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Das Gehirn arbeitet statistisch  
  Der Mensch nutzt alle seine Sinne, um Objekte wahrzunehmen. All diese Sinnesimpressionen integriert unser Gehirn zu komplexen Wahrnehmungen. Welche der Sinnesdaten dafür entscheidend sind, hängt davon ab, ob wir das Objekt visuell, haptisch oder anders wahrnehmen möchten. Je nach Fragestellung gewichten wir diese Eindrücke. Forscher haben jetzt entdeckt, dass das Gehirn dabei nach statistischen Aspekten vorgeht.  
Marc Ernst vom Tübinger 'Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik' und Martin Banks von der 'University of California' in Berkeley beschreiben in der aktuellen Ausgabe von 'Nature', wie unser Gehirn bei der Verrechnung von visuellen und haptischen Sinneseindrücken nach statistisch Maßstäben vorgeht.
Artikel in 'Nature' (Humans integrate visual and haptic information in a statistically optimal fashion; kostenpflichtig)
->   Artikel in 'Nature'
'Verrauschte' Signale
So wie physikalische Messgeräte immer eine kleine Fehlertoleranz haben, sind auch unsere Sinnesorgane nicht perfekt: Alle dem Gehirn gemeldeten Eindrücke sind auf ihre Art mehr oder weniger "verrauscht" (unscharf).

Bei der Wahrnehmung sollte das Gehirn jedoch alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen möglichst optimal nutzen. Dass unsere Hände z.B. auch als "Sehhilfen" dienen können, manuelles Abtasten die visuelle Wahrnehmung also gezielt und nachhaltig beeinflusst, hatten Neurowissenschaftler bereits in früheren Experimenten herausgefunden.
Statistik liefert optimale Signal-Kombination
Je verrauschter(gestörter) und damit unsicherer die Sinnesdaten z.B. beim Tasten sind, desto weniger Gewicht sollten diese im Wettbewerb mit den anderen Informationsquellen (beispielsweise dem Sehen) bekommen.

Mathematisch betrachtet würde ein statistisches Modell, die so genannte Maximum-Likelihood-Schätzmethode, die optimale Kombination liefern, mit der die unterschiedlich verlässlichen Signale zu verrechnen sind, damit das Gesamtrauschen minimiert wird. Nur auf diese Weise könnten alle zur Verfügung stehenden Sinnesinformationen über ein Objekt so sinnvoll wie möglich ausgeschöpft werden.
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Maximum-Likelihood-Schätzmethode
Statistisches Schätzverfahren. Gegeben sind Daten einer Stichprobe und Annahmen über die Verteilung der relevanten Variablen. Geprüft wird, bei welchem(n) Parameter(n) in der Grundgesamtheit die gegebenen Daten am wahrscheinlichsten sind. Der betreffende Wert gilt dann als bester Schätzer für den oder die Parameter. Es muß also das Maximum einer Funktion gefunden werden, die sich auf diese Wahrscheinlichkeiten bezieht, daher der Name Maximum Likelihood. Die betreffende Funktion heißt Likelihood-Funktion. Sie gibt an, welche(r) geschätzte(n) Parameter bei gegebenen Daten die größte Wahrscheinlichkeit aufweist, dem wahren Parameter in der Grundgesamtheit zu entsprechen.
->   Mehr zur Maximum-Likelihood-Schätzmethode
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Gehirn arbeitet mathematisch
Die Wissenschaftler haben nun mit folgendem Experiment gezeigt, dass unser Gehirn bei der Wahrnehmung tatsächlich genau so vorgeht wie es ein Mathematiker tun würde: Die Versuchspersonen hatten die Aufgabe, die Größe zweier balkenförmiger Objekte zu vergleichen. Diese Balken konnten sie sowohl sehen als auch betasten.

Aus den Fehlern, die die Versuchspersonen beim Vergleichen machen, können die Forscher schließen, wie verlässlich die sensorischen Signale der verschiedenen Sinne im Gehirn verarbeitet werden.
Visuell oder tastend?
Mithilfe eines Versuchsaufbaus, bei dem die Testobjekte virtuell am Computer erzeugt wurden, war es den Forschern möglich, das visuell wahrnehmbare und das zu ertastende Objekt unabhängig voneinander zu manipulieren.

Sie erzeugten damit einen Unterschied zwischen den beiden Objekten und untersuchten dann, ob sich die Versuchspersonen mehr an dem visuellen oder mehr an dem ertasteten Eindruck orientierten.
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Aufbau und Funktion von Sinnesorganen
...zur Information über äußere und innere Zustandsänderungen dienendes Organ. Die auf Außenreize ansprechenden Sinnesorgane sind die Exterozeptoren (Auge, Ohr, Geruchsorgan u. a.). Veränderungen im Organismus reizen die Interozeptoren, die des Eingeweides die Viscerozeptoren, solche in Muskeln und Sehnen die Propriozeptoren. Die Sinnesorgane werden je nach Art der Reize, für die sie empfänglich sind, unterschieden in: Lichtsinnesorgane (z. B. Augen; für optische Reize); Tastsinnesorgane (für mechanische Reize); Geruchs- und Geschmackssinnesorgane (für chemische Reize); Temperatursinnesorgane (für wärmeabhängige Reize) und Gehörsinnesorgane (z. B. Ohren; für akustische Reize).
->   Mehr zu Wahrnehmung
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Gewichtung der Signale
Auf diese Weise ermittelten die Wissenschaftler die Gewichtung der Signale untereinander und stellten fest, dass das Verhalten der Versuchpersonen exakt mit den Vorhersagen des statistischen Modells übereinstimmte.

War die Größe des Objekts klar und deutlich zu sehen, dominierte der visuelle Eindruck; wurde das Bild jedoch "vernebelt", indem die Experimentatoren das Zufallspunktemuster, das den Balken im Computer definierte, dreidimensional verrauschten, dominierte die ertastete Größe - und zwar genau in dem Maß, wie vom statistischen Modell vorausgesagt.

Weitere Forschungen am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik sollen nun aufdecken, wie das menschliche Gehirn diese statistisch optimale Leistung tatsächlich vollbringen und auf welche Weise dieses Zusammenspiel von Sehen und Fühlen im Gehirn neuronal repräsentiert wird.
->   Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik
 
 
 
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01.01.2010