den letzten zwei Jahrhunderten hat der Mensch durch eine intensive Industrialisierung große Mengen an Stickstoff in die Ökosysteme der Welt eingebracht, in erster Linie in der nördlichen Hemisphäre des Planeten.

Um die Auswirkungen der Effekte dieses Eintrags zu verstehen, benötigen Wissenschaftler detallierteres Wissen darüber, wie die Stickstoffkreisläufe in gesunden, möglichst ursprünglichen Wäldern funktionieren.
Ursprüngliche Bedingungen: Chile und Argentinien
Aus diesem Grund haben die Cornell-Wissenschaftler den Globus nach Waldökosystemen abgesucht, die jenen ursprünglichen Bedingungen nahe kommen.

Fündig wurden die Ökologen an insgesamt 100 Wasserläufen in Chile und Argentinien - weit weg von aktiven Industrien.
Starke Verschmutzung in Europa
Bei der Untersuchung dieser durch Wälder fließenden Wasserläufe fanden sie heraus, dass über drei Viertel der darin vorkommenden Stickstoffverbindungen organischen, also natürlichen Ursprungs sind.

Stickstoff aus industriellen oder KfZ-Quellen liegt dagegen meist in anorganischer Form vor, ist also an Sauerstoff, Wasserstoff oder Metalle gebunden, häufig in Form von Nitraten.

In walddurchfließenden Wasserläufen Europas und Nordamerikas dagegen waren über 70 Prozent der Stickstoff-Verbindungen anorganischen, also industriellen Ursprunges, oft in Form giftiger Nitrate. In den Flüssen Südamerikas fanden sich dagegen nur fünf Prozent anorganischer Nitrate.
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Nitrate
Nitrate sind die Salze der stickstoffhältigen Salpetersäure (HNO3) mit der allgemeinen Formel MeNO3. Nitrate kommen u.a. in Düngemitteln, grünen Pflanzen, im Boden und Trinkwasser und in Lebensmitteln vor. Nitrate können durch Mikroorganismen umgewandelt werden.

Die so genannte Dentrifikation ist die durch bestimmte Bakterien in Abwesenheit von Sauerstoff hervorgerufene (meist unerwünschte) Umwandlung von Nitraten und Nitriten (z.B. Kunstdünger) in Stickoxide bzw. Stickstoff. In der Abwasserreinigung und Trinkwasseraufbereitung ist die Denitrifikation erwünscht, da die gelösten Stickstoffverbindungen in gasförmige Verbindungen umgewandelt werden und so aus dem Wasser entweichen.
->   Mehr zu Nitraten
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Ergebnisse zum Nachdenken
"Der Einfluss des Menschen auf den Stickstoffkreislauf ist offensichtlich größer als bisher gedacht", deutet Perakis die Ergebnisse der vorliegenden Studie.

Und für Knute Nadelhoffer vom Marine Biological Laboratory in Woods Hole, Massachusetts "verändert es die Art und Weise, was wir bisher über Stickstoffkreisläufe in unberührten Ökosysteme zu wissen glaubten".

Für Bridget Emmett, die sich mit Stickstoff-Verschmutzung am Centre for Ecology and Hydrology in Bangor, Wales beschäftigt, sind die Ergebnisse "eine gute Erinnerung daran, in welchem Ausmaß Verschmutzung die nördlichen Ökosysteme verändert hat".

"Ob allerdings die Basalwerte der Stickstoffkonzentration, wie sie in Chile und Argentinien zu finden sind, auch in der Nordhemisphäre ohne Verschmutzung vorliegen würden, bleibt noch zu diskutieren", so die Ökologin.
Mehr als doppelt soviel Stickstoff
In den letzten zwei Jahrhunderten haben Stickstoffdünger und Stickoxide aus fosslien Brennstoffen nach Berechnungen den in der Biosphäre vorhandenen Stickstoff mehr als verdoppelt.

Trotzdem werden in der Landwirtschaft nach wie vor große Mengen stickstoffhaltiger Kunstdünger verwendet, vor allem in den Entwicklungsländern.
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Stickstoff
Stickstoff ist ein farb- und geruchloses Gas; atomarer Stickstoff ist sehr reaktionsfreudig, Distickstoff (N2) dagegen ein stabiles Molekül. N2 bildet mit 78,08 Volumen-Prozent den Hauptbestandteil der Luft. Gebunden mit anderen Atomen findet sich Stickstoff in Nitraten, Ammoniak, tierischen und pflanzlichen Proteinen und Nukleinsäuren.

Zwischen der obersten Erdschicht und der Atmosphäre findet ein Stickstoffkreislauf statt. Obwohl N2 in der Luft in großen Mengen vorhanden ist, können die Pflanzen ihn nicht unmittelbar aufnehmen. Symbiotische Bakterien sind dagegen in der Lage, den Luftstickstoff zu binden. Pflanzen können den Stickstoff in Form von Nitrat- oder Ammonium-Ionen aufnehmen. Durch den Proteinabbau gelangt Ammonium wieder in den Boden.
->   Mehr zum Stickstoffkreislauf
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Stickstoffliebende Arten verdrängen andere
Pflanzen und stickstoffbindende Bakterien haben zwar einen Teil des durch KfZ-Verkehr und Landwirtschaft freigesetzten Stickstoffes absorbiert, doch wird nach wie vor der größte Anteil des Stickstoffes in Flüsse, Seen und Meere gespühlt.

In vielen Wasserökosystemen, wie dem Golf von Mexico zum Beispiel, hat der hohe Stickstoffeintrag die dort lebende Flora und Fauna teilweise fundamental verändert.

Die zusätzlichen Stickstoffgaben haben zu einem starken Zuwachs stickstoffliebender Arten geführt (z.B. Algen), die dadurch viele nicht so stickstofftolerante Organismen verdrängt haben.
Stickstoff-Emissionen neu überdenken
In Anbetracht der neuen Ergebnisse müsse über den Stellenwert von Stickstoff-Emissionen in derselben Weise nachgedacht werden, wie man das bei den ökologischen Auswirkungen von schwefelhältigen Verbindungen oder sauerm Regen mache, so Nadelhoffer.

Die bislang vorliegenden Erklärungsmodelle zum Stickstoffkreislauf konzentrieren sich in erster Linie auf die Bedeutung von Nitraten. Die neuen Ergebnisse sollten, so die Wissenschaftler, ein Überdenken jenes Modells einleiten. "Es scheint, dass unsere bisherigen Modelle fehlerhaft sind", resümiert Perakis.
->   Department of Ecology and Evolutionary Biology, Cornell University
->   US Geological Survey, Forest and Rangeland Ecosystem Science Center
->   Department of Ecology and Evolutionary Biology, Princeton University
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->   Ausbalanciertes Meeresleben
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01.01.2010