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ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima 
 
Widersprüchliche Antarktis?  
  Klimasysteme sind eine komplexe Angelegenheit. Jüngstes Beispiel sind die widersprüchlichen Meldungen aus der Antarktis: Zwei Anfang Jänner 2002 publizierte Studien konstatierten ein Absinken der Temperatur bzw. ein Anwachsen der antarktischen Eisschicht. Im "Science" vom 25. Jänner wurde jedoch eine Untersuchung veröffentlicht, der zufolge die Seen auf einer antarktischen Insel sich innerhalb der vergangenen 20 Jahre um rund ein Grad Celsius erwärmt haben.  
Wächst das Eis, oder schmilzt es?
Bild: Photodisc
Eisfläche in der Antarktis
Hieß es lange Zeit immer wieder, die Eisschichten und Gletscher der Antarktis würden schmelzen und der Meeresspiegel ansteigen - mit weitreichenden Folgen für die ganze Welt, so sorgte nun eine US-Studie für Aufregung: Geologen hatten in den Trockentälern des "sechsten Kontinentes" sinkende Temperaturen festgestellt.

Eine weitere Publikation im Fachmagazin "Science" referierte Ähnliches: Die Eismassen der westlichen Antarktis bzw. des Ross Eisstromes nehmen demzufolge zu, nicht ab.
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Mehr dazu in science.orf.at:
Einer der größten Antarktisgletscher schmilzt (02.02.2001)
Geologen warnen vor Eisschmelze in der Antarktis (11.12.2001)
Studie: Antarktis wird trotz Klimaerwärmung kälter (14.01.2002)
Warmes Meer beschleunigt Gletscherschmelze (13.06.2002)
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Höchsttemperaturen und wärmere Seen
Dem entgegen wurden nur wenige Tage später Höchsttemperaturen vom US-Antarktis-Stützpunkt McMurdo gemeldet. Zudem beschrieb eine Langzeitstudie, die im Fachmagazin "Science" vom 25. Jänner 2002 veröffentlicht wurde, die Auswirkungen des Temperaturanstieges auf Seen der antarktischen Halbinsel.
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Extreme Responses to Climate Change in Antarctic Lakes
Die Wissenschaftler vom British Antarctic Survey haben seit 1980 die Seen auf der Antarktis-Insel Signy untersucht. Das Ergebnis ihrer Studien: Die Gewässer haben sich zwischen 1980 und 1995 um bis zu 1,3 Grad Celsius erwärmt. Eine der Folgen ist die starke Vermehrung von Algen in den Seen. Der Artikel "Extreme Responses to Climate Change in Antarctic Lakes" wurde veröffentlicht im US-Fachmagazin "Science" vom 25. Jänner (Bd. 295, Nr. 5555, S. 645).
->   Originalartikel (kostenpflichtig)
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Das komplexe Klimasystem der Erde
Doch was auf den ersten Blick recht widersprüchlich erscheint, ist in Wirklichkeit Teil des komplexen Klimasystems der Erde. Im Gegensatz zum Wetter geht es bei Klimastudien darum, meteorologische Verhältnisse über sehr viel längere Zeiträume zu beschreiben.
Unterschiedlichste Faktoren als Bestandteil
Bild: Photodisc
Kaiserpinguine in der Antarktis
Das allerdings ist kompliziert, da unterschiedlichste Faktoren Bestandteil des Klimasystems sind. "Dazu gehören bespielsweise die Sonne, die Atmosphäre, die Meere, das Land mit seiner Vegetation und auch das Eis", erklärt Christian Haas, Glaziologe am renommierten Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, im Interview mit science.or.at.

So treibe die Sonne die Bewegung im Ozean und in der Atmosphäre an, indem sie die äquatorialen Gebiete stärker aufwärme als die Polargebiete. Die Wärme werde dann vom Wasser und der Luft transportiert und in den Polargebieten wieder in den Weltraum abgegeben, beschreibt Haas einen dieser Prozesse.
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Klimaforschung am Alfred-Wegener-Institut
Die Forscher am Alfred-Wegener-Institut befassen sich insbesondere mit den Klimasystemen der Polarregionen, die sie mit Hilfe von Feldstudien, Satelliten-Fernerkundungsprojekten und Modellsimulationen untersuchen.

Man ist z.B. intensiv an der CryoSat-Satellitenmission beteiligt, die Aufschluss über das Wachsen oder Schmelzen der Eismassen auf der Erde geben soll. Der Satellit wird im April 2004 gestartet und trägt ein spezielles Radaraltimeter zur Bestimmung der Dicke von Meereis sowie der Oberflächenhöhen von Landeis in der Arktis und Antarktis. Damit sollen mögliche Auswirkungen von Klimaschwankungen auf die Eismassen der Erde beobachtet werden.
->   Die CryoSat-Satellitenmission
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Klimamodelle: Berechnung physikalischer Zusammenhänge
"Klimamodelle beschreiben diese Prozesse, indem sie die grundlegenden physikalischen Zusammenhänge berechnen, die für die Energieflüsse - z.B. den Wärmestrom vom Äquator zu den Polen - verantwortlich sind", erläutert der Experte weiter.

Wesentlich dabei ist allerdings, dass viele Prozesse rückgekoppelt sind, "d.h. dass sich die Veränderungen in einer Komponente auf eine andere auswirken, die wiederum die erste Komponente beeinflusst", so Haas.
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Beispiel Eis-Albedo-Wechselwirkung
Bestes Beispiel sei die so genannte Eis-Albedo-Wechselwirkung (Ice-Albedo-Feedback), wie Glaziologe Haas meint: "Eis und Schnee sind viel heller als das darunter liegende Land oder Wasser, und reflektiert deshalb wesentlich mehr Sonnenstrahlung zurück als Land oder Wasser. Man sagt: Eis hat eine höhere Albedo als Land oder Wasser. Wird es wärmer, schmilzt mehr Eis und mehr Land oder Wasser tritt zu Tage. Dieses wärmt sich stärker auf als das Eis, weil es eine geringere Albedo besitzt, also mehr Strahlung absorbiert. Dadurch wird es noch wärmer, so dass noch mehr Eis schmilzt."
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Unterschiedliche Modelle - unterschiedliche Ergebnisse
Doch für viele dieser Zusammenhänge gibt es bisher nach Aussage des Glaziologen nur grobe Parameter. Manche Prozesse und Wechselwirkungen - beispielsweise das Fließen bzw. die Drift des polaren Eises - sind zudem in den einzelnen Klimamodellen sehr unterschiedlich eingebaut.

So sind die unterschiedlichen Vorhersagen der Klimaforscher für Haas erklärbar: "Verschiedene Klimamodelle kommen zu verschiedenen Ergebnissen, was schon die Schwierigkeit einer Vorhersage verdeutlicht."
Isoliertes Klimasystem Antarktis
Die unterschiedlichen Meldungen zur Temperatur bzw. der Eismasse in der Antarktis hält der Glasziologe jedenfalls nicht unbedingt für widersprüchlich.

Zum einen sei das antarktische Klima durch den so geannten zirkumatlantischen Strom, eine Ozeanströmung rund um die Antarktis, vom globalen Klima weitgehend isoliert, wie Haas erklärt.

Selbst wenn es in der Antarktis also kühler wird, spricht dies nicht gegen den fast einheitlich von Klima-Experten konstatierten und prognostizierten globalen Anstieg der Temperaturen.
Klimaveränderungen abhängig von vielen Faktoren
Außerdem sind Beobachtungen und Folgen von Klimaveränderungen nicht nur breitenabhängig, sondern eben auch von vielen anderen Faktoren, wie Haas erläutert.

In der Antarktis etwa unterscheiden sich die klimatischen Bedingungen auf dem Festland und der vorgelagerten Halbinsel. Das bestätigt auch ein Forscher des British Antarctic Survey, das die Studie zur Erwärmung der Seen durchgeführt hat.
Regionale Variationen
Die Ergebnisse des Forscherteams und die anscheinend widersprüchlichen Resultate der Studie über das Absinken der Temperatur in den antarktischen Trockentälern zeigten, dass regionale Variationen innerhalb des globalen Phänomens der Klimaerwärmung existieren, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters den Wissenschaftler.

Dieser weist auch darauf hin, dass die Trockentäler und die betreffende Insel rund 6.500 Kilometer voneinander entfernt sind.
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Meereisbedeckung in Arktis und Antarktis
Auch der Glaziologe Haas hält im Übrigen eine Abkühlung der zentralen Antarktis durchaus für möglich und weist auf Satellitendaten hin, die tatsächlich eine Zunahme der antarktischen Meereisbedeckung von 1,7 Prozent pro Dekade in den vergangenen 30 Jahren festgestellt haben.

Demgegenüber steht die Beobachtung einer Erwärmung in der Arktis, also am Nordpool. Dort wurde im gleichen Zeitraum mit Satelliten eine Abnahme der Meereisbedeckung von drei Prozent pro Dekade beobachtet, wie Haas erzählt.
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Keine eindeutigen Aussagen ...
Eindeutige Aussagen zum Klimatrend der Antarktis sind also schwer zu treffen. Und auch die Frage nach der globalen Klimaerwärmung bzw. nach ihren Ursachen lässt sich nicht so einfach beantworten.
WMO: Globale Erwärmung wird anhalten
Vor kurzem präsentierte im Übrigen die World Meteorological Organisation (WMO) in Genf ihren - vorläufigen - Bericht zum Weltklima 2001. Die Prognose der WMO: Der Trend zu höheren Durchschnittstemperaturen des Weltklimas scheine anzuhalten, man erwarte in den kommenden Jahren einen weiteren Anstieg.
->   Mehr dazu in science.orf.at
Ist der Mensch dafür verantwortlich?
Das internationale UN-Gremium zur Klimaveränderung (IPCC) ist nur eine der vielen Stimmen, die den steigenden Ausstoß an Treibhausgasen wie Kohlendioxid - und damit den Menschen - zumindest teilweise für die zunehmende Erderwärmung verantwortlich machen.

"Die meisten Beobachtungen lassen keinen Zweifel an einer globalen Erwärmung", erklärt dazu Christian Haas. Noch sei es jedoch unklar, ob es sich um natürliche Variabilität oder um antropogene, also vom Menschen verursachte Ursachen handle, so der Experte gegenüber science.orf.at.
"Klima war immer sehr variabel"
"Wie wir aus Klimadaten der Vergangenheit (z.B. Eiskerne, Baumringe, Sedimente) wissen, ist das Klima immer sehr variabel gewesen", erklärt Haas. Man benötige sehr lange Zeitreihen, Haas spricht von 50 bis 100 Jahren, um überhaupt verlässliche Trends ableiten zu können.

"Dann erst kommt die Frage auf, ob diese Trends eine menschliche (antropogene) oder natürliche Ursache haben, weil es eben Klimaveränderungen auch schon lange vor dem Menschen gegeben hat", meint der Glaziologe.

Noch sind sich die Experten also uneinig über viele Fragen zum Thema Weltklima und Klimasysteme, eine baldige und eindeutige Klärung ist nicht in Sicht.
Diskussion auf sachlicher Basis statt "Panikmache"
"Panikmache" wollen die Forscher vom Alfred-Wegener-Institut jedenfalls nicht betreiben. Haas sieht den Sinn und Zweck der Klimaforschung darin, die Diskussion auf eine sachliche Basis zu stellen und Panik gerade zu vermeiden.

Sabine Aßmann, science.orf.at
->   Alfred-Wegener-Institut
->   British Antarctic Survey
->   World Meteorological Organisation (WMO)
->   Intergovernmental Panel on Climate Change
Mehr zum Thema Klima in science.orf.at:
->   Klimagipfel Marrakesch: Einigung durch Zugeständnisse
->   Zukunft der Erde: Eiszeit statt Treibhaus?
 
 
 
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01.01.2010