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E-University: Freiheit ohne Grenzen?  
  Der Einsatz neuer Medien stellt Universitäten vor neue Herausforderungen. Sie sollen offener und flexibler werden. E-University heißt dagegen, so meinen ihre Befürworter, sich vom Overkill an Fächern, Inhalten, Zahlen und Erwartungen zu befreien.  
E-Universität contra "Numerus Clausus"
Ein Trend an den Universitäten Österreichs sind Zugangsbeschränkungen. Ob Numerus Clausus, Studiengebühren oder die Forderung nach Elite-Unis. Solche Strategien sind Ergebnis überfrachteter Erwartungen an Universitäten und ihre Strukturen.

Die E-University dagegen räumt auf mit institutionalisierten Wissenshierarchien. Dahinter steckt Gleichberechtigung, Kooperation und lebenslanges Lernen, Öffnung und Flexibilität. Ein mögliches Kontrastprogramm zu bisherigen Lehr- und Lernmethoden.

An manchen Universitäten werden bereits Vorlesungen über das Internet übertragen - life oder zeitversetzt.
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Beispiel "Brainmodelling"
Werner Gruber von der Universität Wien etwa wickelt sein Seminar zum Thema "Brainmodelling", das ist die mathematische Erfassung von neuronalen Prozessen, ein Computermodell für das Gehirn, über das Internet ab. Der Vortrag wird live via Webcam übertragen. Wenn auch die Bildqualität noch nicht perfekt ist, so nützen doch die meisten Studierenden dieses Angebot. Der Seminarraum bleibt fast leer. Ergänzend zum Vortrag bietet Gruber die Literaturhinweise und Grafiken. Platz finden auch die Diskussionsbeiträge der Studenten.
->   Seminar "Brainmodelling" im Web
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Unabhängig von Zeit und Raum
Interaktive, interkulturelle Teleteaching-Seminare in Kooperation mit verschiedenen internationalen Universitäten sind für manche Studenten bereits an der Tagesordnung. Kommuniziert wird über digitale Treffpunkte. Mit der Webcam im Seminarraum ist man schon dabei. Den weiteren Kontakt checkt man über Email.

Universitätslehrende moderieren die Veranstaltungen und bereiten sie entsprechend elektronisch auf. Das heißt Inhalte, Datenmaterial, Bibliographien liegen auf Servern bereit und unterstützen die Studierenden.

Kein zeitraubendes Zusammensuchen von Material, keine unvollständigen Vorlesungsskripte mehr, sondern professionelle und serviceorientierte Bereitstellung von Arbeitsmaterial. Alle Beteiligten sind unabhängig von Raum und Zeit.
E-University: Organisierte Kommunikation
Mit der Praxis des E-Learnings wird gleichzeitig eine Schlüsselfunktion für spätere Berufe mitgeübt: Die so genannte "organisierte Kommunikation".

"Virtuelle Lehrveranstaltungen setzen neue Standards in der Zusammenarbeit von Studenten und fordern ein höheres Organisationsniveau von Arbeit", erklärt dazu Hans-Jürgen Bucher vom Institut für Medienwissenschaft in Trier.

"Arbeit ist ohne perfekt organisierte Kommunikation nicht mehr effizient und zielführend. Das war bisher kein Thema auf der Universität", so der Experte weiter.
->   Institut für Medienwissenschaft der Universität Trier
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Erstes digitales Lehrbuch
Am selben Institut in Trier entsteht gerade ein digitales multimediales Lehrbuch in Kooperation mit den Universitäten in Ilmenau und Zürich. "Das Konzept umfasst Lehrinhalte wie in einem herkömmlichen Lehrbuch, aber auch interaktive Teile, Chatrooms und Teleteaching-Formen. Bestimmte inhaltliche Module werden fächerübergreifend geplant. Ein hervorragendes digitales und multimediales Lehrbuch für das Selbststudium", so der Leiter des Projekts Hans-Jürgen Bucher. "Damit entwickelt sich, neben den traditionellen Lehrbüchern, ein neuer Markt für Lehrmaterialien."
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Disziplin, Eigenständigkeit, Selbstorganisation ...
Der Einsatz neuer Medien verlangt von Studierenden und Lehrenden hohen Einsatz. Disziplin und Eigenständigkeit sind gefragt. Das Maß an Selbstorganisation und Selbstverantwortung ist ungleich höher als im autoritär geleiteten Bildungsbetrieb.

Dafür gibt es kreativ gestaltete Abschlussarbeiten von Studenten auf CD gebrannt. Auch digitale Habilitationen werden in Zukunft selbstverständlich sein. Und vielleicht wird es das alles dann auch für Nicht-Akademiker im Netz geben.
Neue Wege für Kunsthistoriker
Renate Vergeiner, Assistentin am Institut für Kunstgeschichte der Wiener Universität für Angewandte Kunst gehört zu jenen kreativen Einzelkämpferinnen, die neue Medien in Eigeninitiative zum Einsatz bringen.

Information und Kommunikation zu ihren Vorlesungen und Seminaren läuft über den Universitäts-Server und E-mail.

Sie reicht soeben die erste digitale Habilitation in Österreich ein. Thema: "Der heilige Wald von Bomarzo - Das Paradies auf Erden". Eine Arbeit, die auf Bild- und Textebene durch die ungeheure Informationsflut zu neuen ikonografischen und historischen Einsichten führt.
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Internet als Fundus für Kunsthistoriker
"Das Internet ist ein Fundus für Kunsthistoriker. Die großen und wichtigen Museen digitalisieren ihre Sammlungen und wir profitieren davon. Damit ändert sich auch der wissenschaftliche Zugang. Das freie Spiel der Assoziationen ist möglich. Man kann Kunstwerke im direkten Vergleich gegenüberstellen. Das gibt völlig neue Einsichten", erklärt Vergeiner.
Homepage Renate Vergeiner
Linksammlung zur Kunstgeschichte
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Virtuelles Training für Publizisten
Thomas Bauer vom Institut für Publizistik an der Universität Wien bereitet ein virtuelles Seminar für das kommende Sommersemester vor. Nicht er wird den Stoff strukturieren und Vorgaben zu Methode und Ziel machen, sondern die Studierenden selbst.

"Wichtig ist, dass sich die Studenten positionieren. Ihre Fragestellungen geben die Richtung und das Ergebnis des Seminars an. Über Internet und bereitgestellten Server sind sie in der Lage sich entsprechendes Wissen anzueignen", meint Bauer.

"Gearbeitet wird nach journalistischem Modell. Recherchieren, Wissen verteilen, kommunizieren, bewerten. Das verändert die Wissenschaft selbst und auch das Verhältnis Studierende - Lehrende", so der Experte.
->   Institut für Publizistik der Universität Wien
Wissen für Alle
Für Thomas Bauer bedeutet der zunehmende Einsatz neuer Medien an den Universitäten in Zukunft einen "paradigmatischen Wechsel in der Auffassung von Wissenschaft. Wissen ist nicht mehr Macht, sondern Verteilung und Verantwortung. Es steht zur Disposition. Damit wird Wissen unter kommunikativen Bedingungen zu Wissen".

Das Internet und seine Möglichkeiten befreit die Studierenden von unnötiger Bürokratie, mühsamen Materialrecherchen in ungenügend bestückten Bibliotheken und vieles mehr.

Universitätslehrende werden zu Moderatoren. "Aus Lehrenden und Studierenden werden Partner", so Bauer. Durch die digitale Emanzipation der Universität tritt eine Art Ent-Institutionalisierung der Universität ein.
Teure Ausstattung
Soviel virtuelle Freiheit braucht allerdings eine gute technische Ausstattung, kompetentes Lehrpersonal und vor allem entsprechende Strukturen. Und das alles kostet viel Geld.

Billiger wird Studieren keinesfalls. Ganz im Gegenteil. Virtuelle Experten fordern mehr kompetentes, mediendidaktisch geschultes Personal, EDV-Spezialisten, bessere technische Ausstattung an den Universitäten und Instituten. Denn an der Elektronisierung der Universitäten führt kein Weg vorbei.
Lebenslanges Lernen als Perspektive und Verpflichtung
Der Sog des ständigen Austauschs, des ständigen on-line seins in der Welt der Wissenschaft, lässt das Studium nach dem Abschluss nicht enden.

Publizist Bauer meint dazu: "Nach einem digital absolvierten Studium erhält man den Nachweis darüber und gleichzeitig die Verpflichtung, sich ständig weiterzubilden und zu kommunizieren".

Lebenslanges Lernen sei dann Verpflichtung. "Mit Wissen wächst nämlich Nichtwissen. Dadurch wächst Wissen. Das ist die Philosophie dahinter. Und das ist die Freiheit der Forschung und Lehre", so Bauer weiter.
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Die einzige Universität im Netz
Die einzige wirklich durchkonzipierte virtuelle Universität in Europa ist bislang die Fernuniversität Hagen. Diese hat sich über 25 Jahre vom Fernstudium für Berufstätige zur virtuellen Universität weiterentwickelt.

Lehre, Forschung, Verwaltung und die damit verbundenen Informations- Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten werden über Internet angeboten und von Studierenden genützt. Allerdings gegen bares Geld.
->   Fernuniversität Hagen
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Der E-Durchstart auf den Universitäten hat also längst noch nicht stattgefunden. Solange beispielsweise eine Computerausstattung mit rund 20 internetverbundenen Arbeitsplätzen in einem deutschen Universitätsinstitut Presse und Gesellschaft staunend auf den Plan ruft, ist die Freude zu früh.

Dass die Digitalisierung, wenn sie einmal technisch wirklich einwandfrei funktioniert und für jedermann verfügbar ist, ein Schritt in die Zukunft ist, liegt auf der Hand. Wann und inwieweit alle Ebenen der Forschung, Lehre, Wissenschaft und Bildungspolitik allerdings mitziehen, ist noch nicht abzusehen.

Martina Schmidt, Modern Times
Mehr zu diesem Thema in science.orf.at:
->   E-Learning in Österreich
->   Open University: Online-Pionier mit Vorsicht
 
 
 
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01.01.2010